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Christi Jünger auf See Genezareth
Bild: falco_pixabay

Vertrauen haben - über Wasser gehen?

Alexander Holzbach
Ein Beitrag von Alexander Holzbach, katholischer Pallottinerpater, Limburg
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Es ist eine ganz besondere Wundergeschichte, die heute in den katholischen Gottesdiensten gelesen wird. Mich fasziniert sie immer wieder. Maler haben sie gerne gemalt. Denn da läuft einer übers Wasser. Jesus. Und noch einer. Der kommt aber nicht weit. Er geht unter. In der Geschichte geht es um Angst und um Vertrauen. In den Evangelien wird sie mehrfach erzählt. Aber hier und heute im Matthäus-Evangelium hat sie eine ganz besondere Note. Matthäus baut in die Geschichte eine andere ein. Das macht die Sache spannend.       

Habt Vertrauen, fürchtet euch nicht!

Zunächst lese ich Ihnen den besagten Abschnitt aus der Bibel vor:      

„Nachdem Jesus die Menge gespeist hatte, drängte er die Jünger ins Boot zu steigen und an das andere Ufer vorauszufahren. Inzwischen wollte er die Leute nach Hause schicken. Nachdem er sie weggeschickt hatte, stieg er auf einen Berg, um für sich allein zu beten. Als es Abend wurde, war er allein dort.

Das Boot aber war schon viele Stadien vom Land entfernt und wurde von den Wellen hin- und hergeworfen; denn sie hatten Gegenwind. In der vierten Nachtwache kam er zu ihnen; er ging auf dem See. Als ihn die Jünger über den See kommen sahen, erschraken sie, weil sie meinten, es sei ein Gespenst, und sie schrien vor Angst. Doch sogleich sprach Jesus zu ihnen und sagte: Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht!

Petrus erwiderte ihm und sagte: Herr, wenn du es bist, so befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme! Jesus sagte: Komm! Da stieg Petrus aus dem Boot und kam über das Wasser zu Jesus. Als er aber den heftigen Wind bemerkte, bekam er Angst. Und als er begann unterzugehen, schrie er: Herr, rette mich! Jesus streckte sofort die Hand aus, ergriff ihn und sagte zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt? Und als sie ins Boot gestiegen waren, legte sich der Wind. Die Jünger im Boot aber fielen vor Jesus nieder und sagten: Wahrhaftig, Gottes Sohn bist du.“ (Matthäus-Evangelium 14,22-33)

Musik 1:Jaques Ibert: Tendre (CD: Jaques Ibert, Chamber Music, CD 1, Track 10)

Mit wenigen Broten und Fischen eine große Menge Leute satt gemacht

Die ersten Zeilen dieser Geschichte, wie Jesus über den See geht und Petrus ihm entgegenkommen will, beschreiben sozusagen die Ausgangssituation der Episode, die dann folgt. Jesus hatte mit wenigen Broten und Fischen eine große Menge Leute satt gemacht. Man spricht von der „wunderbaren Brotvermehrung“. Jetzt schickt er die Leute nach Hause, und er drängt seine Jünger, in ein Boot zu steigen und schon mal an das andere Ufer des Sees zu fahren. Dort will man sich vermutlich wieder treffen. Jesus selbst zieht sich zurück auf einen Berg, um zu beten; er ganz allein.

Jesus muss ja auch mal Kraft schöpfen

Was hier erzählt wird, kann man aus zwei Blickwinkeln betrachten. Einem rein menschlichen und einem – sagen wir – spirituellen. Es war viel los gewesen. Für Jesus und seine Jünger wohl auch anstrengend. So kann man verstehen, dass er jetzt mal seine Ruhe haben will, für sich sein will, relaxen, chillen würden wir heute sagen. Jesus muss ja auch mal Kraft schöpfen.

Jesus sucht im Gebet den Kontakt zu Gott, seinem Vater

Und damit wechsle ich in den spirituellen Blickwinkel, denn in dem Text heißt es: Jesus stieg auf einen Berg, um für sich allein zu beten. Jesus sucht also nicht die Einsamkeit, sondern die Zweisamkeit mit seinem Gott, mit seinem Vater. Immer wieder erzählt die Bibel, dass Jesus diese Gepflogenheit hatte. Beten heißt hier: Im Miteinander mit dem Vater wird er sich neu seiner Herkunft und seiner Sendung bewusst. Er ist ja zu den Menschen gesandt, um wie kein zweiter die Liebe Gottes zu künden. Deshalb wird er sogar Gottes Sohn genannt und nennt sich auch selbst so. Im Johannes-Evangelium sagt er sogar: „Ich und der Vater sind eins!“ (Johannes-Evangelium 10,30). Diese Einheit pflegt er in den Stunden des Gebetes, in denen er ganz allein ist mit Gott.

Auf dem Gipfel des Berges, ganz nah bei Gott

Die Menschen zu der Zeit, als dieser Bibeltext geschrieben wurde, verstanden das auch deshalb, weil ihnen der Begriff „Berg“ eine Verstehenshilfe war. Es heißt ja im Text, dass Jesus sich auf einen Berg zurückzog, um zu beten. Nicht allein die Menschen der Bibel, viele Menschen in der Antike waren der Überzeugung: Die Gipfel der Berge sind Orte, wo der Himmel die Erde berührt. Gott wohnt auf dem Berg. Wenn also dieser biblische Text sagt, dass Jesus sich zum Gebet auf einen Berg zurückzog, heißt das: Er ist ganz nah bei Gott. In der Einsamkeit des Berges geschieht Zweisamkeit, findet – ich sage mal – ein inniges Gespräch statt zwischen Sohn und Vater.                        

Musik 2: Jaques Ibert, Andante espressivo (CD: Jaques Ibert, Chamber Music, CD 2, Track 12)

Die Jünger sind auf dem Boot in unruhiger See

Jesus ist also allein auf dem Berg. Und was machen seine weggeschickten Jünger? Sie sind nun schon lange mit dem Boot unterwegs in der dunklen Nacht. Und sie haben zu kämpfen.

Manchmal wird der stille See von starken Winden aufgepeitscht

Der See Genezareth liegt normalerweise still da. Die Erfahrung damals und heute sagt: Zuweilen peitschen plötzlich starke Winde von den Golanhöhen herab das Wasser auf und machen den Fischern das Leben schwer. So muss es auch in dieser Nacht gewesen sein. Eine schwierige Überfahrt also, vor allem, weil sie mit Gegenwind zu kämpfen hatten.

Im Dunkel der Nacht kommt etwas Unbekanntes über den See

Und jetzt passiert in der „vierten Nachtwache“ – also zwischen 3 und 6 Uhr morgens – das Unglaubliche. Jesus kommt zu ihnen über das Wasser. Erzählt Matthäus ein Märchen? Erzählt er die Wirklichkeit? Auf jeden Fall machen die Jünger eine eigentlich unbeschreibliche Erfahrung, die Matthäus aber dann doch mit Worten zu beschreiben versucht. Die Jünger Jesu haben sowieso Angst, weil das Schiff von den Wellen hin- und hergeworfen wird, weil sie Gegenwind haben. Und jetzt sehen sie auch noch jemand oder etwas Unbekanntes über den See kommen, was sie für ein Gespenst halten. Ihre Angst wird noch größer, peinigt sie noch mehr. Und dann spricht Jesus sie an. Sie hören seine vertraute Stimme, erkennen ihn. Er sagt: „Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht!“  

Ihnen fehlte die Mitte ihrer Gemeinschaft

Die Jünger waren allein, fühlten sich vielleicht auch allein gelassen. Am Anfang hatte Jesus sie ja gedrängt, mit dem Boot loszufahren. Es fehlte ihnen die Mitte, der Meister, der Sinn ihrer Gemeinschaft.

Dem Spiel der Wellen hilflos ausgeliefert

Vielleicht darf man die Fahrt auf dem See auch psychologisch deuten. Die Jünger waren innerlich aufgewühlt. Fühlten sich unsicher, verunsichert. Spürten in der Tat Gegenwind, auch weil sie sich gefragt haben: Was sollen wir allein machen, ohne Jesus? Hat unser Unterwegs-sein ohne ihn überhaupt einen Sinn? Diese Männer im Boot hatten einfach Angst. Das Boot hat keine Sicherheit mehr gegeben. Man fühlte sich dem Spiel der Wellen ausgeliefert. Vermutlich hatte man auch das Ziel aus den Augen verloren. Die Fischer, die ansonsten doch ganz gut ihr Handwerk verstanden, waren auf einmal ratlos, hilflos. Nochmal: Sie hatten panische Angst. In diese Situation sagt Jesus: „Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht!“                

Matthäus schreibt für alle Menschen auf dieser Welt

Matthäus schreibt sein Evangelium, damit es in seinen Gemeinden vorgelesen wird. Damit es bis heute vorgelesen wird. Das wird es ja auch an diesem Sonntag wieder in den katholischen Gemeinden auf der ganzen Welt. Ich denke, Matthäus schreibt für seine je aktuellen Zuhörerinnen und Zuhörer, ob sie den Text in einem Gottesdienst hören oder mehr oder weniger zufällig im Radio, ob sie ihn lesen in der Bibel oder auf einem Kalenderblatt. Sie alle kennen durchaus Verunsicherung und Gegenwind und Angst.

Auch ich kenne Zweifel und Angst vor der Zukunft

Ich gebe zu, dass ich das gut aus meinem eigenen Leben kenne. Ich bin zum Beispiel gerne Katholik. Ich bin gerne Pallottiner-Pater. Ich feiere gerne in unserer Kirche mit vielen Christinnen und Christen am Sonntag und oft auch am Werktag Gottesdienst. Und zugleich bin ich manchmal stark verunsichert, ob das, was ich tue und sage, heute noch so richtig ist. Als inzwischen älterer Mensch habe ich jetzt oft mehr Zweifel als vor zehn oder zwanzig Jahren. Da war die Begeisterung noch stärker und die Durchhaltekraft. Und manchmal treibt mich eine diffuse Angst um, ob und wie lange mein Glaube noch trägt, ob er mir noch hilft, die Herausforderungen des Tages zu bestehen. Ich trage zum Beispiel viel Verantwortung für alte und kranke Mitbrüder. Und ich kenne die Angst vor der Zukunft. Stichworte sind Kirchen- und Glaubenskrise. Krieg in Europa. Energiekosten. Klimawandel. In diese Gemengelage, in diese Situation sagt mir – und den vielen, die das heute hören – Jesus: „Hab Vertrauen; ich bin es, fürchte dich nicht!“     

Musik 3: Jaques Ibert: Reflets dans l’eau (CD: Jaques Ibert, Chamber Music, CD 1, Track 5)

Jesus beruhigt durch seine Gegenwart

Jesus kommt über das Wasser zu seinen Jüngern, die voller Angst in ihrem schwankenden Boot sitzen. Er beruhigt sie mit dem Hinweis auf seine Gegenwart: Ich bin es. Fürchtet euch nicht!

Hier erleben wir den begeisterten Petrus

Ich finde, das ist an sich schon eine starke Geschichte. Aber Matthäus setzt noch eine Geschichte in die Geschichte. Die liest man nur in seinem Evangelium. Als Jesus zu den Jüngern kommt und sie beruhigt, meldet sich einer von denen zu Wort. Es ist Petrus. Der spielt im Matthäus-Evangelium oft eine besondere Rolle. So jetzt auch hier. Dieser Mann gehört ja mit zu den ersten, die Jesus in seine besondere Nachfolge gerufen hat. Dieser Fischer vom See Genezareth ist von Jesus begeistert, kann auch andere für ihn begeistern. Und er ist auch feige. Als es in der Nacht zum Karfreitag ernst wird, hat er ihn verraten und im Stich gelassen. Hier erleben wir ihn erst Mal den begeisterten Petrus. Der sagt: Jesus, wenn du das bist, dann sag, dass ich auf dich zukommen soll. Und Jesus sagt: „Komm!“

Er vertraut, bekommt aber dann doch Angst

Auf dieses Wort hin steigt der Fischer Petrus aus dem Boot und geht Jesus entgegen. Unglaublich. Das Ganze geht aber nicht gut, weil er Angst bekommt und unterzugehen droht. Er ruft: „Herr, rette mich!“ Jesus packt ihn und sagt: „Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“. Die beiden steigen ins Boot. Jetzt legt sich der Wind. Und die im Boot fallen vor Jesus nieder und sagen: „Wahrhaftig, Gottes Sohn bist du.“

Die Botschaft des Evangeliums: Jesus ist Gottes Sohn

Diese Aussage, dass Jesus Sohn Gottes ist, ist meines Erachtens der Zielsatz des ganzen Evangeliums heute. Das will Matthäus seinen Leserinnen und Lesern mitgeben: Diesen Glauben und dieses Bekenntnis, dass Jesus Gottes Sohn ist. Und dass man ihm vertrauen kann. Diese Botschaft umrahmt die ganze Geschichte auf dem See. Vorbereitet in der Bergeinsamkeit, als Jesus dort allen betet. Er ist mit dem Vater. Der Vater mit ihm.

Jesus beruhigt die Wellen und den Wind

Die Geschichte von der schwierigen Bootsfahrt und dem Wagnis des Petrus auf dem See bereitet insgesamt die große Aussage zum Schluss vor: „Wahrhaftig, Gottes Sohn bist du!“ Die Jünger sehen ihn ganz beim Vater, dem Schöpfer des Himmels und der Erde, dem am Anfang der Welt Wasser und Winde gehorchen. So wie hier am See Genezareth der Sohn Jesus die Wogen glättet, die Wellen beruhigt, der Wind sich legt.

Matthäus will uns Mut machen

Warum erzählt Matthäus in dieser wundersamen und wunderbaren Geschichte das besondere Ereignis mit Petrus? Ich glaube, er will den Christinnen und Christen in den Gemeinden Jesu eine Identifikationsfigur vor Augen stellen. Sein Evangelium ist ja ein starkes Ineinander von Glaubensgeschichte, Glaubensbekenntnis und Mutmach-Erzählung. Ermutigung in die jeweilige Situation derer, die Matthäus zuhören oder lesen.           

Vielleicht bist du auch schon ins kalte Wasser gesprungen

Ihnen sagt er in etwa: Du kennst das auch. Du hast von diesem Jesus gehört. Du bist vielleicht manchmal begeistert von ihm. Beschäftigst dich mit ihm und seiner Botschaft. Vielleicht hast du manchmal auch eine Art „Komm“ gehört. Sogar in schwierigen Situationen. Du hast dich der Herausforderung gestellt, bist in die Wellen gesprungen, ins kalte Wasser. Bist losgelaufen. Vieles ist auch geglückt.

Dann hast du Verunsicherung und Angst gespürt

Und du hast Gegenwind erlebt. Starken Gegenwind, manchmal genau von da, von wo du ihn nicht erwartet hättest. In der Gemeinde. In deinem Freundeskreis. Vielleicht in der Familie. Dann kamen Zweifel. Vieles, was dir Sicherheit gab, glitt irgendwie weg. Verunsicherung macht auf die Dauer müde und lähmt. Du hast kein „Komm“ mehr gehört. Dann kam auch die Angst. Angst, den eigenen Glauben zu verlieren. Angst, den Alltag nicht mehr meistern zu können. Angst um die Zukunft.

Mir hilft die Zusage, dass Jesus bei uns ist

In solchen Situationen hilft mir der Blick auf diese Doppel-Geschichte im Matthäus-Evangelium. Sie sagt mir: Vertraue auf diesen Jesus. Er ist da.Und manchmal kann ich dann wie Petrus sagen, oft eher leise: Herr, rette mich. Dann spüre ich Hoffnung, dass Jesus mich nicht im Stich lässt, dass er mir sozusagen die Hand entgegenstreckt, dass ich mit ihm in einem Boot bin. Da wächst neu Vertrauen. Gottvertrauen.

Ich bin ja nicht allein im Boot

Zugegeben. Ich kann dann auch nicht übers Wasser laufen. Aber ich gehe wieder mutiger durchs Leben, auch wenn ich weiß, es kommen wieder Wellen, es gibt wieder Gegenwind. Aber ich bin ja nicht allein im Boot. Es kommt mir einer entgegen, der sagt: „Hab Vertrauen, ich bin es; fürchte dich nicht!“       

Musik 4:Jaques Ibert: Ballade (CD: Jaques Ibert, Chamber Music, CD 1, Track 4)

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