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Maria und Marta
Bild: pexels / uncoveredlesns eze joshua

Maria und Marta

Sabine Kropf-Brandau
Ein Beitrag von Sabine Kropf-Brandau, Evangelische Pröpstin, Sprengel Hanau-Hersfeld
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Ich war bei einer Hochzeit eingeladen. Ein wunderschönes Fest. Das Wetter ist sonnig, das Essen ist köstlich und gekühlte Getränke sind auch reichlich vorhanden. Alle Gäste unterhalten sich gut und amüsieren sich. Alle, bis auf die Mutter der Braut.

Die Brautmutter hat keine Ruhe zu feiern

Die flitzt nur herum und räumt die Tische ab oder Gläser weg. Eigentlich verbringt sie das ganze Fest in der Küche. Das fällt einigen Gästen auf und sie beginnen darüber zu reden. Warum tut sie das? Warum kann sie sich nicht einfach auch mal hinsetzen? Vielleicht denkt sie, nur wenn alles perfekt ist, fühlen sich die Gäste wohl:

Die Geschichte der Schwestern Maria und Martha

Und während ich auch darüber nachdenke, warum sie nur aufräumt, statt das Fest zu genießen, wandern meine Gedanken zu einer Erzählung in der Bibel. Es ist die Geschichte von Maria und Marta. Lukas erzählt von den beiden Schwestern im 10. Kapitel seines Evangeliums:

Lukas 10,38-42

Als sie aber weiterzogen, kam er in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf. Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu. Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihm zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: 

Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll! Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: 
Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. 

Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden. ( Lk. 10,38-42)

Musik: J.S. Bach, Sinfonia No. 13 a-moll, BWV 799; Fassung für Violine, Viola und Violoncello

Die Geschichte von Maria und Marta. Sie gehört zu meinen absoluten Lieblingsgeschichten in der Bibel. 

Martha in Aktion

Ich sehe Marta geradezu vor mir. Sie putzt Gemüse, so schnell es geht. Zwischendrin wendet sie immer wieder rechtzeitig ein weiteres Fladenbrot, damit es nicht anbrennt. Außerdem schmort sie Fisch und Fleisch und holt köstlichen Wein herbei. Doch damit nicht genug: Immer wieder lässt Marta sich auch bei den Gästen blicken. Sie hört einen Augenblick zu, um bald schon wieder in der Küche zu verschwinden.

Jesus ist unter den Gästen

Während Marta sich eifrig bemüht, rasch das leckere Festmahl zuzubereiten, haben die Gäste längst auf dem Boden Platz genommen. Vielleicht sogar auf dem Flachdach des Hauses, wo die Eingeladenen am Abend froh über ein frisches Lüftchen sind.

Jesus ist auch unter den Gästen. Er will mehr als nur eine nette Unterhaltung. Er will die Zeit bis zum Essen nutzen, um seine Jünger zu unterrichten.

Lieber Jesus zuhören statt die Gäste zu bewirten

Maria ist von Jesus fasziniert. Wie gut, er seinen Jüngern Dinge über Gott erklärt. Sie möchte auf jeden Fall weiterzuhören und setzt sich deshalb wie seine Schüler direkt zu seinen Füßen. Dies war damals unüblich. Ein Rabbi unterrichtete eigentlich immer nur Männer. Jesus aber sieht das anders: Er lässt auch diese Frau eine Zeitlang in die Rolle einer Schülerin schlüpfen. 

Maria - mein Vorbild in jungen Jahren

Schon als ich als junge Frau die Geschichte das erste Mal hörte, dachte ich: So wie Maria will ich auch werden. Andächtig den Worten des Herrn lauschen und sie natürlich irgendwann einmal selbst verkündigen. Auf gar keinen Fall wollte ich Marta sein! Die beschäftigte sich ja nur mit Hausarbeit.

Bewunderung für Jesus Rüge für Marthas Betriebsamkeit

Und natürlich hat Jesus völlig recht, wenn er Marta dafür rügt. „Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe.“ Selbst schuld. Niemand hat dich gebeten, Dir so viel Arbeit mit der Bewirtung zu machen. Vielmehr ist es an der Zeit, Frauen aus ihrer Rolle als Untergebene auszuholen. Frauen müssen auch neue Wege gehen und sich bilden können. Und Jesus tut das und er hat dafür meine vollste Bewunderung. Maria - so dachte ich damals: Das ist meine Rolle! 

Musik Invention No. 7 e-moll

Meine Maria-Ideale konnte ich nicht durchhalten

Maria und Marta. Zwei Schwestern mit unterschiedlichen Rollen. Meine Rolle stand jedenfalls fest. So wie Maria wollte ich werden. Ja, so dachte ich damals. Mit 19 hat man noch Träume!

Im Studium konnte ich noch ganz gut meinen Maria-Idealen nachhängen. Ich saß zwar nicht zu den Füßen des Herrn, aber doch immerhin hing ich an den Lippen vieler geschätzter Professoren. Und was interessierte mich damals, was es heißt, einen Haushalt - vielleicht sogar einen Pfarrhaushalt zu führen.
Doch irgendwann war es so weit: Pfarrstelle, Pfarrhaus, Ehemann, Kinder, Haushalt… Und plötzlich war viel los und es war vorbei mit dem stillen Zuhören und sich ganz auf eine Sache zu konzentrieren.  

Plötzlich Verständnis für Martha

Da rief einer: „Frau Pfarrerin könnten sie mir nur mal ganz kurz einen Patenschein ausstellen? Und meine Tochter rief genervt: „Mama ich finde meine Schuhe nicht“; Und mein Ehemann wollte wissen: „Sabine, wer ist mit Einkaufen dran…Warum macht denn keiner die Tür auf?“
Marta, Marta, du machst dir viel Sorge und Mühe! - sofort waren meine Gedanken bei diesem Satz Jesu.

Symphatie für Jesu Rüge war verschwunden 

Spätestens ab diesem Zeitpunkt hat sich meine Sympathie für diesen Vorwurf Jesu erledigt. Und noch viel mehr: Seitdem habe ich mich immer auch über diese Geschichte geärgert. Je nach Tagesform mal mehr, mal weniger. Es gab Tage, da lief alles wunderbar: Das Haus war sauber, die Kinder durch meinen Mann gut versorgt und ich konnte in Ruhe meine Predigt für Sonntag schreiben.

Maria und Marta Tage

Solche schönen Tage nenne ich: Meine Maria-Tage. Da schätze ich es durchaus wieder, dass Jesus mit seinen Worten das traditionelle Frauenbild durchbrochen hat. Aber es gibt auch andere Tage: Da hetze ich von Termin zu Termin. Versuche den verschiedensten Ansprüchen gerecht zu werden und weiß nicht, ob ich alles bewältige. Solche Tage nenne ich meine Marta-Tage. Da wünsche ich mir ein lobendes Wort von Jesus für Marta. Außerdem: Jesus musste ja auch essen und trinken. Ob ihn wirklich nur hingebungsvoll lauschende Menschen auf Dauer satt gemacht hätten, bezweifele ich. Mit vollem Bauch lässt es sich gut kritisieren. Insbesondere als Mann! 

Maria und Marta: Beide finde ich in mir und oft reicht der Platz nicht für beide. Für wen entscheide ich mich dann?

Musik J.S. Bach, Invention No. 10 G-Dur, BWV 781, und Inventio 11 g-moll, BWV 782 oder Sinfonia 11 g-moll, BWV 797 

Schwer sich für eine Rolle zu entscheiden

Die Geschichte fasziniert mich und gleichzeitig fällt es mir schwer, mich für eine von beiden zu entscheiden. Da ist Maria, die zuhört und damit das gute Teil erwählt - wie Jesus es ausdrückt.

Und da ist Marta, die sich viel Sorge und Mühe macht. Doch die Rolle der Marta kann auch abschrecken. Da muss ich nur an die Mutter der Braut denken, von der ich erzählt habe. Sie war ja ständig am Räumen. Da wäre ein wenig mehr Maria für alle besser gewesen und hätte gar manchen ein schlechtes Gewissen erspart. Ist die Antwort Jesu also eine Botschaft an alle Martas, früher und heute: Schafft nicht so viel, macht euch nicht kaputt, lasst es doch überall etwas lockerer angehen?  

Auch in unsere Kirche braucht es „Martas“

Ist es so einfach? Ich denke auch an unsere Kirche: Viele Gottesdienste, Aktionen und Feste können in unseren Gemeinden nur stattfinden, weil Menschen sich ehrenamtlich engagieren. Manche Ehrenamtliche denken zu Recht: Die Kirche stände aber ganz schön dumm da, wenn die fleißigen Hände nicht so tüchtig anpacken würden! Da würde nicht nur so manches Gemeindefest ins Wasser fallen. Da gäbe es so manche Hilfe weniger, z.B. in Gruppenstunden, bei Krankenbesuchen und vielem mehr.

Der Vorwurf Jesu tut einigen Unrecht

Mit dem Vorwurf Jesu: „Marta, du machst dir viel Sorge und Mühe“, würde auch gar mancher Pfarrer oder manche Pfarrerin sich nicht mehr ernstgenommen fühlen. Sie erleben, dass ihre Gemeinden durch Zusammenlegen immer größer werden und sie gleichzeitig immer weniger Geld haben, um Notwendiges in ihrer Arbeit zu tun. Das Pfarramt ist anstrengender geworden. Deshalb weiß ich auch: Viele tragen schwer an der Marta-Rolle! Da braucht es nicht noch Kritik. Lob für wunderbare ehrenamtliche und hauptamtliche Arbeit wäre eher angebracht. Engagierte Menschen bringen vielerorts unsere Gemeinden immer noch zum Blühen. Und obwohl ich das wahrnehme und schätze - braucht es neben allen Engagements auch Entlastung - Ruhephasen zum Auftanken. Deshalb braucht es für alle eben auch die Ermutigung: Du darfst auch mal Maria sein!

Musik J.S. Bach, Sinfonia No. 5 Es-Dur, BWV 791

Maria und Marta - verkörpern zwei Seiten in uns

Maria und Marta, zwei Schwestern. Sie verkörpern zwei Seiten des Menschlichen, die in uns allen sind. Sie stehen für beten und arbeiten, hören und handeln:
 
- Aktiv und Passiv 
- Ruhe und Sturm 
- Nachdenklichkeit und Fest 
- Nach innen und nach außen gehen. 

Ich frage mich immer wieder: Ist eines wirklich wertvoller als das andere? Kann man das eine eigentlich leben, wenn man das andere nicht hat? 

Christsein umfasst Beten und Handeln

Dietrich Bonhoeffer schreibt im Mai 1944: "Unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen, im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen. Alles Denken, Reden und Organisieren in den Dingen des Christentums muss neu geboren werden aus diesem Beten und Tun.“

Müssen Maria und Marta sein

Dietrich Bonhoeffer sagt damit: Mit Marta allein wird das nichts und mit Maria allein ebenso wenig. Konkret heißt das für uns, unsere Gemeinden, unsere Kirche: Wir dürfen das Ziel unserer Bemühungen nicht aus dem Auge verlieren. Ich möchte mir Zeit nehmen, auf Gottes Wort zu hören. Sei es indem ich in der Bibel lese, mal innehalte im Alltag, mir Zeit nehme meine Sorgen und Freuden im Gebet vor Gott zu bringen. Oder auch einfach mal nichts tue! Zeiten der Besinnung eröffnen oft ungeahnte Tiefen der Einsicht! 

Gestärkt durch solche Besinnungen oder Auszeiten kann ich dann wieder tun, was wichtig und gefordert ist. Konkret für meinen Nächsten da sein, leben wie es Gottes Willen entspricht. Das ist für jeden und jede an ihrem Ort etwas anderes. 

Beide Lebensweisen stehen unter einer Verheißung

Beides ist getragen von einer Verheißung. Mit Ruhe und hören und mit Einsatz und Engagement können wir leben, wie es Jesus uns gezeigt hat. Wir wirken durch beides mit, dass Nächstenliebe kein leeres Wort bleibt. Uns wird es zugetraut am Reich Gottes mitzuwirken. Wir können die Welt verändern, vielleicht nur ein kleines bisschen. Ein bisschen besser, ein bisschen hoffnungsvoller, ein bisschen heller. Aber besser als nichts.

Das gilt für die Kirche und für mein Leben 

Das gilt nicht nur für mein persönliches Leben, das gilt auch für das Leben in unserer Kirche. Kirche erlebt zur Zeit - wenn auch nicht das erste und sicher auch nicht das letzte Mal - schwere Zeiten. Ich bin voller Zuversicht, dass wir mit Gottes Hilfe diese Zeiten bestehen werden. Besonders dann, wenn wir uns Raum geben zu Klage und Kritik genauso wie zu Anerkennung und Wertschätzung. 

Musik J.S. Bach, Sinfonia No. 2 c-moll, BWV 788 

Maria und Marta - zwei Seiten der Botschaft Gottes an uns

Maria und Marta - zwei Seiten der Botschaft Gottes an uns! Ich wünsche uns allen, dass wir beide diese Seiten leben können und dürfen. Und jeder und jede muss selbst schauen, welche Seite bei ihm ausgeprägter ist als die andere und gerade diese andere dann besonders pflegen. Dazu müssen wir uns auch gegenseitig helfen und uns dazu ermutigen. Und darum ärgere ich mich auch, dass ich bei dieser Hochzeitsfeier nichts zu der Mutter gesagt habe. 
„Maria und Marta – mal die eine und mal die andere! Und heute, darfst du als Mutter der Braut eben mal Maria sein und genießen. Und du musst die Marta in dir mal loslassen, denn sie gehört heute nicht hier her.“

Die biblische Geschichte ermutigt auch zu gegenseitiger Kritik

Diese Geschichte will ja zu Kritik ermutigen. Es ist am Ende weder von einer beleidigten Marta noch einer überheblichen Maria die Rede. Es ist, wie es ist. Kritik darf sein. Kritik muss sein. Da braucht niemand beleidigt sein, weil ihm in seine Arbeit hineingeredet wurde. Da muss keine genervt sein, weil sie zum Mithelfen aufgefordert wird. Das heißt natürlich nicht zwangsläufig, dass ich immer gern höre, was der andere zu sagen hat. Trotzdem ist es hilfreich, auch mal Kritisches zu hören und zu bedenken.

Jeden Tag neu entscheiden, welche Rolle passt

Maria und Marta - es gibt kaum einen Tag, wo es sich nicht lohnt, darüber nachzudenken, welche Rolle gerade passend ist. Es lohnt sich für Frauen und für Männer. Es lohnt sich im privaten Kontext, genauso wie im kirchlichen. Und genau deshalb liebe ich diese Geschichte - sie gibt mir immer wieder Impulse fürs Beten und Tun des Gerechten! 

Und bei der nächsten Feier, wo die Brautmutter unermüdlich im Einsatz ist, werde ich mutiger sein. Ich werde auf sie zugehen und sie ermuntern diesen Tag gelassen und fröhlich mit dem Brautpaar zu genießen! Das habe ich mir fest vorgenommen. 

Musik J.S. Bach, Sinfonia No. 12 A-Dur, BWV 800 

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