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Wir können doch menschlich sein
Bild: medio.tv / Schauderna

Wir können doch menschlich sein

Michael Becker
Ein Beitrag von Michael Becker, Evangelischer Pfarrer, Kassel
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Vorgestern fiel er mir wieder ein. Samuel, wie er in seinem Ohrensessel sitzt. In Marburg in der Oberstadt. Da habe ich ihn mal besucht. Samuel war alt und klug. Und traurig. Als Jude hatte er alles erlebt im Dritten Reich. Den 9. November und die eingeschlagenen Scheiben jüdischer Geschäfte, brennende Synagogen, gelbe Sterne an der Kleidung. Dann konnte er fliehen. Seine Eltern nicht. Die wurden umgebracht im Vernichtungslager. Kein Wunder, dass Samuel traurig war. Er rauchte eine dicke Zigarre. Und gab mir starken Kaffee. Ich fragte ihn viel, er antwortete gerne. 

Erzählen hält mich lebendig, sagte Samuel. Wenn ich von meinen Liebsten erzähle, sind sie mir vor Augen. Und dann, während er erzählte, stockte er auf einmal. Ich merkte durch den Zigarrenqualm, wie ihm Tränen kamen. Warum ist kein Friede, sagte er. Warum so viel Macht und Gier. Ich möchte ehrliche Freundschaft auf der Welt. Auch zwischen Juden und Palästinensern. Wir können doch menschlich sein.

Samuel fiel mir wieder ein, vorgestern. Er wäre wohl heute noch trauriger. Wieder ist Krieg und Elend und Tod. Und Davidssterne an deutschen Häusern. Das ist entsetzlich. Dabei muss doch Samuel gewinnen; sein Wunsch nach einem ehrlichen Frieden. Ich wünschte, wir würden alle dafür beten. Immerzu. Dass Gott herabkommt und uns zur Besinnung bringt. Wir müssen nicht verachten. Wir können doch menschlich sein.
 

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