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Trotz allem: Gott steht zum Menschen
Bild: Pixabay / Gabriele Lässer

Trotz allem: Gott steht zum Menschen

Dr. Willi Temme
Ein Beitrag von Dr. Willi Temme, Evangelischer Pfarrer, Martinskirche Kassel
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In feierlichen und geheimnisvollen Worten beschreibt das Johannesevangelium, worum es an Weihnachten geht. Gleich zu Beginn heißt es da:

Bibeltext Johannes 1, 14

Im Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.

14 Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. 

Die Weihnachtsbotschaft des Evangelisten Johannes

Was mit diesen geheimnisvollen Sätzen gemeint ist, macht Johannes dann mit dem Fortgang seines Evangeliums deutlich: In Jesus von Nazareth, das ist seine Überzeugung, ist Gott selbst Mensch geworden. Auf einmalige und besondere Weise.

Gott wird Mensch – das ist seine Weihnachtsbotschaft. Gott wird Mensch – so singen wir es auch in vielen unserer Weihnachtslieder.

Singen hilft das Mysterium der Menschwerdung zu verstehen

Und im Grunde, scheint mir, ist das Singen auch die beste Weise, sich diesem Mysterium anzunähern. Denn Worte allein sind viel zu dürftig, das Geheimnisvolle, das da aufscheint, auszudrücken. 

So ist es gut, dass auch uns in dieser Morgenfeier immer wieder die Musik zu Hilfe kommt. Musik, die das Geheimnis der Menschwerdung besingt.

Musik: Michael Prätorius: „Es ist ein Ros entsprungen“, Strophe 1 und 3 

Auch Poesie hilft Menschwerdung zu verstehen

Gott wird Mensch – das ist das Mysterium von Weihnachten. Und wenn es um den Umgang mit Geheimnissen geht, so gibt es für uns neben der Musik auch noch die anderen Künste, die uns hier Türen zum Verstehen öffnen können. Und da ich Ihnen hier im Radio keine Bilder zeigen kann, soll es heute Morgen die Poesie sein, die ich neben der Musik zu Hilfe rufe. Beide Künste möchten uns doch bitte eine Ahnung davon vermitteln, was das heißt „Gott wird Mensch“ und wie wir vielleicht verstehen können, was Menschwerdung Gottes bedeutet. 

Kurt Marti - ein dichtender Theologe

Der Schweizer Pfarrer Kurt Marti – er ist 2017 in hohem Alter gestorben – hatte die Gabe, nicht nur ein scharfsinniger Theologe zu sein. Vielmehr war er auch ein begnadeter Poet. Er war ein dichtender Theologe, beziehungsweise ein theologischer Poet. Kurt Marti ist lebenslang ein Suchender nach der Wahrheit gewesen und ist auch theologisch schwierigen Fragestellungen nie aus dem Weg gegangen.

Menschwerdung Gottes gleicht einer klingenden Saite

Was weihnachtliche Menschwerdung bedeutet, vergleicht er in einem verdichteten Text mit einer klingenden Saite, etwa wie wir sie von Geigen und anderen Streichinstrumenten her kennen. Und er sagt: Mit der Geburt Jesu hat Gott solch eine klingende Saite zwischen sich und den Menschen gespannt. Und niemand wird diese starke Verbindung von Gott und Mensch mehr zerreißen können. Seine theologisch-poetische Annäherung an die Menschwerdung Gottes wollen wir gleich gemeinsam betrachten. 

„Et incarnatus est“

Zunächst aber lassen wir einmal mehr der Musik den Vortritt. In vielen Vertonungen des lateinischen Messetextes kommen die Worte „Et incarnatus est“ – und er wurde Mensch - in besonderer Schönheit und Tiefe daher. So auch hier in der Vertonung von ###.
Hören wir: Et incarnatus est.

Musik: Franz Schubert: „Et incarnatus est“ aus: Messe Es-Dur 

Kurt Marti: Die Weltsaite zwischen Gott und Mensch 

Kurt Marti, der Schweizer Poet und Theologe hat über die weihnachtliche Menschwerdung folgendes gesagt:

An Weihnachten – (sagt er) – wurde die „Weltsaite“ gespannt, die Gott und Mensch verbindet, die den Prozess unserer Menschwerdung hält und steuert. Und wenn es zuweilen scheint, dass alle Stricke reißen – diese Saite reißt nicht. Zu tief, zu endgültig hat Gott sich an Weihnachten mit uns Menschen eingelassen. Zu sehr ist er nun am Prozess unserer Menschwerdung beteiligt. 

Zwei Dinge sind hier wichtig.
Zum einen: wenn auch alle Stricke reißen: diese Saite reißt nicht.

Es geht auch um unsere Menschwerdung

Und zum anderen: An Weihnachten geht es auch um unsere eigene Menschwerdung. 

Ich meine: gerade in diesem Jahr, das uns mit der Vielzahl seiner Krisen zutiefst erschüttert hat und wo so viele Gewissheiten infrage gestellt worden sind, gerade an Weihnachten 2023 ist es wichtig zu hören: Gott lässt uns nicht fallen. Gott hält die Verbindung zu uns und zu seiner Welt. Die Saite, die er zwischen uns gespannt hat, sie wird nicht reißen, was immer auch passiert.

Noch einmal Kurt Marti:"Zu tief, zu endgültig hat Gott sich an Weihnachten mit uns Menschen eingelassen. Zu sehr ist er nun am Prozess unserer Menschwerdung beteiligt". 

Weil Gott uns nahe ist, können auch wir Mensch werden

Man könnte vielleicht sagen: Weil wir mit Weihnachten und mit dem Geschenk, das Jesus heißt, nun die Gewissheit haben: Gott lässt uns nicht allein, deswegen können wir nun selber recht eigentlich Mensch werden. 

Wie Jesus in der Welt war, so sollen auch wir in der Welt sein. Jede und jeder als ein Geschöpf, das lebt aus dem Vertrauen zu seinem Schöpfer. Ein Wesen, das seine Furcht und Angst loslassen kann und das sich ganz dem Willen eines liebenden Vaters oder einer liebenden Mutter hingeben kann. Weihnachten heißt: Menschwerdung ist möglich. Sie bedeutet die Entwicklung zu einem freien und furchtlosen Wesen. Furchtlos deshalb, weil Gott sich mit uns verbunden hat.

Musik: Heinrich Schütz, „Historia der Geburt Jesu Christi“: Intermedium I, Der Engel zu den Hirten 

Die Stürme der Unmenschlichkeit

Der poetische Text von Kurt Marti hat noch eine Fortsetzung. Nachdem er deutlich gemacht hat: Wenn auch alle Stricke reißen – die Saite, die Gott mit uns Menschen verbindet, diese Saite reißt nicht! – nach dieser Vergewisserung sagt er nun folgendes:

Die Stürme der Unmenschlichkeit, die durch uns selber, durch unser Leben, durch unsere Welt fegen und gefährlich an allen Hoffnungen rütteln, sie können die an Weihnachten ein für allemal gespannte Saite nicht mehr entzweireißen, sie bringen sie immer nur zum Singen: Sie singt vom kommenden Menschen, wie Gott ihn vollenden wird nach dem Bilde des Menschen Christus. Das ist die Zukunftsmusik, die erstmals über dem nächtlichen Bethlehem aufklang.

Die Saite, die Gott gespannt hat, ist voller Klang

Alle Menschen, die die Musik lieben, wird es freuen, das zu hören: Die Saite, die Gott zwischen sich und den Menschen gespannt hat: sie ist nicht nur stark und reißfest. Nein: diese Saite kann auch singen; sie ist voller Klang. 

Die Weltsaite, die genauso gut auch „Gottessaite“ heißen könnte, - sie trotzt den Stürmen der Unmenschlichkeit. Ja, sie wandelt sie in Klang.

Was unter den Stürmen der Unmenschlichkeit zu verstehen ist

Die Stürme der Unmenschlichkeit. In uns selber sind das: Furcht, Verzweiflung, Ärger und Hass; Wut, Gier, Verschlossenheit und Ungeduld. 
Die Stürme der Unmenschlichkeit. In der Welt sind das: Ungerechtigkeit und Ausbeutung, Machtgier, Unterdrückung, Gewalt, Zerstörung und Krieg.

Aber selbst im Angesicht solcher gewaltigen Stürme wird die Gottessaite nicht reißen! – das ist die Botschaft von Weihnachten. Vielmehr: Diese Stürme entlocken der gespannten Saite ein Singen. Ein Singen, wie es bei Marti poetisch heißt, vom kommenden Menschen, wie Gott ihn vollenden wird nach dem Bilde des Menschen Christus. Das ist die Zukunftsmusik, die erstmals über dem nächtlichen Bethlehem aufklang.

Musik: Heinrich Schütz, „Also hat Gott die Welt geliebt“ op. 11, Nr. 12 

Was an die Stelle von Furcht und Wut tritt

Jesus, dessen Geburt wir an Weihnachten feiern – in ihm erkennen wir die wahre Menschlichkeit.
An die Stelle von Furcht und Angst tritt bei Jesus Gottvertrauen und Zuversicht.
An die Stelle von Wut, Ärger und Ungeduld tritt bei ihm Mitgefühl, Zuwendung und Geduld.
An die Stelle der Macht tritt die Liebe, die gerne dem anderen dient. 

In Jesus erkennen wir den wahren Menschen, der alle Saiten des gottgewollten Menschseins zum Klingen bringt, zu schönstem Gesang und Spiel.

Weihnachtliche Gottessaite bringt auch uns in Bewegung

Mögen die Schwingungen der weihnachtlichen Gottessaite auch uns in Bewegung setzen und unser Leben in ein Lied verwandeln, das davon singt, wie freundlich und zugewandt unser Gott ist und wie er uns beschenkt mit sich selber in Jesus, seinem lieben Sohn. 

Musik: Johann Crüger: „Fröhlich soll mein Herze springen“ 

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