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Vertragen – vergeben – versöhnen
Bild: pexels / Ketut Subiyanto

Vertragen – vergeben – versöhnen

Carmen Jelinek
Ein Beitrag von Carmen Jelinek, Evangelische Dekanin, Kirchenkreis Kaufungen
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Wenn wir draußen in der Siedlung mit den Nachbarskindern gespielt haben, dann gab es manchmal Streit wegen eines Spielzeugs, einer Süßigkeit oder etwas anderem. 

„Vertragt euch wieder“

Beschimpften wir uns laut oder fingen gar an zu heulen, kamen unsere Mütter herbeigerannt. Sie versuchten, uns zu beruhigen. Irgendwann sagte eine von ihnen: „So, nun gebt euch die Hand und vertragt euch wieder, jetzt ist alles wieder gut.“

So richtig anschauen konnten wir uns noch nicht, so richtig vergeben schon gar nicht. Aber wir schüttelten die Hände. Spätestens nach zehn Minuten waren wir wieder beste Freundinnen und spielten weiter als sei nichts gewesen. 

Vergeben fällt mit zunehmendem Alter schwerer

Heute als Erwachsene ist das nicht mehr so einfach. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal gesagt habe: „Lass uns wieder vertragen.“ Meist grüble ich lange über den Streit und versuche, mir meine Position zu erklären. Außerdem fällt es nicht so leicht, über den eigenen Schatten zu springen. 

Vom Kopf her kann ich mir leicht sagen, dass ich jemandem vergeben sollte, aber gefühlsmäßig funktioniert das nicht. Manchmal sind auch die Verletzungen zu groß. Ich muss erstmal meine Wut rauslassen über das, was ich erlitten habe, muss meinem Ärger Luft machen, darüber sprechen.

Die zweite Backe hinhalten?

Ich kann nicht so schnell, dem nachkommen was Jesus von Christinnen und Christen fordert:

Wehrt euch nicht gegen Menschen, die euch etwas Böses antun! Sondern, wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, dann halte ihm auch die andere Backe hin! (Mt 5,39) 

Das fällt mir sehr schwer. 
Ich merke, ich muss den Kopf einschalten. 

Manchmal hilft mir die Vorstellung, dass andere unter mir mindestens genauso so leiden wie ich selbst. 

Vergeben kann auch befreiend sein 

Mir ist auch klar: Vergeben kann sehr befreiend sein. Das habe ich schon so erlebt, wenn ich anderen wehgetan habe. 

Ich muss wieder an meine Kindheit denken. Wir haben uns die Hände reichen müssen, ohne weiter darüber zu diskutieren und die Frage zu klären, wer im Recht ist. Damals wussten wir noch nicht, dass immer auf seinem Recht beharren, keine gute Lösung ist. Die macht den Schmerz immer noch schlimmer.

Als Kinder haben wir einfach ein anderes Spiel begonnen. Haben das, was war, hinter uns gelassen. Der Blickwechsel hat uns geholfen, unsere Freundschaft aufrechtzuerhalten.

Der erste Schritt zum Vergeben

Ich weiß, dass dies heute unter Freunden nicht immer so leicht geht wie damals beim Spielen. Ich möchte aber nicht nur auf das sehen, was mich gerade verletzt hat. Ich möchte den anderen im größeren Zusammenhang unserer Freundschaft sehen. Ich möchte vor allem daran denken, was ich an Gutem durch ihn habe. Dieser andere Blick ist der erste Schritt, nicht nur auf mein Recht zu sehen. Es ist der erste Schritt zur Vergebung.                
 

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