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Ostern – vom Dunklen ins Licht
Bild: Pixabay

Ostern – vom Dunklen ins Licht

Stefan Wanske
Ein Beitrag von Stefan Wanske, katholischer Pfarrvikar im Pastoralraum Gießen-Stadt
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Mein Zuhause sollte bis heute unbedingt ein „Frühlings-Update“ erhalten! So hab ich es letzte Woche in einer Wohnzeitschrift gelesen: Angesagt wären für die Osterdeko 2023 sanfte Pastellfarben, natürliche Materialien und ein Hauch von Skandinavischem Design. Rosa, Lila, Hellgrün oder Gelb sollten frischen Wind in meine vier Wände bringen. 

Und nun ist Ostern geworden. Ich hab zwar nicht extra bunten Wohnungsschmuck besorgt -  aber das Verlangen nach Farbe, nach Licht und nach neuem Leben, das kann ich gut nachvollziehen. Auch draußen wird’s ja jetzt Gott sei Dank wieder bunter, an den Bäumen und Büschen sprießen Grün und Blüten. Die Natur erwacht, und die Boten des Frühlings verheißen nach dem Winter einen neuen Anfang. 

Die Sehnsucht nach Licht und Leben spür ich im Moment ganz besonders. Gerade im Rückblick hab ich das Gefühl: Wir haben alle in den letzten Monaten und Jahren wirklich genug Dunkel erlebt. 

"Immer ist irgendwas“ 

Vielen Freunden und Bekannten geht es genauso. Ein alter Schulfreund meinte letztens: „Irgendwie lauf ich seit drei Jahren innerlich nur im Krisenmodus: erst die Pandemie, dann der Ukrainekrieg und die Energiekrise, jetzt die Inflationsdiskussion, - immer ist irgendwas.“ 

Immer ist irgendwas. Und nun ist Ostern geworden. Ostern, das höchste Fest der Christinnen und Christen, erzählt davon, dass das Leben den Tod besiegt und dass das Licht stärker ist als alles Dunkel. Diesem Lichtschein will ich in der Morgenfeier heute in der Frühe des Ostersonntags nachgehen, auch in der Musik. 

Für mich passt in diesem Jahr die Kantate „Halt im Gedächtnis Jesum Christ“ gut in die Zeit. Johann Sebastian Bach führte sie 1724 das erste Mal in der Thomaskirche in Leipzig auf. In den Mittelpunkt der musikalischen Umsetzung der Osterbotschaft stellt er den Kampf zwischen Zweifel und Zuversicht. 

Noch bevor er den Chor in einen ersten Oster-Choral einstimmen lässt, hält er mit einer Tenor-Arie inne und ruft: 

„Mein Jesus ist erstanden,

allein, was schreckt mich noch?

Mein Glaube kennt des Heilands Sieg,

doch fühlt mein Herze Streit und Krieg,

mein Heil, erscheine doch!“  

 

Musik 1: Johann Sebastian Bach, Arie „Mein Jesus ist erstanden“, aus: J. S. Bach, Kantate BWV 67 „Halt im Gedächtnis Jesum Christ“; CD: Georg Christoph Biller / Thomanerchor Leipzig / Gewandhausorchester: Das Kirchenjahr mit Johann Sebastian Bach. Ostern. Kantaten BWV 4, 31, 67 / St.-Thomas-Ostermusik, Label Rondeau (ROP4045 / LC06690), Track 29; 02:48. 

Tiefe Finsternisse, an zahlreichen Orten

„Mein Glaube kennt des Heilands Sieg, doch fühlt mein Herze Streit und Krieg“. – So, wie Johann Sebastian Bach hier zu Ostern singen lässt, finde ich, hat die Osterbotschaft einen sehr ehrlichen Rahmen, der mir gut tut. 

Wer Ostern feiern will, der darf die tiefen Dunkelheiten, die es gibt, nicht verschweigen oder ausklammern. Es gibt tiefe Finsternisse, an zahlreichen Orten in der Welt und im Leben vieler Menschen. Darüber dürfen die Osterfreude und die Osterhoffnung nicht allzu schnell hinwegreden. 

Ähnlich wie die Bach-Kantate ist auch die Ostererzählung in der Bibel, die heute in den katholischen Gottesdiensten gelesen wird, mit dem Osterjubel erst einmal eher vorsichtig und zurückhaltend. Ostern beginnt ja in der Nacht und in der Dunkelheit. „Am ersten Tag der Woche kam Maria von Magdala frühmorgens, als es noch dunkel war, zum Grab,“ heißt es im Johannesevangelium (Johannesevangelium, Kapitel 20, Verse 1 -18). 

Dann gehen sie wieder nach Hause

„Als es noch dunkel war“: Maria Magdalena geht es schlecht am Ostermorgen! Jesus ist tot und begraben. Und der Verdacht liegt nahe: Alles, was er erzählt hat und womit er Hoffnung geschenkt hat - das ist alles nicht wahr. Maria hält das nicht aus und geht wenigstens zum Grab, um irgendwie auch nach Jesu Tod in seiner Nähe zu sein. Und selbst dann haben die Schrecken erst mal noch kein Ende: Der Stein, mit dem Jesu Grab verschlossen war, ist weggeschoben. Maria Magdalena rennt verstört zu den Jüngern und erzählt es ihnen. Zwei kommen mit ihr zum Grab zurück, schauen sich das Ganze an und finden das Grab bis auf die Leichentücher leer. 

Wie die Jünger reagieren, wird nicht erzählt, nur, dass einer von beiden „sah und glaubte“. Anschließend gehen sie wieder nach Hause, so erzählt es der Evangelist Johannes. 

Maria Magdalena aber bleibt am leeren Grab. Sie tut die ganze Zeit immer genau das, was sie ehrlich empfindet. Sie steht nachts auf und geht im Dunkeln zum Grab, sie findet es offen und schlägt Alarm, sie ist traurig und kommt gedanklich so gar nicht mit, also weint sie. Und jetzt bleibt sie in dieser schweren und unverständlichen Situation da und hält aus. Weinend beugt sie sich in die Grabkammer hinein. Jesu Leichnam ist nicht mehr da, aber stattdessen stehen da zwei Männer, die ihr erklären: Jesus ist auferstanden! 

Er ist wirklich auferstanden

Sie dreht sich um, und dann steht Jesus selbst da. Erst denkt sie, es sei ein Gärtner, aber dann nennt er sie beim Namen. „Maria!“ sagt Jesus zu ihr, und schickt sie noch mal zu den Jüngern, damit sie ihnen erzählt, dass er wirklich auferstanden ist. 

Um Maria Magdalena und diese Geschichte an Jesu Grab geht es auch in der nächsten Musik. Der Renaissance-Komponist Jacobus Gallus hat ihr zu Ehren Mitte des 16. Jahrhunderts eine vierstimmige Vokalmotette geschaffen, „Vespere autem Sabbati“: „Am frühen Morgen des ersten Wochentages kam Maria von Magdala, um nach dem Grab zu sehen.“ 

Musik 2: Jacobus Gallus: „Vespere autem Sabbati“; CD: „Christ ist erstanden. Gesänge zur Osterzeit. Augsburger Vokalensemble und Instrumentalisten / Christian Ridil“, Label Christophorus MusiContact GmbH (CHE 0161-2), Track 8, 01:40 

Es ist eben doch wahr

Ich finde es gut, dass auch in der Bibel erst allmählich aus der Dunkelheit das Osterlicht erwächst: Langsam dämmert aus der dunklen Nacht der Trauer und des Zweifels der neue Morgen und die helle Osterbotschaft herauf. In der Geschichte von Maria Magdalena ist das zu hören und zu spüren. 

Erst nach und nach erfährt sie: Die Nacht der Trauer hat ein Ende. Ein neuer Morgen der Hoffnung ist angebrochen. Das Leben hat über den Tod gesiegt. Jesus ist auferstanden. Maria aus Magdala ist die erste Osterzeugin, die den Jüngern jetzt, nach der Begegnung mit dem auferstandenen Jesus sagen kann: „Es stimmt! Alles, was Jesus gesagt und getan hat, ist eben doch wahr!“ 

Für mich ist sie eine starke, beeindruckende Frau, weil sie sich selbst vertraut und genauso gehandelt hat, wie ihr in ihrer Trauer ehrlich zumute war. Sie ist nicht einfach enttäuscht in den Alltag zurück geflohen oder weggelaufen; sie ist dageblieben, sie wollte es wirklich wissen. Sie hat sich zugestanden zu weinen, aber hat sich nicht abschrecken lassen. Maria war mutig und entschlossen genug, all ihrer Trauer auf den Grund zu gehen. Am leeren Grab begegnet sie Jesus, sie wird beim Namen genannt, sie versteht und wird mit der Oster-Nachricht gesendet! 

Langsames Dämmern in die schwingende Melodie

Der Kirchenmusiker und Komponist Jakob Gippenbusch, ein Jesuitenpater, hat 1642 mit 30 Jahren in Köln ein biblisches Erzähllied dazu veröffentlicht. Gekonnt kleidet er die Spannung zwischen Dunkel und Licht, zwischen Verzweiflung und Hoffnung, und das langsame Dämmern des Ostermorgens in die schwingende Melodie: 

„Nicht ruhen Magdalena kunnt,

bis sie den Herren Jesum fund.

Sie lief zum Grab und von dem Grab,

viel hin und her, viel auf und ab.“  

 

Musik 3: Jakob Gippenbusch: „Nicht ruhen Magdalena kunnt“, CD: „Christ ist erstanden. Gesänge zur Osterzeit. Augsburger Vokalensemble und Instrumentalisten / Christian Ridil“, Label Christophorus MusiContact GmbH (CHE 0161-2), Track 14; 02:39 

Immer ein besonderer Moment

Dass in Krisen und Untergängen österliches Licht erst allmählich zum Durchbruch kommt, das zeigen mir auch in jedem Jahr die österlichen Riten und Bräuche. Vor allem das Symbol der Osterkerze lässt mich das erleben. Nach dem Karsamstag, dem Tag von Jesu Grabesruhe, wird beim nächtlichen Gottesdienst am Osterfeuer eine große geschmückte Osterkerze angezündet mit den Worten: „Christus ist glorreich auferstanden vom Tod. Sein Licht vertreibe das Dunkel der Herzen!“ 

Es dauert dann oft noch einige Zeit, bis die neue Osterkerze wirklich verlässlich brennt, manchmal genügt schon ein leichter Wind, und sie geht wieder aus und muss neu entzündet werden.  

Als Gottesdienstgemeinde tragen wir dann die brennende Osterkerze mit dieser einen, flackernden Flamme in die völlig dunkle Kirche. Für mich ist es immer ein besonderer Moment, wenn ich als Pfarrer dazu dreimal feierlich singen darf „Lumen Christi – Christus, das Licht!“ Und die Gemeinde antwortet: „Deo gratias – Dank sei Gott!“ 

Dieses Licht leuchtet auch in Schmerzen

Die Dunkelheit schwindet dann erst nach und nach, ausgehend von dieser unscheinbaren einzelnen Flamme. Das Licht verteilt sich langsam, denn die Menschen in der Kirche haben Kerzen in den Händen, die ersten zünden sie an der großen Osterkerze an, und alle geben einander dann das Licht von Kerze zu Kerze weiter. Nach einiger Zeit haben alle eine brennende Kerze vor sich, und die Kirche ist verhalten und warm erleuchtet. Jesu Auferstehung, die wir an Ostern feiern, ist Licht in unserem Dunkel, soll das sagen. 

Und das Ostern nicht abgehoben sein soll, nur in einer fremden Sonderwelt, das sagen die Inschriften auf der Osterkerze. Auf ihr ist ein Kreuz angebracht, und darauf fünf Nägel, die an die Wunden Jesu erinnern. Das heißt: Dieses Licht leuchtet auch in Schmerzen und sogar im Sterben. Ein Hoffnungsbild dafür, dass gerade das Leiden an Ostern nicht vergessen ist. 

Darüber und darunter sind der erste und letzte Buchstabe des griechischen Alphabets, Alpha und Omega, dargestellt. Sie stehen für alles, was wir in Worten sagen und beschreiben können, von A bis Z, für Anfang und Ende, unsere ganze Wirklichkeit. Und dazu gehören die vier Ziffern der Jahreszahl, 2023. Ostern ist Gegenwart. Wir Menschen in diesem Jahr leben mit dem Licht des Ostermorgens, mit dem Auferstandenen Christus. 

„Todesengel, lasset ab“ 

Georg Philipp Telemann hat hochbetagt mit fast 80 Jahren in Hamburg im Jahr 1760 sein Oratorium „Die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu“ komponiert. Als musikalische Antwort auf die Begegnung Maria Magdalenas mit den Himmelsboten im leeren Grab gestaltet er die Arie: „Sei gegrüßet, Fürst des Lebens!“ 

Selbst noch inmitten der ersten strahlenden Klänge eines Ostermorgens bleibt darin wie in der biblischen Erzählung die Wirklichkeit des Dunkels noch präsent:

„Der die Toten auferweckte, sollte der im Grabe bleiben?“ so fragt der Dichter. Und er antwortet mit dem wiederholten österlichen Befehl: „Todesengel, lasset ab!“ 

Musik 4: G. Ph. Telemann: Arie „Sei gegrüßet, Fürst des Lebens“ (TWV 6:6); CD: „Telemann. Die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu. Rheinische Kantorei / Das Kleine Konzert / Hermann Max“, Label Capriccio DeltaMusic GmbH (10 596), Track 07 bis ca. 04:00 (nach „Todesengel, lasset ab!“, fade out) 

Christinnen und Christen feiern heute Ostern, das Fest der Auferstehung Jesu. Natürlich sind Dunkelheiten weiterhin da. Aber dieses Fest sagt mir: Das ist nicht alles. 

Am Ende siegt das Leben 

Das Licht des Ostermorgens mag im ersten Heraufziehen noch einen eher verhaltenen Glanz haben. Damit dieses Licht im Dunkel der Herzen immer mehr ankommen und sich ausbreiten kann, dafür geht Ostern im Kirchenkalender auch noch sieben Wochen weiter, fünfzig Tage lang bis Pfingsten. 

Die Osterkerze wird in den Kirchen und Kapellen ab heute besonders deutlich sichtbar an einer bevorzugten Stelle brennen, und in den Liedern dieser Zeit wird sich auffällig oft ein „Halleluja“ finden. 

Ich wünsche Ihnen, dass Sie mit aller Sehnsucht nach Licht und Leben eine frohe Osterzeit haben, viel Sonne und vor allem: Freude am Dasein. Denn darum geht es an Ostern. Gottes Sohn, hingerichtet am Kreuz, zeigt, dass Gottes Liebe stärker ist. 

Der Tod hat nicht das letzte Wort. Am Ende siegt das Leben. 

Musik 5: J.S. Bach: Choralvorspiel „Erschienen ist der herrlich Tag“ (BWV 629); CD 7/12 „Helmut Walcha: Bach. The Organ Works“; Label Archiv Produktion Polydor International GmbH (463 719-2), Tack 31, 01:10

 

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