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Sie erkennen ihn am Brotbrechen
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Sie erkennen ihn am Brotbrechen

Prof. Dr. Thomas Hieke
Ein Beitrag von Prof. Dr. Thomas Hieke, Professor für Altes Testament an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
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(Musikauswahl: Regionalkantorin Mechthild Bitsch-Molitor, Mainz)

Ich erinnere mich an einen wichtigen Teil meiner Kindheit: Ich war Messdiener, Ministrant. Ich gehörte zu den Kindern und Jugendlichen, die im christlichen Gottesdienst aktiv sind: Sie tragen Kerzen oder Weihrauch und bringen die Gaben von Brot und Wein zum Altar. Die Kinder sind vorne mit dabei. Für mich war das ein Zeichen, dass ich jetzt schon groß war. In der katholischen Eucharistiefeier, dem Gottesdienst mit Abendmahl, durfte ich öfter das Brot und den Wein zum Altar tragen. Mit feierlichen Gebeten hat dann der Priester eine große Brotscheibe, die Hostie, gezeigt. Danach wurde sie gebrochen.

Ich brauchte lange, bis ich es verstanden habe

Dann wurde das Brot an alle ausgeteilt. Normalerweise bekommt man da ein kreisrundes, ausgestanztes Plättchen, das nur entfernt an Brot erinnert, eher an eine Backoblate. Weil ich aber als Ministrant vorne mit dabei war, bekam ich manchmal ein Stück von der gebrochenen, großen Hostie – ich hab es erkannt an der gebrochenen Form. Es war das gleiche Weizenbrot wie die übrigen Plättchen – und doch war ich besonders berührt, wenn ich das gebrochene Stück in Händen hielt und essen durfte. Ich brauchte lange, bis ich verstanden habe, warum das so war.

Musik 1: Wilhelm Keller (1920-2008): Lamm Gottes (aus: Ökumenische Messe) (CD: Ante – Post – Carl Orff, Niederaltaicher Scholaren, Ltg. Konrad Ruhland, Track 21, 0:44)

Wie kann ich an jemanden glauben, der nicht da ist?

Mit neun Jahren durfte ich zum ersten Mal dieses heilige Brot in meiner katholischen Heimatkirche essen – am 11. April 1977. Meine Erstkommunion war an einem Ostermontag wie heute. Am Ostermontag liest man in den christlichen Kirchen die Geschichte, die mit dem Dorf Emmaus bei Jerusalem verbunden ist. Ich kenne diese Emmaus-Geschichte seit frühester Kindheit. Sie ist für mich sehr wichtig und zentral für das Christentum: Sie erzählt viel darüber, was das Christentum im Innersten zusammenhält – und warum das Brechen des Brotes ins Zentrum führt. Diese Erzählung überliefert das Neue Testament im Lukasevangelium, im 24. Kapitel. Die Geschichte gibt eine Antwort auf die Frage: Wie kann ich an jemanden glauben, der nicht da ist?

Musik 2: Arnold Matthias Brunckhorst (um 1670-1725): Ritornell (aus: Oster-Historie) (CD: Musica Poetica – Brunckhorst, Ensemble Musica Poetica Freiburg, Ltg. Hans Bergmann, Track 25, 1:20)  

Jesus hat ihrem Leben wieder Sinn gegeben

Die Geschichte von Ostern und von Emmaus fängt vor 2000 Jahren an. Ein Mann namens Jesus von Nazaret trat auf. Das ist auch aus Quellen, die nichts mit der Bibel der Christen zu tun haben, gesichert. Historisch betrachtet, war dieser Jesus einer von mehreren Männern, die im römischen Reich von Statthaltern verurteilt und von Soldaten hingerichtet wurden. Grund war meist, dass es eine größere Schar von Anhängern gab, und die römische Besatzungsmacht fürchtete solche oppositionelle Massen-Bewegungen.

Für die Freundinnen und Freunde von Jesus von Nazaret stellte sich die Sache anders dar: Jesus hat ihrem Leben wieder einen Sinn gegeben, er hat ihnen von Gott erzählt und ihnen eine Hoffnung gegeben: Auch dein Leben kann gelingen! Klar, dass sie ihm nachliefen. Aber nachdem die Römer diesen vermeintlichen Anführer von Aufständischen wie einen rebellischen Sklaven ans Kreuz geschlagen hatten – war ihr Freund und Vorbild tot und nicht mehr da. Die Hoffnungen hatten sich zerschlagen.

Musik 3: Johann Valentin Meder (1649-1719): Sinfonia coll’Aria „O Traurigkeit, o Herzeleid“ (aus: Matthäuspassion) (CD: Hortus Musicus Vol. 1, Der Tallinner Motettenchor / Hortus Musicus, Ltg. Andres Mustonen, Track 72, 2:32) 

Der entscheidende Kick fehlt noch

Die Freundinnen und Freunde von Jesus sind nach dessen Tod am Kreuz in ihren Alltag zurückgekehrt. Hier beginnt unsere Geschichte. Zwei dieser jungen Leute wandern todtraurig in ihr Heimatdorf Emmaus. Nun ist er weg, ihr Jesus, von dem sie so viel erhofft hatten. Auf ihrem Weg mischt sich einer in ihr trauriges Gespräch ein. Der geheimnisvolle Dritte lässt sich alles erzählen, was den beiden auf dem Herzen liegt. Auch das Gerücht, dass die Frauen die Leiche dieses Jesus nicht mehr gefunden haben. Dass ihnen Engel gesagt haben, er lebe. Welch eine Zumutung: erst der Frust darüber, dass er weg ist, dann noch diese Schauergeschichte von einem Untoten. Während die beiden den Kopf schütteln, dreht der Dritte richtig auf. Er erklärt ihnen, warum das alles so hat sein müssen. Dabei beruft er sich auf das, was die zwei jungen Leute aus Emmaus seit früher Jugend kennen: die Heiligen Schriften des Volkes Israel. Diese Geschichten, Vorschriften und Gebete von Mose, von den Propheten und die Psalmen sind ihnen vertraut – und von hier ausgehend verstehen sie mehr und mehr, was das mit Jesus eigentlich sollte. Doch der entscheidende Kick fehlt noch. 

Es ist Jesus, ihr Freund...er lebt!

Die zwei jungen Leute und ihr Begleiter erreichen Emmaus, aber die beiden können noch nicht genug von dem anregenden Gespräch bekommen. So laden sie den Fremden in ihr Haus zum Essen ein. Da wird aus dem Gast der Gastgeber: Der Unbekannte nimmt das Brot, er spricht den üblichen Lobpreis (was normalerweise der Gastgeber macht). Er bricht das Brot und gibt es ihnen – und in diesem Moment gehen den jungen Leuten Augen, Ohren und das Herz auf: Es ist Jesus, ihr Freund, ihre Hoffnung, ihre Zukunft – er lebt!

Musik 4: Heinrich Schütz (1585-1672):Auferstehungshistorie (CD: Schütz: Easter Historia – Bernius, Kammerchor Stuttgart, Musica Fiata Köln, Ltg. Frieder Bernius, Track 7, 5:22-7:57 [2:35]) 

Ihre Traurigkeit ist verflogen

Jesus nahm das Brot, sprach den Lobpreis, brach es und gab es ihnen (Lk 24,30). Und dann sehen die beiden jungen Leute Jesus nicht mehr, aber das macht ihnen nichts aus. Ihre Traurigkeit ist verflogen, Augen, Ohren und Herz sind offen. Sie sagen zueinander: „Brannte nicht unser Herz in uns, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schriften eröffnete?“ (Lk 24,32). Das gemeinsame Gespräch über die Heiligen Schriften hat ihnen gezeigt, worauf sie vertrauen dürfen. Nun wissen sie: Auch, wenn wir Jesus nicht sehen – wir können auf ihn vertrauen. Wir können den heiligen Schriften glauben, wir können unser Leben darauf bauen. Doch noch sind die zwei allein – und sie merken, sie dürfen nicht allein bleiben, und so rennen sie mitten in der Nacht zurück nach Jerusalem und treffen die anderen Freundinnen und Freunde von Jesus. 

Kontakt zu jemanden halten, der körperlich nicht da ist

Die wissen es schon: Ja, Jesus lebt, er ist auch dem Simon Petrus erschienen. Und die zwei aus Emmaus erzählen, was sie unterwegs erlebt und wie sie ihn erkannt hatten, als er das Brot brach (Lk 24,35). So können sie jetzt an den glauben, der nicht da ist. Aber sie glauben, dass er doch da ist, mitten unter ihnen, wenn sie die Heiligen Schriften miteinander studieren und das Brot miteinander teilen.

Diese zwei Strategien bestimmen bis heute das Feiern der Christinnen und Christen: Die Heilige Schrift lesen und darüber sprechen – und das Brot brechen und austeilen. So halten Christinnen und Christen über 2000 Jahre den Kontakt zu einem, der körperlich nicht da ist. Doch Jesus ist da – wenn Menschen, die an Jesus glauben, die Heilige Schrift betrachten und das Brot miteinander brechen.

Musik 5: Sven-Erik Bäck (1919-1994), Der du uns weit voraus ins Reich der Ängste gingst (CD: Geistliches Wunderhorn, Windsbacher Knabenchor, Ltg. Karl-Friedrich Beringer, Track 22, 3:00) 

Die Geste des Brotbrechens verbindet sie untereinander

Zwei junge Leute haben auf ihrem Weg nach Emmaus lange nicht gemerkt, dass ihr Freund Jesus bei ihnen ist. Doch dann gingen ihnen die Augen auf. Sie hatten ihn erkannt, als er das Brot brach“ (Lk 24,35). Das bringt mich zu meinen Jugenderlebnissen zurück. Ich weiß nun, warum ich so berührt war, wenn ich im Gottesdienst ein gebrochenes Stück von der großen Brotscheibe bekam. Das gebrochene Brot ist der zentrale Moment, der die Augen und das Herz öffnet. Jesus, der eigentlich weg ist, ist gegenwärtig, ich habe Beziehung, Freundschaft zu ihm, nicht als einzelner, sondern in der Gemeinschaft mit allen, die das Brot und ihr Leben miteinander teilen. Die Geste des Brotbrechens verbindet – die Glaubenden mit Jesus und untereinander. Der Apostel Paulus schreibt an die Gemeinde in Korinth: „Ist das Brot, das wir brechen, nicht Teilhabe am Leib Christi? Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot“ (1 Kor 10,16–17). 

Hier wird ein Mahl zusammen gefeiert

Ich finde es wichtig, wenn das in den Gottesdiensten wieder sichtbarer und spürbarer werden könnte: das gebrochene, geteilte Brot, das alle Christinnen und Christen verbindet und verbündet. In manchen Gemeinden werden große Brotscheiben verwendet, die vielfach gebrochen werden – alle bekommen ein Stück davon und alle essen gemeinsam, gleichzeitig. Das finde ich eindrucksvoll. Die Menschen erkennen Jesus beim Brechen des Brotes. Selbst jemand, der noch nie von Jesus gehört hat, wird etwas Besonderes merken: Hier wird nicht eine Tablette oder Oblate an jeden einzelnen für sich ausgeteilt, sondern ein Mahl gemeinsam gefeiert. Wenn das Brot wirklich gebrochen und geteilt und ausgeteilt wird, dann – so meine Hoffnung – ist es leichter zu spüren, dass Jesus Christus gegenwärtig ist und die gemeinsam Feiernden verbindet. 

Das geht auch ohne Wein, der die Stimmung hebt

Als Kind und Jugendlicher hat mich dieses Brotbrechen und Austeilen in das Innerste des christlichen Glaubens hineingeführt. Es ist ein gut zu verstehendes Zeichen, das sehr friedlich ist: gebrochenes, geteiltes Brot. Auch Menschen, die nicht oder anders gläubig sind, kann das ansprechen. Ich erlebe das manchmal, wenn ich mit lieben Menschen am Esstisch sitze. Wenn wir Brot miteinander brechen und teilen und gemeinsam essen, dann geschieht etwas: Die Gesichter sind einander zugewandt, die Blicke öffnen sich, vielleicht auch die Herzen, Unsicherheiten verschwinden, Vertrauen wächst, Verkrampfungen lösen sich – alle werden lockerer, freundlicher, fröhlicher. Das geht auch ohne Wein, der die Stimmung hebt. Das sichtbare und erfahrbare Brechen und Aus-Teilen des Brotes verbindet und stiftet Gemeinschaft, Kommunion. Gemeinschaft untereinander und mit Gott in Jesus Christus. Für mich wächst dann die Hoffnung: Menschen werden gemeinsam in Verbundenheit und Liebe viel mehr erreichen.

Musik 6: Nicolas Gombert (um 1490-1560): Agnus Dei (CD: Calmus – Best of 20 years, Track I-11, 2:34)

 

 

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