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Schatz im Acker
Bild: pexels / Anastasia Shuraeva

Schatz im Acker

Anke Haendler-Kläsener
Ein Beitrag von Anke Haendler-Kläsener, Evangelische Krankenhauspfarrerin, Flieden
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Wie gern haben wir Schatzsuche gespielt, als meine Kinder noch klein waren. Bei Kindergeburtstagen war dieses Spiel eines der Renner.

Regeln des Spiels „Schatzsuche“

Den Weg zum Schatz mussten die Mitspielenden mithilfe von Fragen suchen. „Wo wohnt der katholische Pfarrer?“ An seinem Haus war dann der nächste Zettel versteckt. „Wer löscht die Brände in unserem Dorf?“ Auf zur Freiwilligen Feuerwehr. So ging es mit der eingeladenen Kinderhorde durchs ganze Dorf. Manchmal mussten sie Rechenaufgaben lösen oder gemeinsam Lieder singen, bevor der nächste Zettel vorgelesen wurde. Manchmal waren unterwegs auch versteckte Pfeile aufgemalt, die in die nächste Richtung wiesen. Was für eine Freude, wenn jemand eine Frage gelöst oder einen Kreidepfeil gefunden hatte. 

Erinnerungen an Schatzsuchen bei Kindergeburtstagen

Erinnere ich mich an diese Kindergeburtstage, fühle ich heute noch die kribbelnde Spannung. Ein Geheimnis schwebte über unseren Köpfen. Niemand wusste, wohin uns der Weg führen und wo er enden würde. Obwohl wir Erwachsenen alles vorbereitet hatten, steckte uns die Vorfreude der Kinder an. Wo der Schatz wohl versteckt ist? Was sich wohl in ihm verbirgt? Vielleicht gar Diamanten und Goldstücke? Alle möglichen Wünsche und Fantasien wurden von den Suchenden in die Schatztruhe hineinprojiziert. 

Der Inhalt der Schatzkiste

Am Ende haben die Kinder die Schatzkiste gefunden. Ganz vorsichtig wurde sie in die Mitte gestellt und geöffnet. Einmal waren darin glitzernde Murmeln versteckt, ein anderes Mal Diddl-Blätter, zu dieser Zeit heiß begehrt. 

Allerdings erinnere ich mich auch daran, dass einmal das Geburtstagskind in Tränen ausgebrochen ist. Zu groß war die Vorfreude und zu hoch die Erwartung. Der Schatz konnte dem nicht gerecht werden, und Enttäuschung machte sich breit. Das hat wehgetan. 

Aber fast immer ist die Schatzsuche gelungen. Meist waren alle zufrieden und zogen mit der Kiste stolz nach Hause, wo der Schatz dann aufgeteilt wurde. Dann habe ich erleichtert aufgeatmet.

Musik: Robert Schumann, Fantasiestücke op.12: VI. Fabel 

Jesu Gleichnis vom Schatz in Acker

Auch in der Bibel steht im Matthäusevangelium ein Gleichnis von einer Schatzsuche (Mt. 13,44). Jesus erzählt es, und es geht so: Ein Mensch findet einen Schatz, den jemand anders vergraben hat. Das klingt in unseren Ohren wie ein Märchen. So als käme eine Fee vorbei und gewährte ihm drei Wünsche. Etwas Wertvolles zu vergraben war aber tatsächlich zur damaligen Zeit eine gängige Möglichkeit für Menschen, ihr Hab und Gut in Sicherheit zu bringen. Gerade einfachere Menschen hatten keinen Tresor oder eine Bank. So war ihr Eigentum nach dem Vergraben sicher vor Dieben oder auch vor plündernden Soldaten.

Was der Entdecker mit dem Schatz macht

Nun, so erzählt Jesus, entdeckt jemand diesen Schatz, wahrscheinlich bei der Arbeit. Er arbeitet vielleicht als Kleinpächter auf diesem Acker. Er pflügt die Erde und stößt dabei ganz unerwartet und unverhofft auf diesen versteckten Schatz. Der befindet sich in einem verschlossenen Tonkrug. Er ist außer sich vor Freude über die überraschende Entdeckung. Natürlich setzt er alles daran, den Schatz zu bekommen. Er will ihn haben und genau nachschauen, was sich darin verbirgt. Deshalb ist er so schlau, niemandem davon zu erzählen, sondern vergräbt ihn erst einmal wieder. Er gewinnt Zeit und kann in Ruhe nachdenken und Pläne schmieden. Er verkauft allen seinen Besitz. Alles, was er hat, wird zu Geld gemacht. So wertvoll ist ihm dieser Schatz, dass er alles hergibt, was er hat. Er behält keinen Sicherheitsgroschen zurück, sondern riskiert alles. Und tatsächlich gelingt es ihm, den Acker zu kaufen, in dem der Schatz vergraben ist. Die Freude ist riesig groß.   

Unterschiedliche Erzählung im Thomas- und im Matthäusevangelium  

Dass jemand anders seinen „Schatz“ vermissen könnte, wird bei Matthäus nicht thematisiert. Anders als im Thomasevangelium. Es steht zwar nicht im Neuen Testament, sondern in den Apokryphen. Diese Schriften stellen eine wichtige Quelle der Zeit Jesu dar. Im Thomasevangelium heißt es:  
„Die Herrschaft Gottes gleicht einem Menschen, der auf einem Acker einen verborgenen Schatz besaß, von dem er nichts wusste. Nach seinem Tod hinterließ er den Acker seinem Sohn. Der Sohn wusste ebenfalls nichts von dem Schatz und verkaufte den Acker. Und der Käufer fand beim Pflügen den Schatz. Er begann, Geld gegen Zinsen zu verleihen, an wen er wollte.“ (Logion 109)

Der Schatz macht den Finder reich

Der Schreiber scheint ein schlechtes Gewissen zu haben, den Geldschatz einfach an sich zu reißen. Er erzählt vom Besitzer, der nichts mehr davon weiß und fügt sogar noch einen Sohn als Bindeglied ein. Das entschuldigt den Finder des Schatzes. So kann er ihn nutzen, um Geld zu verleihen gegen Zinsen. Er macht geschickte Bankgeschäfte und wird reich davon. 

Bei Matthäus geht es beim Schatz nicht ums Geld

Genau diesen Aspekt gibt es bei Matthäus nicht. Im Gegenteil: Der Mensch gibt alles weg, was er hat. Geld und Zinsen sind nicht im Blick, sondern gerade das Leben ohne materiellen Besitz. Ihm geht es um die Gemeinschaft mit Gott. Um sein Vertrauen zu ihm, seinen Glauben. Dieser Glaube an Gott bedeutet für ihn das Himmelreich.

Deshalb heißt es im Matthäusevangelium einfach:    
Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; und in seiner Freude geht er hin und verkauft alles, was er hat, und kauft den Acker. (Matthäus 13,44, Luther 2017)

Musik: Georg Friedrich Händel, Concerto grosso F-Dur op. 6 No. 2: I. Andante larghetto 

Wofür der Schatz steht

Ein Mensch findet einen Schatz. Dieser Schatz wird mit dem Himmelreich verglichen. In anderen Bibelübersetzungen wird dieser Schatz als das Reich Gottes, das Leben mit Gott oder als der Glaube beschrieben. 

Ein Mensch findet einen Schatz und ist bereit, alles dafür einzusetzen. Das Leben mit Gott ist ihm so wichtig, dass alles andere zweitrangig wird. Mit Haut und Haar will er sich dieser Sache verschreiben. Der Glaube kann nicht einfach so nebenbei gelebt werden ohne Einsatz. Er ist nicht eine Sache unter anderen. 

Voller Einsatz für den Schatz

Deshalb muss der Mensch, als er den Schatz findet, keine echte Entscheidung fällen. Er überlegt nicht ernsthaft: Will ich den Schatz erwerben oder nicht? Ach, vielleicht lasse ich ihn einfach dort in der Erde liegen… Das steht überhaupt nicht zur Debatte. Es gibt kein Abwägen zwischen verschiedenen Möglichkeiten, sondern es ist völlig klar: Der Schatz muss her! Er setzt alles auf eine Karte. Der Glauben an Gott ist für ihn nicht eine Möglichkeit zu leben unter anderen, sondern hat unbedingte Priorität. 

Es geht nicht anders. Der Glaube an Gott ändert das ganze Leben. Er krempelt alles um. Nächstenliebe und die Liebe zu Gott bestimmen Reden und Handeln.

Glauben leben auch heute mit vollem Einsatz

Es gibt auch heute Menschen, die ihren Glauben so radikal ohne Wenn und Aber leben. 

Während meines Studiums durfte ich ein Jahr lang in einem Benediktinerkloster leben, und das hat mich beeindruckt. Da geben Menschen ihren ganzen Besitz ab. Sie leben ohne Partner oder Partnerin. Sie richten ihren Tagesablauf nach den Gebetszeiten aus. Sie fragen nicht: Will ich den Schatz ausgraben oder lieber nicht? Sie setzen ihr ganzes Leben ein. Das ist wirkliche Hingabe. 

Die Vinzentinerinnen

Heute arbeite ich als Krankenhauspfarrerin in einem Haus gemeinsam mit Ordensfrauen, den Vinzentinerinnen. Auch da erlebe ich, wie Frauen ihren Besitz abgeben und sich in eine Gemeinschaft einfügen. Sie arbeiten in der Krankenpflege oder der Klinikseelsorge. Wenn sie gerufen werden, sind sie sofort zur Stelle. Egal, ob am Tag oder auch mitten in der Nacht. Hingabe mit allem, was sie ausmacht.

Der Mensch findet einen Schatz. Er findet das Himmelreich und ist bereit, alles dafür hinzugeben. Christsein lässt sich nur voller Inbrunst und Hingabe leben und nicht nur an Sonntagen. Alles zu verkaufen, um den Schatz zu bekommen, ist ein guter Anfang.

Das Entscheidende im Leben lässt sich nur finden

Wenn ich das Gleichnis so verstehe, ist es auf keinen Fall mit einer Schatzsuche wie bei unseren Kindergeburtstagen zu vergleichen. Ein Mensch kann zwar Gott von sich aus suchen. Er kann anfangen, in der Bibel zu lesen oder Gottesdienste besuchen. Aber an Gott mit ganzem Herzen zu glauben, ihm zu vertrauen - das ist ein Geschenk von Gott. Das Entscheidende im Leben lässt sich nicht machen, sondern nur finden. Gott begegnet dem Menschen meist völlig ungeplant und überraschend. Er wird von Gott ohne Vorbereitung überwältigt und lässt ihn sprachlos zurück. Vielleicht überlegt jemand: Ach, ich könnte mal den Acker umpflügen, vielleicht begegne ich ja einem vergrabenen Schatz. Aber, dass er diesen Schatz findet, ist eine völlige Überraschung. Wer Gott findet, gerät aus dem Takt.

Das Gleichnis ist nicht nur Anspruch, sondern auch Zuspruch. Sonst wäre es kein Evangelium, keine gute Nachricht.

Eine andere Deutung des Gleichnisses

Und es gibt noch eine interessante Deutung des Gleichnisses. Man könnte es ein wenig gegen den Strich bürsten und so verstehen: Der Mensch selbst ist der vergrabene Schatz. Und der, dem so viel daran liegt, den Schatz zu gewinnen, das ist Gott. Gott liegt so viel am Menschen, dass er alles weggibt, was er hat, um ihn zu gewinnen. Er ist am Menschen interessiert und geht ihm nach. Er liebt ihn so sehr, dass er sogar sein Leben für ihn hingibt.

Musik: Dietrich Buxtehude, Also hat Gott die Welt geliebet 

Das Gleichnis ermutigt zur „Schatzsuche“ 

Aber bleiben wir mal bei dem, was Jesus erzählt und was er den Zuhörenden direkt sagen will: Ein Mensch findet einen Schatz. 
Er macht mit dem Gleichnis Mut, sich auf die Suche zu begeben. Denn damals und heute gibt es Menschen, die sich für diesen Schatz, den Glauben nicht interessieren. Oder nicht mehr interessieren, weil sie von der Kirche oder von Gott enttäuscht sind. Sie nehmen inneren Abstand und stellen alles in Frage. 

Wenig bis gar kein Interesse am Schatz

Brauche ich die Kirche in meinem Leben? Die Austrittszahlen schnellen in die Höhe. Und es sind keinesfalls nur junge Menschen, die zum ersten Mal in ihrem Leben ein Gehalt überwiesen bekommen und sehen: Da geht ein ganzer Brocken weg zur Kirche. Den könnte ich gut für mich verwenden. 

Nein, darüber hinaus sind es auch Menschen, denen eigentlich der Schatz am Herzen liegt. Sie haben ihr Leben in der Kirche gelebt und dort eine Enttäuschung erlebt. Wenn sie den Schatz vor Augen haben, dann funkelt da nichts mehr. Die erste Begeisterung über den Schatz ist einer Abwehr gewichen.
Ich wünsche ihnen wieder einen neugierigen Blick auf Schätze, von denen sie zehren können.

Musik: Georg Friedrich Händel, Concerto grosso B-Dur op. 6, No. 7: I. Largo 

Was mich vom Finder im Gleichnis unterscheidet

Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; und in seiner Freude geht er hin und verkauft alles, was er hat, und kauft den Acker. (Matthäus 13,44, Luther 2017) 
Ein Mensch findet einen Schatz und ahnt instinktiv: Er kann mein Leben zum Guten verändern.
Nun habe ich nicht immer wie der Mensch im Gleichnis meinen Schatz, den Glauben so fest im Herzen und im Sinn. Nicht immer bedeutet er mir alles und bestimmt alles.

Was mich ermutigt zum Glauben

Oft sind es nur Bruchstücke dieses Schatzes. Deshalb will ich mich immer wieder fragen: Wo sind Goldstücke und Diamanten in meinem Leben, die mich ermutigen zum Glauben, zum Leben mit Gott? Zwei Erlebnisse fallen mir ein.  

Ich bin auf einer Reise und suche ein kühles Plätzchen. Draußen ist es heiß, die Sonne knallt nur so auf mich herunter. Außerdem sind mir die Menschen, mit denen ich unterwegs bin, zu laut und gesprächig. Ich brauche dringend eine Auszeit. Einen Augenblick nur für mich. Ganz nah steht eine Kirche.

Ermutigende Erfahrungen in einer Kirche

Ich öffne die große schwere Tür und verschwinde im Inneren. Drinnen ist es wie in einer anderen Welt. Ruhig. Still. Und kühl. Ich setze mich in eine Bankreihe und atme tief ein und aus. Ruhe. Ich fühle mich geborgen. Zuhause. Ich brauche keine Worte auszusprechen, sondern spüre: Ich bin nicht allein. Gott ist an meiner Seite. Ich komme wieder zu Kräften. Ein verborgener Schatz.

Nachdem ich eine Weile da gesessen habe, überlege ich schon, wieder in die Welt zurückzukehren. Da beginnt völlig überraschend die Orgel zu spielen. Ich bekomme mein ganz persönliches Orgelkonzert geschenkt. Und ich liebe Orgelmusik! Als hätte jemand gedacht: Die Ruhe hat ihr gut getan. Jetzt gibt es noch einen Bonus obendrauf. Eine überwältigende Freude. Ein Schatz.

Es gibt solche Augenblicke, die sind wie ein Schatz. 

Schätze finden auf der Landesgartenschau

In diesem Jahr habe ich solche Schätze auf der Landesgartenschau in Fulda erlebt. Die evangelische Kirche hat dort ein Himmelszelt aufgebaut. Dort können Menschen zweimal am Tag mittags und am frühen Abend eine Andacht mitfeiern. Meistens mit schöner Musik. Sie finden immer jemanden zum Reden und Zuhören.

Berührende Segnungen am Himmelszelt

Besonders gut angenommen wird der Segen. Menschen können sich segnen lassen: einzeln, als Paare, als Familien oder Freundeskreise. In einem kurzen Gespräch erzählen sie, was ihnen am Herzen liegt. Vielleicht sorgen sie sich um ein Familienmitglied, das erkrankt ist. Vielleicht sind sie traurig, weil sie an ihrer Goldenen Konfirmation nicht teilnehmen konnten. Wenn sie es möchten, wird ihnen dann am Himmelszelt ein persönlicher Segen zugesprochen. Ganz überraschend gehen sie als Gesegnete davon, obwohl sie eigentlich nur gekommen sind, um Blumen anzuschauen. 

Die Mitarbeitenden am Himmelszelt verbreiten viel ansteckende Freude und Begeisterung für ihren Glauben. Sie sind funkelnde Diamanten und Goldstücke. 

Offene Augen für die Schätze des Lebens

Ich wünsche uns allen offene Augen, damit wir die Schätze sehen, die unser Leben reich machen. 

Musik: Georg Friedrich Händel, Concerto grosso G-Dur op. 6, No. 1: IV. Allegro

* Die hr2 Morgenfeier ist von Anke Haendler-Kläsener geschrieben, aber ausnahmsweise von Claudia Rudolff gelesen.

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