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Allein unter Hardcore-Christen

Allein unter Hardcore-Christen

Martin Vorländer
Ein Beitrag von Martin Vorländer, Evangelischer Pfarrer und Senderbeauftragter für den DLF, Frankfurt

Ein Jahr an einer Highschool in den USA, das ist ein Traum!, dachte die 17-jährige Paulina Unfried. New York City, Los Angeles oder San Francisco, ich komme! Gelandet ist sie „mitten im Kornfeld“, wie man bei ihr zu Hause im hippen Berlin-Prenzlauer Berg sagt. Eine Kleinst-Stadt in Minnesota. 1500 Einwohner, 99 Prozent davon weiße Hautfarbe, heterosexuell, Trump-Wähler und fundamentale Christen. Ein Kulturschock für das Berliner Großstadtgirl. Wie sie den verkraftet, darüber hat sie in einem Zeitungsartikel geschrieben.

„Schwule und Lesben sind widerlich“, ruft ihre neue Klassenkameradin Ashlie durch den Raum. Als Paulina heftig widerspricht, sagt Ashlie den Satz nochmal. Und als sie in Biologie eine Arbeit über den Urknall schreiben, streicht Ashlie alle Fragen durch und schreibt stattdessen die Schöpfungsgeschichte aus der Bibel hin. Sie bekommt die volle Punktzahl. Ashlie ist kein Einzelfall. Die meisten an Paulinas Austauschschule denken wie Ashlie. Paulina steht ohne Freunde da. Die Wochenenden verbringt sie allein mit Fernsehserien. Bis Ashlie sie eines Abends anruft und zum Football-Match der Schule mitnimmt. Langsam lernen die beiden sich auch von anderer Seite kennen.

Paulina entdeckt positiv an Ashlie, dass sie viel nachdenkt. Sie kümmert sich nicht ständig um ihr Aussehen wie die anderen. Ashlie sagt zu Paulina: „Wenn du meine Meinung nicht teilst, dann versuche trotzdem, sie ernst zu nehmen und zu verstehen, warum ich dieser Meinung bin.“ Für Paulina klingt das ein bisschen pastoral. Aber sie geht am Sonntag manchmal mit in die Kirche. Nach dem Terroranschlag in Brüssel erwischt sie sich dabei, dass sie betet. Sofort ruft sie ihre Mutter in Deutschland an: „Hilfe, was ist, wenn ich zurückkomme und ganz anders bin?“

Nun, als schwulenfeindliche Betschwester kehrt Paulina nicht nach Berlin zurück. Trotzdem anders. Früher hätte sie gesagt: Klar bin ich tolerant. Aber jetzt hat sie erlebt: Toleranz fängt erst an, wenn der andere fundamental anders denkt als ich. Ich kann den anderen respektieren, auch wenn ich seine Meinung überhaupt nicht teile. Das will ich mir von Paulina abgucken: Weiter widersprechen und sich streiten. Und doch den Menschen sehen.

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