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Mit allen Sinnen sehen
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Mit allen Sinnen sehen

Rüdiger Kohl
Ein Beitrag von Rüdiger Kohl, Evangelischer Pfarrer, Frankfurt-Bockenheim
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Mit allen Sinnen sehen! Unter diesem Motto steht die Woche des Sehens 2023. Organisationen der Augenmedizin, der Selbsthilfe und der Entwicklungszusammenarbeit laden im Rahmen der Aktionswoche vom 8. bis 15. Oktober zu zahlreichen Veranstaltungen ein. Auch heute, am "Welttag des Sehens". 

Erfolgreich im Journalismus mit wenig Augenlicht

Einer, der das Motto "Mit allen Sinnen sehen" auf bewundernswerte Weise umsetzt, ist Renardo Schlegelmilch, ein erfolgreicher Journalist. Auf dem rechten Auge ist er blind, und links sieht er zwischen zehn und 20 Prozent. Seit seiner Kindheit. Schon mit 13 Jahren wusste er: Radio, das ist mein Ding. Denn hier geht es um das, was man hört, und nicht, was man sieht. Später ist er viel gereist, hat weltweit religiöse Konflikte beobachtet und kommentiert. Seit 2021 ist er Redakteur beim DOMRADIO, für das er regelmäßig aus dem Vatikan berichtet. 

Schwäche in Stärke umwandeln

Renardo Schlegelmilch lässt sich nicht auf seine Behinderung festlegen und wandelt sie in Stärke um. Er erzählt: "In der Schule habe ich die Tafel nicht lesen können, weshalb ich mir sämtliche Notizen vom Erzählen der Lehrer direkt aufschreiben musste. Das war einiges komplizierter als für die anderen Kinder, die einfach am Ende der Stunde in fünf Minuten die Tafel abgeschrieben haben. Aber: Dafür muss ich mir heute, wenn ich Interviews führe oder von Veranstaltungen berichte, keine Notizen machen. Was wichtig ist, bleibt im Kopf."

Jede und jeder hat Grenzen - und Möglichkeiten

Ich finde imponierend, wie der Mann mit seinen Einschränkungen umgeht. Renardo Schlegelmilch sagt: "Ich glaube nicht, dass mein Schicksal etwas Besonderes ist. Ich sehe schlechter, andere können dafür nicht so gut einparken. Jeder von uns hat im Leben mit Situationen zu tun, in denen wir auf unsere Weise an Grenzen stoßen. Meine Botschaft ist: Lernt, wie Ihr aus euren Schwächen das Beste machen könnt! Dann kann aus der Schwäche eine Stärke werden." 

Aus Klagen wird Tanzen

Immer wieder haben Menschen diese Erfahrung gemacht. Geradezu begeistert heißt es in einem uralten jüdischen Lied im Psalm 30: "Du hast mir meine Klage verwandelt in einen Reigen, du hast mir den Sack der Trauer ausgezogen und mich mit Freude gegürtet, dass ich dir lobsinge und nicht stille werde. Herr, mein Gott, ich will dir danken in Ewigkeit."

Hindernisse im Leben angehen

Am Welttag des Sehens öffnet mir Renardo Schlegelmilch mit seiner Geschichte die Augen. Ich gewinne einen anderen Blick darauf, wie ich mit meinen eigenen Einschränkungen umgehe. Und bekomme Mut, Hindernisse in meinem Leben anders anzugehen. Mit Hindernissen muss Renardo Schlegelmilch jedes Mal umgehen, wenn er beruflich oder privat an fremden Orten unterwegs ist. Er meint: "Ich stoße an Grenzen. Aber verloren geht man ja nie wirklich. Da braucht es dann auch ein wenig Gottvertrauen."
 

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