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Unerwartete Botschaften
Bild: KRiemer_pixabay

Unerwartete Botschaften

Anke Jarzina
Ein Beitrag von Anke Jarzina, Katholische Pastoralreferentin in der Pfarrei St. Peter und Paul in Wiesbaden
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Es war ein merkwürdiges Gefühl: Von jetzt auf gleich hab ich mich wie abgeschnitten gefühlt von der Welt und den Menschen um mich herum. Ich hatte einen Hörsturz. Auf einmal hab ich nichts mehr gehört – zumindest auf einem Ohr. Das ist jetzt ungefähr zweieinhalb Jahre her.

Ich dachte, den Stress braucht’s eben

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich viel Stress, aber ich dachte: Diese Anspannung braucht’s eben für ein aktives Leben als Frau, die Mutter ist, die arbeitet und sich ehrenamtlich engagiert. Wie sehr ich mich da geirrt hatte, hab ich erst viel später verstanden.

Es fiel mir total schwer, diese Hilfsangebote anzunehmen

Mit der Taubheit kam ein andauernder, schriller Piepston, den nur ich hören konnte: ein Tinnitus. Dieses penetrante Geräusch, dieser Pfeifton, hat nie aufgehört – und mich mürbe gemacht. Ich konnte nicht mehr richtig schlafen und mich nicht mehr ‚normal‘ unterhalten. Das war schlimm für mich. Fast alle, denen ich davon erzählt hab, haben das verstanden. Sie wollten helfen und haben zum Beispiel gesagt: „Du, das ist ja furchtbar! Wenn du was brauchst: Melde dich, wir sind für dich da!“ Natürlich hat es gutgetan, das zu hören - aber mir ist es total schwergefallen, diese Hilfsangebote anzunehmen. Ich hatte ja ‚nur‘ diesen Tinnitus und keine körperlichen Beschwerden. Also hab ich mich zu Hause eingeigelt. Irgendwie hab ich geahnt: Das hier ist ein Einschnitt, das Ende und gleichzeitig der Anfang von etwas. Aber so richtig begriffen hab ich es da noch nicht.

Manches hatte ich nur verdrängt – nicht verarbeitet

Es gab nur eins, was mir richtig gutgetan hat: Bewegung an der frischen Luft, in der Natur. Also bin ich fast jeden Tag rausgegangen. Ein paar Mal mit einer Freundin oder einem Freund, meistens aber allein. Oft bin ich stundenlang gelaufen, am liebsten durch den Wald. Und manchmal dabei ganz schön ins Schwitzen gekommen. Ich hatte so viele Gedanken im Kopf – und je mehr Gedanken da waren, desto schneller war ich unterwegs. Es war, als hätte jemand einen Stöpsel in meinem Inneren geöffnet: Die Gedanken sprudelten nur so aus meinem Unbewussten nach oben. Auch und vor allem über unschöne Dinge, die ich in den letzten Jahren erlebt hatte. Mir wurde bewusst: Manches hatte ich doch nicht so gut verarbeitet, wie ich eigentlich gedacht hatte, sondern nur verdrängt.

Hab ich Warnzeichen übersehen?

Während dieser Wanderungen hab ich fast ständig so etwas wie eine innere Zwiesprache gehalten: Wie konnte mir das denn nur passieren mit dem Hörsturz? Hab ich die Warnzeichen übersehen? Und: Was bedeutet das jetzt für mich, für meine Zukunft? Kann ich so überhaupt wieder arbeiten, mit dem Tinnitus und diesem scheinbar kaputten Ohr?

Ich hatte das Gefühl: Die Natur gibt mir Antworten

Beim Gehen hab ich meine Fragen durchgekaut, immer wieder, monatelang. Irgendwann wurde es stiller in meinem Kopf. Es klingt vielleicht verrückt, aber dann hatte ich das Gefühl: Die Natur gibt mir Antworten auf meine Fragen.

Musik

Im Wald stieß ich auf Zeichen und Hinweise

Die Natur gibt Antworten. Das hatte ich schon mal irgendwo gelesen – aber auch wieder vergessen. Während der Wanderungen nach meinem Hörsturz hab ich dann genau das erlebt. Da lag einmal eine kleine Feder auf dem Boden vor mir. Ich hab sie aufgehoben und eine Weile mitgetragen. Mir kam der Gedanke: Vielleicht lag die Feder nicht zufällig da, sondern bedeutet etwas für mich. Nur was? Der Gedanke ist in mir ein bisschen herumgetanzt - und plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Die Feder sagt mir: Ich soll meine Situation leichter nehmen und mich ein bisschen mehr treiben lassen – so wie eine Feder im Wind. Diese Botschaft hat mir damals total geholfen. Aber es hat noch ziemlich lange gedauert, bis ich die konkrete Bedeutung davon begriffen habe.

Dabei war ich eher enttäuscht von Gott

Als Christin bin ich überzeugt: Das alles hatte etwas mit meiner Berufung zu tun, also mit Gott. Für mich fühlt es sich so an, als hätte Gottmir damals diese kleine Feder und noch viele weitere Botschaften geschickt. Dabei hab ich gar nicht bewusst Kontakt gesucht, im Gegenteil. Ich war eher enttäuscht von Gott, sauer und traurig, weil ich dachte: Ich hab mir so viel Mühe gegeben mit den vielen Rollen, die ich erfüllt hab – und jetzt bremst mich Gott so aus! Zeitweise dachte ich: Dann schmeiß ich halt hin! Ich häng den Job bei der Kirche an den Nagel und werde Försterin oder so, irgendwas mit Wald, mit Natur.

Meine heilsame Erfahrung mit der Natur an andere weitergeben

Inzwischen arbeite ich wieder – und zwar ganz anders als vor dem Hörsturz. Als Pastoralreferentin beim Bistum Limburg biete ich jetzt „Outdoorseelsorge“ an[1] – und die Natur ist meine Kooperationspartnerin geworden. Ich versteh mich dabei als eine Art Hebamme für die Seele: Meistens wissen die Menschen tief in sich drin schon, was gut für sie ist, wonach sie sich sehnen und was sie brauchen. Gemeinsam mit der Natur helfe ich nur, dieses Wissen ans Licht zu bringen. So kann ich die heilsame Erfahrung, die ich selbst mit der Natur gemacht habe, an andere weitergeben.

Das habe ich erst durch meine Erkrankung verstanden

Und nach und nach hab ich erst verstanden: Die Natur war einfach das Medium, durch das die göttliche Kraft mit mir Kontakt aufgenommen hat. Die Natur wiederum hab ich erst durch meine Erkrankung wiederentdeckt. In gewisser Weise bin ich deshalb sogar dankbar für den Hörsturz und den Tinnitus.

Gott schickt mir Botschaften

In der Natur hab ich erfahren: Gott schickt mir Botschaften. Bei mir hat es ein bisschen gedauert, bis ich meine Geschichte aus meinem Glauben heraus so deuten konnte.

Musik

In dieser Erzählung erscheint Gott quasi inkognito

Heute, am Ostermontag, wird in den katholischen Gottesdiensten eine Erzählung vorgelesen, die mir besonders gefällt. Sie spiegelt auch ein wenig meine Geschichte und meine Erlebnisse mit der Outdoorseelsorge wider. In dieser Erzählung zeigt sich Gott quasi inkognito. Sie geht so:

Ein langer Weg mit vielen trüben Gedanken

Zwei Freunde von Jesus sind nach der Kreuzigung auf dem Weg in das Städtchen Emmaus. Nach seinem grauenvollen Tod sind sie total niedergeschlagen. Sie hatten ja gedacht: Er ist der Messias! Er wird uns und die Welt retten! Aber dann ist dieser Jesus hingerichtet worden und sogar gestorben. Das ist für sie und andere Jesus-Gläubige eine totale Enttäuschung, die erstmal verarbeitet werden muss. Um sich mit den anderen zu treffen, wandern sie nach Emmaus. Der Weg ist zwölf Kilomenter lang – lang genug für viele trübe Gedanken.

Wieso bremst Gott uns so aus?

Vielleicht fragen sich die beiden: Wie konnte das nur passieren? Haben wir die Warnzeichen nicht bemerkt? Was bedeutet das jetzt für uns, unsere Zukunft? Und: Wir haben uns doch solche Mühe gegeben, wieso bremst uns Gott jetzt so aus?

Er schaut mit einem neuen Blick auf das, was passiert ist

Dann begegnet ihnen ein Fremder. Er geht ein Stück mit und will wissen, was sie bedrückt. Sie erzählen ihm davon, von ihrer Trauer und ihrer Enttäuschung. Und was tut der Fremde? Er schaut nochmal anders auf das, was passiert ist, mit einem neuen Blick. Plötzlich können sie von ihrer eigenen Betroffenheit absehen. Dann verstehen sie, um was es bei der ganzen Jesusgeschichte eigentlich geht. Die Bibel erzählt: Sie erkennen nicht, dass der Fremde eben kein Fremder ist, sondern der auferstandene Jesus selbst. Das sehen sie erst später, nachdem sie zusammen gegessen haben - und dann, so heißt es, „gehen ihnen die Augen auf“ (Lukasevangelium, Kapitel 24, Vers 31).

Musik

Beim Gehen nach und nach den Sinn verstanden

Ich mag diese Geschichte von den Emmaus-Jüngern. Mit ihr kann ich meine eigene Geschichte deuten. Ich sehe Gemeinsamkeiten in dem, was den Jüngern und was mir passiert ist. Zwar war ich nicht auf dem Weg nach Emmaus, sondern auf Wanderwegen im Wispertal. Und ich hatte auch nicht den Tod eines besonderen Freundes zu verdauen, sondern das Ende einer bestimmten Art zu leben und zu arbeiten. Aber: Wie die Jünger war ich zu Fuß unterwegs, in Bewegung. Und auch ich hab erst nach und nach verstanden, welchen Sinn die ganze Geschichte macht.

Früher wollte ich das nie richtig wahrhaben

Mit dem Hörsturz war ich auf mich zurückgeworfen worden und musste mich wirklich mit mir selbst auseinandersetzen - auch mit den Seiten von mir, die ich nicht leiden kann. Das war anstrengend und hat weh getan. Ich hab zum Beispiel endlich verstanden: Ich habe Depressionen. Früher wollte ich das nie richtig wahrhaben. Immerhin bin ich ja Seelsorgerin, da kann ich ja nicht mit einer seelischen Erkrankung daherkommen, dachte ich früher. Inzwischen weiß ich: Weil ich verwundbar bin und offen mit meinem Leiden umgehe, können sich mir manche Menschen noch besser anvertrauen.

Ich muss lernen Dinge anzunehmen, die ich nicht ändern kann

Durch diese Entwicklung hab ich etwas sehr Grundlegendes gelernt, nämlich: Es ist, wie es ist. Manche Dinge kann ich nicht ändern. Ich kann nur lernen, sie anzunehmen und das Beste draus zu machen. Wie meinen Tinnitus, der bis heute nie aufgehört hat zu pfeifen.

Ich darf miterleben, wie Menschen eine Botschaft in der Natur entdecken

In der Outdoorseelsorge mache ich die Erfahrung: Meine persönliche Geschichte ist nicht exklusiv, im Gegenteil. Immer wieder darf ich miterleben, wie Menschen eine Botschaft Gottes für sich entdecken - in und mit der Natur. Das ist so wunderbar – ich krieg dann immer eine regelrechte Gänsehaut – und die Menschen auch.

Vor allem, weil die Botschaft nicht immer so offensichtlich ist. Gott will sich offenbar finden lassen.

Geh raus - und hör, spür und sieh genau hin

Sich finden lassen: Die Erzählung von den Emmaus-Jüngern ist für mich eine Geschichte voller Lebensweisheit und Hoffnung. Mir sagt sie Folgendes: Igle dich nicht ein. Bleib in Bewegung, geh immer wieder raus. Dort begegnest du Gott: in anderen Menschen oder in der Natur. Hör, spür und sieh genau hin: Vielleicht findest du auf dem Weg eine Botschaft von Gott für dich.

 


[1] Nähere Informationen über das Angebot unter www.lebensmark.de

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