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Caravaggios Thomas: ein tastend erkundender Glaubender
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Caravaggios Thomas: ein tastend erkundender Glaubender

Dr. Ansgar Wucherpfennig
Ein Beitrag von Dr. Ansgar Wucherpfennig, Jesuitenpater, Professor für Neues Testament an der Hochschule Sankt Georgen, Frankfurt
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Der italienische Maler Caravaggio hat ein Bild gemalt, das für mich zu seinen spannendsten gehört. „L’incredulitá di san Tommaso“ heißt es italienisch. Der „ungläubige Thomas“ wird es meist im Deutschen genannt. Der Maler bezieht sich dabei auf einen Abschnitt im Johannesevangelium (Joh 20,24–29). Dort fehlt Thomas, als Jesus den übrigen Jüngern erscheint. Sie berichten ihm davon, dass sie den Auferstandenen gesehen haben, aber Thomas glaubt ihnen nicht und beansprucht: Wenn er nicht seine Finger in die Wundmale an Jesu Händen und seine Hand in seine Seitenwunde legen kann, dann kann er ihnen nicht glauben. Acht Tage darauf erscheint der Auferstandene den Jüngern ein weiteres Mal und bietet Thomas genau das an. Thomas darf mit seinen Fingern die Wundmale seiner Hände betasten und mit seiner Hand in die Seitenwunde fassen.

Christus führt die Hand, mit der Thomas seine Wunde ertastet

Caravaggio hat es so gemalt: Thomas, vornübergebeugt, hat seinen rechten Zeigefinger in die Seitenwunde Jesu gelegt. Die Brauen hat er zusammengezogen und die Stirn in viele Falten gelegt. Seine Blicke sind ganz konzentriert auf das gerichtet, was er da mit seinem Finger ertastet. Es wirkt so, als wollte er auch mit seinen Augen noch in die Seitenwunde hineinkriechen. Thomas ist wie ein moderner Wissenschaftler, der mit voller Aufmerksamkeit bei einem Experiment beschäftigt ist und gespannt wartet, was dabei herauskommt. Auch Christus schaut Thomas‘ bohrendem Finger zu. Mit der einen Hand hält er sein Gewand von der Wunde fern, so dass sie offen vor Thomas liegt. Und was mir besonders gefällt: Mit seiner anderen Hand führt Christus die Hand, mit der Thomas seine Wunde ertastet.

Da braucht es diesen staunenden Forschergeist

Der skeptische Forscherblick von Caravaggios Thomas spiegelt den Geist der modernen exakten Wissenschaften wider, die ja etwa gleichzeitig mit der Zeit des Malers beginnen. Das Bild hat für mich auch etwas Indiskretes. Eine Wunde ist hoch sensibel. Wenn man sie falsch berührt, kann der Schmerz durch den ganzen Körper schreien. Anderseits fasziniert mich Caravaggios Thomas: Er erinnert mich an meine eigene Arbeit in der Bibelwissenschaft. Da braucht es diesen staunenden Forschergeist, der aus Thomas Gesicht spricht. Es braucht die Fragen, die Thomas bei seiner Untersuchung bewegen. Wenn ich nicht mit immer wieder neuen Fragen an die biblischen Texte gehe, auch wenn ich sie schon hundert Mal gelesen habe, dann sind sie für mich nicht mehr lebendig.

Fragen können weh tun

Was könnte Thomas mit seinem Forschen und Fragen für Gespräche, für Freundschaften, für Kirche und Gesellschaft bedeuten? Sicher, Fragen können weh tun, aber manchmal braucht es solche Fragen, wenn man sich nicht nur an der Oberfläche verstehen will. Genauso kann es weh tun, wenn jemand den Finger in eine offene Wunde legt. Aber auch das kann notwendig sein, damit Wunden heilen können - im wörtlichen, aber auch im übertragenen Sinn.

Es ist gut, dass Thomas der Sache auf den Grund geht

Ist es nicht ungerecht, dass Thomas als „der Ungläubige“ in die Geschichte eingegangen ist? Es wäre doch viel seltsamer, wenn er zu den anderen gesagt hätte: „Euch ist Jesus begegnet, der vor drei Tagen am Kreuz gestorben ist. Ja, super, dann ist er halt auferstanden.“ Es ist gut, dass Thomas der Sache auf den Grund gehen will. Müsste Thomas daher nicht endlich anders genannt werden – nicht mehr „der Ungläubige“, sondern der tastend erkundende Glaubende?

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