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Rico und die Bewertung von außen
gettyImages/Jacob Laugesen

Rico und die Bewertung von außen

Charlotte von Winterfeld
Ein Beitrag von Charlotte von Winterfeld, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt
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Rico ist 10 Jahre alt und bezeichnet sich selbst als „tiefbegabt“. So kann er etwa rechts und links nicht unterscheiden. Rico kann zwar denken, aber es dauert bei ihm immer länger als bei anderen Menschen. Und wenn Rico in Stress gerät, purzeln die Gedanken in seinem Kopf durcheinander.

Rico und Oskar, zwei grundverschiedene Menschen und trotzdem Freunde

Rico ist der Held im Buch von Andreas Steinhöfel „Rico, Oskar und die Tieferschatten“[1].  Rico lernt per Zufall Oskar kennen. Der siebenjährige Oskar ist ganz anders. Er ist hochbegabt und weiß Bescheid über viele und ungewöhnliche Themen. Er denkt extrem rational. Die beiden Freunde sind schräg und grundverschieden, aber sie stehen füreinander ein.

Junge Menschen, die nicht ins System passen

Mir gefallen die beiden; denn sie haben Macken und passen nicht ins System. Ich erlebe gerade einige junge Menschen, die sich ähnlich fühlen. Ihre Begabungen gehen an dem vorbei, was die Gesellschaft von ihnen fordert, insbesondere die Schule. Celine, eine ehemalige Konfirmandin, beschreibt es so: „Ich bin total schnell müde von der Schule. Zu viele Mitschüler. Zu viele Tests. Ein zu rauer Ton. Ich bin nicht dumm. Ich fühle mich so, als ob meine innere Software ganz neu ist, aber auf einem alten Rechner läuft. Dann werde ich traurig und teilnahmslos.“ Bei Celine hat man eine Depression festgestellt.

Die Erwartungen an die Jugendlichen sind hoch

Viele Jugendliche leiden unter Schulstress. Manchmal denke ich: Die Schule nimmt einen viel zu großen Raum ein, mehr als zu meiner Schulzeit. Vielleicht ist es diese große Erwartungshaltung. Vom Umfeld und erst recht von sich selbst. Jeder, jede kann und soll originelle Lebensentwürfe erfinden. Wer kein besonderes und glänzendes Leben führt, schämt sich.

"Eine Depression ist, wenn all deine Gefühle im Rollstuhl sitzen"

Auch die Romanfigur Rico kennt Depressionen bei einer Nachbarin. Er beschreibt das so: „Eine Depression ist, wenn all deine Gefühle im Rollstuhl sitzen. Sie haben keine Arme mehr und es ist leider auch gerade niemand zum Schieben da. Womöglich sind auch noch die Reifen platt. Macht sehr müde.“

Es braucht Menschen, die zu einem halten

Wenn ich anders bin als andere oder gerade in einer Krise stecke, brauche ich Menschen, die zu mir halten und hinter mir stehen. Ricos Mutter zum Beispiel steht hinter Rico. Sie liebt ihn, wie er ist, und macht ihn so stark. Sie hilft ihm, an sich selbst zu glauben.

So stelle ich mir Gott vor: Er steht hinter mir und sieht, wer ich bin. Er hilft mir, an mich selbst zu glauben.

Das menscheliche Dasein ist nicht in Noten messbar

Der Autor Andreas Steinhöfel sagt einmal bei einer Lesung zu Jugendlichen: „Lasst euch nicht sagen, eure Intelligenz oder euer menschliches Dasein sei in Noten messbar. Und die von euch, die jetzt mit ihren Fünfen und Sechsen im tiefen Tal der Tränen sind, glaubt mir: (…) Das Einzige, was ihr nicht machen dürft, ist, nicht mehr an euch selbst zu glauben.“[2]


[1] Andreas Steinhöfel, Rico, Oskar und die Tieferschatten, Carlsen Verlag 2008

[2] Chrismon, Das evangelische Magazin, Mai 2015

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