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Manche Kinder haben schwer erziehbare Eltern
Bild: Engin Akyurt/Pixabay

Manche Kinder haben schwer erziehbare Eltern

Andrea Weitzel
Ein Beitrag von Andrea Weitzel, Katholische Schulseelsorgerin und Religionslehrerin, Hanau
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„Das gibt es doch nicht! 5 Grad Minus und du willst nur im T-Shirt und mit einer dünnen Jacke zur Schule!? Ich verstehe das einfach nicht!“ Etwa drei Wochen sind vergangen, seit ich diese Sätze meinem Sohn nicht gerade entgegenhauchte. An jenem Tag hatten etliche Schulen immer noch aufgrund der Witterungsverhältnisse geschlossen. Mein Sohn jedoch fuhr leicht bekleidet und zudem nahezu kommentarlos mit dem Rad zur Schule.

Nun gut, auch ich schwang mich aufs Rad, um zu meiner Schule zu gelangen. Und ja, ich fror trotz Wintermantel, Mütze, Handschuhen. Zwar körperlich etwas abgekühlt, aber keineswegs gedanklich, führte mich mein Weg schnurstracks in unser Sekretariat. Dort saß unser jüngster männlicher Mitarbeiter, der nur wenige Jahre älter als mein Sohn ist. Also konnte ich es nicht verhindern, die morgendliche Auseinandersetzung zum Besten zu geben. Eigentlich hatte ich mir Zustimmung erhofft. Aber was geschah? Unser junger Mitarbeiter drehte sich zu mir um mit einem Grinsen breit, wissend, mitfühlenden und … doch nicht etwa mitleidig? Dann sagte er nur ein einziges Wort: „Und?“ Ich gebe zu, dass mich das vollends verunsicherte und so geriet ich ins Stocken. „Nun ja“, stammelte ich etwas hilflos, „er wird doch auf jeden Fall frieren und sich womöglich noch verkühlen.“ Die Antwort kam prompt: „Ach was, in dem Alter friert man nicht!“. Ungläubig blickte ich ihn an. Dann folgte seine freundliche, aber bestimmte Erklärung, dass wohlgemerkt insbesondere Jungs in diesem Alter nicht frieren würden und dass sie das außerdem tun würden, um zu rebellieren. „Oha“, dachte ich. Wunder Punkt! Er selbst hätte ein solches Verhalten inzwischen abgelegt, aber seinem jüngeren Bruder sei in dieser Hinsicht auch nicht zu helfen. Da müsse dieser, wie mein Sohn, einfach durch. Und ich ebenfalls, dachte ich, mit einem hoffentlich unterdrückten Stöhnen!

Children of a Revolution

Eigentlich war es von Anfang an klar gewesen, dass die Pubertät uns irgendwann in unvorhersehbare Situationen katapultieren würde. Und diese offenbaren sich anscheinend auch schon morgens um kurz vor sieben. In diesen Momenten sehne ich die in mancher Hinsicht einfachen Zeiten zurück, in denen ich als wichtigste Ratgeberin, engste Vertraute, unumstrittene Stilikone, unangefochtene Inhaberin von Weisheit, Recht, jeglicher Orientierung nur hatte gewinnen können. Jetzt also die Revolution in Turnschuhen und T-Shirt, die mich schnell und erbarmungslos auf den Boden der Tatsachen zurückholt.

Vom Mut, die Kinder so sein zu lassen, wie sie sind

Rational habe ich ja auch alles - klar. Aber emotional nicht und dann gerate ich auch ohne Blitzeis ins Straucheln. Denn ich vergesse schlichtweg, wie wir am Anfang miteinander angetreten sind. Damals, als dieses kleine Bündel Mensch zart, hilflos und unglaublich bezaubernd in meine Arme gelegt wurde. Welches wir dann, er konnte schon krabbeln, in der Taufe unter den Segen Gottes stellten. Ganz genau wissend, dass wir ihn irgendwann würden loslassen müssen. Ihn seine eigenen Wege finden und eigenen Fehler durchlaufen lassen müssten. Für diese Zeiten würden wir viel Gottvertrauen brauchen. Ja, ich erinnere mich genau an meine schlauen Worte von damals.

Und jetzt wird es sich zeigen, ob es mich wirklich trägt, dieses Vertrauen in Gottes Nähe und seinen Segen. Diese Hoffnung fern jeglicher Vernunft. Vertrauen und Hoffnung in Gott, deren eigentliche Bedeutung es doch ist, in mir selbst etwas wachsen zu lassen: Zuversicht, dass unsere Kinder zu glücklichen Erwachsenen heranwachsen. Mut, sie in dem zu unterstützen, wohin Herz und Verstand sie leiten. Und ganz viel Kraft für das Elternsein überhaupt, für alle schrecklich schönen und ganz schön schrecklichen Momente.

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