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Farbe bekennen
Bild: medio.tv / Schauderna

Farbe bekennen

Tanja Griesel
Ein Beitrag von Tanja Griesel, Evangelische Pfarrerin, Fritzlar
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Farbe bekennen - gegen rechts, steht auf dem Plakat. Es fällt mir auf mitten in der Menge der Demonstrierenden. Die Schrift ist regenbogenbunt und fröhlich gestaltet. Farbe bekennen.

Überall Demonstrationen für Demokratie und Vielfalt

Überall in Deutschland finden seit einigen Wochen friedliche Demonstrationen statt. Menschen gehen auf die Straße. Sie stehen ein für Demokratie und Vielfalt. Sie lehnen sich auf gegen Menschenhass und Rassismus. Nicht nur in den großen Städten wird demonstriert. Überall in Deutschland schließen sich Menschen dem Protest an. Soziologen sind sich einig: Es handelt sich um eine der größten Protestwellen in unserem Land, in der Größe vergleichbar mit den Demonstrationen der Wendejahre in Ostdeutschland oder denen gegen den Irakkrieg im Februar 2003. Für Menschenrechte, für Frieden und Freiheit lohnt es sich, auf die Straße zu gehen. 

Woher die Redewendung „Farbe bekennen“ kommt

„Farbe bekennen“ - die Redewendung kommt eigentlich aus dem Glücksspiel. Zum Beispiel ist sie im Skat gebräuchlich. Beim Anspielen einer Karte haben die Mitspieler die Wahl: Sie können eine Karte der gleichen Farbe bedienen, sie können mit einem Trumpf stechen oder eine Karte einer anderen Farbe abwerfen. Auf jeden Fall müssen die Mitspielenden offenlegen, ob sie die angespielte Farbe auf der Hand haben oder nicht. Daraus entwickelte sich dann die Redewendung „Farbe bekennen“. Wer Farbe bekennt, äußert seine Meinung. Wer Farbe bekennt, positioniert sich. Wer Farbe bekennt, zeigt klare Kante und gibt preis, was er denkt, wofür er steht und eintritt.

Eine Begegnung auf dem Weg zur Demonstration

Das ist gar nicht so einfach. Auf dem Weg zu einer Protestdemonstration begegne ich einer Frau. Sie sagt: „Ich bin etwas aufgeregt. Das ist die erste Demo, zu der ich gehe. Ich wohne in einem kleinen Ort“, erklärt sie mir, „meinem Nachbar habe ich heute morgen nicht erzählt, dass ich zur Demo in die Stadt fahre. Ich kenne seine Ansichten. Politiker sind für ihn Verbrecher, Flüchtlinge sind kriminell und Demonstrierende sind allesamt linksradikal und gehören eingesperrt.

Farbe bekennen im Alltag fällt schwer

Wenn er seine Parolen vom Stapel lässt, drehe ich mich meistens um und gehe weg. Ich bestätige ihn nicht, aber ich biete ihm auch nicht die Stirn. Dabei weiß ich, dass nicht alle bei uns so denken wie er. Aber wir lassen es ihm durchgehen. Eine gute Nachbarschaft ist mir wichtig. Aber um welchen Preis?“ 
Ich kann gut verstehen, was dieser Frau durch den Kopf geht. Es ist leichter in einem Meer von Gleichgesinnten auf die Straße zu gehen, als die Konfrontation im Alltag zu suchen und dort Farbe zu bekennen. 

Jesus bekennt Farbe bei der Tempelreinigung

Farbe bekennen. Auch Jesus tut das. Als er nach Jerusalem kommt, wird er dort zunächst wie ein König begrüßt und gefeiert. Am nächsten Tag besucht er den Tempel – und der Zorn bricht aus ihm heraus. Im Tempel wirft er die Stände der Händler und Geldwechsler um. Er schimpft. Der Tempel gleicht einer Räuberhöhle, ruft er, dabei sollte er ein Gebetshaus sein! Mit dieser Aktion macht sich Jesus keine Freunde. Ganz im Gegenteil.

Hintergrund der biblischen Geschichte

Der Tempel hat damals eine wichtige Bedeutung. Er ist ein Wirtschaftsfaktor. Viele profitieren davon. Priester, Beamte und Händler leben von den Geschäften, die hier getätigt werden. Die Tempelsteuer und Opfertiere müssen in der alten jüdischen Währung bezahlt werden. Diese Münzen werden aber nicht mehr geprägt, denn das Land steht unter römischer Herrschaft. Darum gibt es im Tempel Geldwechsler: Das alte jüdische Geld wird gegen römische Münzen eingetauscht. Einige wenige verdienen an dem Handel sehr gut. Das einfache Volk aber, das ohnehin wenig hat, wird nur noch mehr belastet. Das macht Jesus wütend.

Jesus zeigt auf welcher Seite er steht

Er wirft die Geldwechsler und Händler aus dem Tempel – und zeigt, auf welcher Seite er steht: auf der Seite des Volkes und auf der Seite Gottes. Gott ist kein Gott des Geldes. Die, die am Rand der Gesellschaft stehen, werden vom Tempelgeschehen ausgeschlossen. Sie haben kein Geld, um Gott ein Opfertier zu kaufen und ihn damit gnädig zu stimmen. Aber das ist auch nicht nötig. Die Liebe Gottes kann man sich nicht erkaufen.

Jesus macht Gottes Liebe anschaulich 

In Bildern und Gleichnissen redet Jesus davon, wie Gott ist: Er ist wie ein Gastgeber, der alle an seinen Tisch einlädt und willkommen heißt. Er ist wie ein Großgrundbesitzer, der am Ende allen den Lohn schenkt, den jeder zum Leben nötig hat. Er ist wie ein liebender Vater oder eine liebende Mutter, die das Kind in die Arme schließt und sich barmherzig gegenüber seinen Fehlern zeigt. 

Jesus redet nicht nur von der Liebe Gottes – er handelt auch danach. Und so stellt er sich auch im Tempel auf die Seite der Schwachen, Bedürftigen und Unterdrückten. Er zeigt, wohin er gehört. Und wer zu Gott gehört, bekennt Farbe. 

Gründe, warum ich manchmal keine Farbe bekenne

Farbe bekennen. Das ist nicht einfach. Es gibt auch Gründe, seine eigene Meinung nicht immer und überall kundzutun: um des lieben Friedens willen, um nicht anzuecken, um nicht aufzufallen, um sich nicht selbst zur Zielscheibe der Kritik zu machen. Es gibt unterschiedliche Gründe dafür, warum ich manchmal schweige und nicht offen meine Meinung sage.

Die Kunst lernen, wann was dran ist

Die Kunst besteht darin zu erkennen, wann ich schweigen und wann ich den Mund aufmachen sollte. Wenn ich schweige, gehe ich nicht nur einem Konflikt aus dem Weg. Schweigen bedeutet auch: Scheinbar stimme ich jemandem zu. Manchmal muss ich mir einen Ruck geben und reden, statt zu schweigen. Einige Prominente machen das gerade vor.

Öffentlich Farbe bekennen

Sie bekennen öffentlich Farbe gegen rechts. Kurt Krömer hat in einem Podcast erzählt, er habe vor einiger Zeit auf der Bühne gegen die AfD ausgeteilt hat. Daraufhin hat sich jemand lautstark beschwert und den Saal verlassen. Den Komiker stört das nicht. Im Gegenteil. Auf AfD-Klientel könne er verzichten, sagt er. Die Öffentlichkeit solle wissen, wofür er stehe und wofür nicht. 

Im persönlichen Umfeld Farbe bekennen erfordert Mut

Ob in der Öffentlichkeit, unter Kollegen, Vereinsmitgliedern oder Freunden – sich gegen rechts klar zu positionieren, erfordert Mut. Ich denke an die Frau, die auf dem Weg zu ihrer ersten Demonstration ist. Auf die Straße zu gehen ist ein Anfang. Ein Zeichen. Es ist schön mitzuerleben, dass so viele Menschen für die selben Werte eintreten und auf friedlichem Weg gegen rechtsradikale Gruppierungen und Parolen protestieren. Irgendwann wird die Protestwelle gegen rechts wieder abebben. Wie geht es dann weiter? Wird die Frau ihrem Nachbarn nächstes Mal die Stirn bieten? Sie hat längst erkannt, dass sie hier Farbe bekennen muss. Es ist nur ein Scheinfriede, wenn sie schweigt.

Stellung zu beziehen, kann heilsam sein

Stellung zu beziehen, kann heilsam sein. Denn den Ärger immer herunterzuschlucken, hinterlässt ein schales Gefühl. Auf Dauer wird sie sich damit nicht wohlfühlen. Wenn der Nachbar daraufhin den Kontakt abbricht, ist es so. Ich habe ihr Mut gemacht, den Schritt zu wagen. Wenn sie sagt, was sie eigentlich denkt, finden sich vielleicht noch mehr Mutige, die sie unterstützen. Die Gemeinschaft unter den Demonstrierenden zeigt doch gerade das: Ich bin nicht allein unterwegs. Wir stützen uns gegenseitig. Das lässt mich hoffen.

Farbe bekennen - aus Liebe zu Gott und den Mitmenschen

Im Strom der Demonstrierenden fällt mir noch ein Plakat ins Auge. Ein Kreuz ist darauf abgebildet. Darunter steht: Unser Kreuz hat keinen Haken. Ich lächle. Gemeinsam mit so vielen anderen laufe ich unter dem Kreuz und fühle die Zusammengehörigkeit unter uns. Für mich ist es außerdem ein Bekenntnis. Das Kreuz drückt aus, wohin oder zu wem ich gehöre. Ich gehöre zu Gott. Aus Liebe zu Gott und den Menschen möchte ich Farbe bekennen.
 

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