Ihr Suchbegriff
Beitrag anhören:
Was mache ich mit Macht?
GettyImages/tolgart

Was mache ich mit Macht?

Michael Tönges-Braungart
Ein Beitrag von Michael Tönges-Braungart, Pfarrer
Beitrag anhören:

Menschen streben nach Macht. In der Politik ist das ganz normal. Da ist es sogar eine wichtige Voraussetzung für eine politische Karriere. Manchmal heißt es: Einer Politikerin oder einer Partei fehlt der Wille zur Macht. Das ist kein Kompliment, sondern meint: Da ist jemand nicht bereit, Verantwortung zu übernehmen. Ähnlich ist es auch in der Arbeitswelt. Wer da eigene Ideen voranbringen will, braucht Mitstreiter, Lust am Gestalten und auch Macht, um die Ideen dann umzusetzen.  

Macht um jeden Preis

Im persönlichen Miteinander betrachten viele das Streben nach Macht eher kritisch. Wenn einer da allzu machtbewusst auftritt, heißt es: Der will um jeden Preis seine eigenen Interessen durchsetzen. Alles muss so laufen, wie es ihm passt – ohne Rücksicht auf andere. Da will ein Vater bestimmen, welches Studium oder welche Ausbildung die Kinder beginnen. Andernfalls, so droht er, hätten sie nicht mit seiner Unterstützung zu rechnen. Oder eine Freundin will in jedem Fall ihre Vorlieben durchsetzen und das letzte Wort haben, wenn es darum geht, einen Ausflug gemeinsam zu planen. Da missbrauchen Menschen ihre Macht – auf Kosten anderer.

Macht in der Kirche

Das passiert auch in der Kirche. Denn auch dort gibt es Machtstrukturen. In der katholischen Kirche ist das offensichtlich: da gibt es klare Hierarchien. Martin Luther hat sich mit der Reformation sich gegen diese Hierarchien gewandt. Für ihn war wichtig: Kein Christ, keine Christin ist wertvoller oder heiliger als andere. Das ist bis heute ein Grundsatz der evangelischen Kirche.
Immer wieder leiten Menschen aus diesem Grundsatz ab: Weil kein Christ wichtiger ist als der andere, sollte auch keiner mächtiger sein. Aber auch die evangelische Kirche kommt nicht ohne Macht aus. Auch da gibt es Menschen, die mehr Macht haben als andere. Aber weil es keine so klaren Hierarchien gibt, wird Macht oft eher versteckt ausgeübt und kaschiert. Dadurch ist sie weniger sichtbar und kontrollierbar – und manchmal auch gefährlicher. Die ForuM-Studie zu sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche hat das deutlich gezeigt.

Wie ist das also mit der Macht? Sollten Christ:innen besser nicht danach streben?

Musik:

In der Bibel gibt es eine Geschichte, in der Jesus und seine Jünger die Machtfrage stellen:

Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, traten zu Jesus und sagten zu ihm: »Lehrer, wir möchten, dass du uns eine Bitte erfüllst.« Jesus fragte sie: »Was möchtet ihr denn? Was soll ich für euch tun?« Sie antworteten: »Lass uns neben dir sitzen, wenn du in deiner Herrlichkeit regieren wirst – einen rechts von dir, den anderen links.«

Aber Jesus sagte zu ihnen: »Ihr wisst nicht, um was ihr da bittet! Könnt ihr den Becher austrinken, den ich austrinke? Oder könnt ihr die Taufe auf euch nehmen, mit der ich getauft werde?«

Sie erwiderten: »Das können wir!« Da sagte Jesus zu ihnen: »Ihr werdet tatsächlich den Becher austrinken, den ich austrinke. Und ihr werdet die Taufe auf euch nehmen, mit der ich getauft werde. Aber ich habe nicht zu entscheiden, wer rechts und links von mir sitzt. Dort werden die sitzen, die Gott dafür bestimmt hat.«

Die anderen zehn hörten das Gespräch mit an und ärgerten sich über Jakobus und Johannes.

Da rief Jesus auch sie herbei und sagte zu ihnen: »Ihr wisst: Diejenigen, die als Herrscher der Völker gelten, unterdrücken die Menschen, über die sie herrschen. Und ihre Machthaber missbrauchen ihre Macht.

Aber bei euch ist das nicht so: Sondern wer von euch groß sein will, soll den anderen dienen. Und wer von euch der Erste sein will, soll der Diener von allen sein.« (Markus 10, 35-44)

Machtfantasien der Jünger

Unmöglich, wie sich Johannes und Jakobus in der Geschichte verhalten. Zu fordern, in Gottes Reich den Platz direkt neben Jesus zu bekommen, vielleicht sogar mit ihm dort zu regieren. Wo bleibt da die christliche Bescheidenheit? Die anderen Jünger sind empört.

Sie ärgern sich. Weil Johannes und Jakobus so dreist und unbescheiden sind. Oder weil sie es gewagt haben, das auszusprechen, was sich die anderen heimlich auch wünschen. Anerkennung und Macht - wenn nicht auf Erden, dann doch im wenigstens Himmel.

Schließlich tun sie so viel für Jesus. Sie begleiten und unterstützen ihn. So kann Jesus sich um andere Menschen kümmern und Gottes Botschaft in die Welt tragen. Ehrenplätze im Himmel wären dafür angemessen, denken die beiden.

Was habe ich von meinem Engagement?

Ich verstehe das gut. Ich glaube, vielen Menschen geht es ähnlich.  Vielleicht würden sie es heute etwas anders formulieren: Ehrenplätze im Himmel erwarten die wenigsten. Aber viele Menschen sehnen sich danach, im Leben mehr Wertschätzung zu bekommen – auf der Arbeit, in der Familie, für das Ehrenamt im Verein oder auch in der Kirche. Wer da viel Zeit und Kraft für andere einsetzt, fragt sich mit Recht: Was bringt mir mein Engagement?

Engagement bereichert

Eine mögliche Antwort hat eine Frau, die ehrenamtlich viel Zeit bei der Tafel investiert. Sie sagt: „Ich tue damit etwas Sinnvolles, ich helfe anderen; aber dass ich da ehrenamtlich mitarbeite, das gibt auch meinem Leben noch einmal einen anderen Sinn; das bereichert mich.“ Ähnliches berichten viele, die sich für Geflüchtete engagieren.

Es ist ein ehrliches und berechtigtes Motiv für ihr Engagement, dass auch sie etwas davon haben – nicht materiell, aber auf anderer Ebene.

Der Wunsch nach Anerkennung

So verstehe ich auch die beiden Jünger mit ihrem Wunsch nach mehr Anerkennung und Einfluss im Himmel. Und ich finde es nur recht und ehrlich, dass sie ihren Wunsch ganz offen formulieren. Das ist doch besser als immer drum herum zu reden oder gar nicht erst herauszurücken mit dem, was man möchte.

Jesus reagiert deshalb auf diesen Wunsch auch nicht entrüstet. Er schwingt nicht die Moralkeule, nach dem Motto: So eigennützig zu denken, das gehört sich nicht – und das auch noch offen zu sagen schon gar nicht!

Macht und Anerkennung im Himmel

Jesus reagiert freundlich, liebevoll, verständnisvoll.

Aber Jesus wehrt trotzdem die Bitte der beiden Jünger ab. Denn er weiß: Egal wie viel die beiden leisten und welche Anerkennung sie dafür auch verdienen, mehr Macht im Himmel bekommen sie dadurch nicht. Deshalb sagt Jesus: Aber ich habe nicht zu entscheiden, wer rechts und links von mir sitzt. Dort werden die sitzen, die Gott dafür bestimmt hat.“

Über diese Plätze bestimmt Gott allein. Niemand hat ein Recht auf Ehrenplätze oder ein Recht, bei deren Verteilung mitzureden. Niemand hat ein Recht darauf, mit einmal mit Jesus im Himmel zu herrschen.

Musik:

Johannes und Jakobus bitten Jesus: „Wir wollen etwas davon haben, dass wir dir nachfolgen! Eine Anerkennung! Wir wollen Anteil an deiner Macht, wenn du einmal herrschen wirst.“ Dieser Wunsch der Jünger bleibt unerfüllt. Stattdessen stellt Jesus ihren Wunsch in einen anderen Zusammenhang. Er spricht mit ihnen über Macht.

Er sagt: „Ihr wisst: Diejenigen, die als Herrscher der Völker gelten, unterdrücken die Menschen, über die sie herrschen. Und ihre Machthaber missbrauchen ihre Macht.“

Unbegrenzte Macht: eine Gefahr

So geht es in der Welt oft zu. Damals hatte Jesus das römische Reich im Blick – und die Vasallenherrscher, die sein Land besetzt und sein Volk unterdrückt haben. In unserem Land ist es heute anders – Gott sei Dank!  Wir leben in einer Demokratie, und im Grundgesetz heißt es: „Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus“ – Die Macht liegt also bei uns.

Anders ist es, wenn wir nach Russland oder in den Iran oder nach China schauen. Da sehen wir, was eine Diktatur bedeutet, in der freie Meinungsäußerung unterdrückt wird und Grundrechte mit Füßen getreten werden. Und wir sehen im Krieg gegen die Ukraine, was ein Machthaber wie Putin anrichtet – und wie bislang niemand ihm Einhalt gebieten kann. Wir sehen, welche Gefahr es bedeutet, wenn ein Mensch scheinbar unbegrenzte Macht hat.

Alle Macht geht vom Volk aus

Aber auf der anderen Seite stimmt auch: Ganz ohne Macht und Gewalt kommt menschliches Zusammenleben, kommt eine Gesellschaft nicht aus. Momentan erleben wir schmerzlich, dass das auch für das Zusammenleben von Völkern und Staaten zutrifft; dass Frieden manchmal nicht ohne Gewalt erreicht oder erhalten werden kann.

Ohne Macht und Gewalt kommt keine Gesellschaft aus. Wichtig ist es, dass Macht und Gewalt vom Volk ausgehen; sodass es sich um kontrollierte Macht und kontrollierte Gewalt handelt.

Jesus kritisiert Machtmissbrauch

Jesus wusste natürlich nicht, wie politische Systeme heute aussehen. Trotzdem verstehe ich seine Kritik am Missbrauch von Macht auch als Kritik an solchen Staatsformen, in denen Macht nicht richtig kontrolliert wird.

Erst recht gilt die Kritik am Machtmissbrauch für das Miteinander unter Christinnen und Christen. Dazu sagt Jesus: „Die Herrscher der Völker unterdrücken die Menschen und missbrauchen ihre Macht. Aber bei euch ist das nicht so: Sondern wer von euch groß sein will, soll den anderen dienen.“

Musik:

Die als Herrscher der Völker gelten, unterdrücken die Menschen. Machthaber missbrauchen ihre Macht“, sagt Jesus, „Aber bei euch ist das nicht so.“ Unter Christ:innen und in der Kirche soll es anders sein. Keiner herrscht oben, keiner wird unten klein gehalten. Keiner missbraucht die Macht, die ihm gegeben ist.

Dabei sind Macht und Herrschaft an sich nichts Schlechtes.

Wenn ich Macht habe, bedeutet das: Ich kann etwas bewirken; ich kann auf andere Menschen einwirken; ich kann ihr Handeln beeinflussen – und zwar zum Guten. Jeder von uns möchte das.

Die Macht, Gutes zu bewirken

Eltern entscheiden, wie lange ihre Kinder täglich am Computer sitzen dürfen – und wann eben Schluss ist. Sie leben ihren Kindern vor, was ihnen selber wichtig ist, z.B. niemanden wegen seiner Hautfarbe oder seiner Religion zu verachten.

Eine Lehrerin achtet besonders auf Schüler, die es nicht leicht haben mit dem Unterrichtsstoff. Sie ermutigt diese Kinder und schaut nicht nur auf die erbrachten Leistungen, sondern auch auf das Bemühen, das dahintersteckt. Und sie sorgt dafür, dass andere diese Kinder unterstützen. 

Parteien werben um Wählerstimmen, weil sie etwas bewirken wollen. Weil sie ihr Programm umsetzen und die Wirtschaft stärken oder Ungerechtigkeit abbauen oder den Klimawandel bekämpfen wollen. Und weil sie dafür Macht brauchen.

Macht braucht Grenzen

Diese politische Macht ist von allen oder zumindest den allermeisten akzeptiert und legitimiert – durch Wahlen. Sie ist nicht willkürlich, sondern das Volk beauftragt die politisch Verantwortlichen dazu. Und: Die Macht ist durch Gesetze klar begrenzt und zeitlich befristet. Genauso ist das in der evangelischen Kirche. Auch hier wird über Ämter und die damit verbundene Macht durch Wahlen entschieden:

Menschen lassen sich in den Kirchenvorstand wählen, weil sie ihre Kirche am Ort mitgestalten möchten. Weil sie mitentscheiden wollen, wofür die Kirche ihr Geld ausgibt, welche Gottesdienste gefeiert werden und was eine Gemeinde für Kinder und Jugendliche tut.

Wer Macht hat, hat auch Verantwortung

Wer Macht hat, hat damit also die Möglichkeit zu gestalten – in der Kirche, in der Politik, in Beruf und Familie. Und er hat den Auftrag, Entscheidungen zu treffen. Darin steckt eine große Chance. Aber auch viel Verantwortung.

Wie gelingt es, Macht zu nutzen, ohne sie ausnutzen? Da hat Jesus einen klaren Maßstab gesetzt: „Wer von euch der Erste sein will, soll der Diener von allen sein.“ Damit hat er zuallererst selber ernst gemacht. Alles, was Jesus gesagt und getan hat, war ein Dienst an den Menschen.

Jesus setzt seine Macht für andere ein

Er hat sich an die Seite einer Frau gestellt, die Ehebruch begangen hat. Das stand damals unter Strafe. Ihre Ankläger fällen ein hartes Urteil: Die Frau wird gesteinigt. Jesus soll das bestätigen. Aber er nutzt seine Macht und seinen Einfluss und stellt sich an die Seite der Frau. Mit nur einem Satz nimmt er den Anklägern den Wind aus den Segeln. Er sagt: „Wer unter euch ohne Fehler ist, der werfe den ersten Stein.“

Ein anderes Mal ist ein Zollbeamter zu Jesus gekommen. Den haben alle gemieden, weil er korrupt und gewissenlos war. Aber Jesus hat sich demonstrativ zum Essen bei diesem Mann eingeladen. So hat er gezeigt: Auch der Zollbeamte hat verdient, dass er als Mensch behandelt wird. 

Die Macht, Dinge zu ändern

Jesus ging es darum, Menschen Gutes zu tun. Dafür hat er seine Macht genutzt. Er hat Menschen, die von anderen klein gemacht wurden, wieder aufgerichtet. Er hat denen, die von den anderen verachtet wurden, ein Ansehen gegeben. Und denen, die auf einen falschen Weg geraten waren, neue Orientierung. Jesus hat Menschen gezeigt: Du bist wertvoll, so wie du bist. Gott sieht dich. Bei ihm bist du angesehen. Das bedeutet: ich muss mich nicht selber groß machen und nicht versuchen, groß rauszukommen.

Musik:

Ich muss mich nicht selber groß machen. Ich muss meinen Wert nicht ständig unter Beweis stellen. Ich muss mir den Himmel nicht verdienen.

Denn den bekomme ich geschenkt. Zwei Ehrenplätze im Himmel, rechts und links neben Jesus, die gibt es nicht. Im Himmel hat jeder einen Ehrenplatz. Auf dem wird jeder von uns von Gott mit Wertschätzung und Anerkennung überschüttet. Nicht für das, was ich getan habe, sondern einfach, weil ich bin, wer ich bin. Daran glaube ich fest. Und das verändert mein Leben auch schon jetzt.

Frei, um Gutes zu tun

Denn es bedeutet: Ich muss die Macht, die ich in meiner Familie, in meinem Beruf oder meinem Verein habe, nicht dafür nutzen, mich zu profilieren. Sondern ich kann sie dafür nutzen, um anderen etwas Gutes zu tun, anderen zu dienen.

Ein Satz aus der Bibel zeigt mir, wie das gelingt. Er lautet: „Dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat“ (1. Petrus 4,10)

Gott hat jedem von uns Begabungen geschenkt und Stärken, Fähigkeiten und Eigenschaften. Dazu sammeln wir Berufserfahrung und Lebenserfahrung, meistern manche Krise, erleben Glück und Wohlergehen – auch über das hinaus, was ich mir selber erarbeite. 

All das kann ich klug nutzen, sodass es nicht nur mir dient, sondern auch anderen. Ich kann damit Gutes bewirken – nicht nur für mich, sondern auch für andere.

Macht klug einsetzen

Und das gilt dann auch im Blick auf die Macht, die ich habe in der Familie, im Beruf, im Verein – oder auch in der Kirche. Diese Macht verleiht mir die Möglichkeit, etwas zu bewirken und auf andere einzuwirken. Ich kann sie so einsetzen, dass sie zu etwas dient, dass sie Gutes bewirkt – für andere und auch für mich. Wenn gegensätzliche Meinungen und Interessen aufeinanderprallen, dann kann ich dafür sorgen, dass nicht gleich die sich durchsetzen, die am lautesten sind. Sondern dass auch die leisen Stimmen gehört werden und zu ihrem Recht kommen. Ich kann meine Macht so einsetzen, dass sie diejenigen schützt, die darauf besonders angewiesen sind.

Von gut genutzt Macht profitieren alle

Der Wunsch nach Anerkennung und auch nach Macht ist menschlich und verständlich. Was bringt mir das, wenn ich mich in meinem Beruf, oder in einem Verein, in der Politik, in der Kirche engagiere? Das ist eine ehrliche Frage. Und sie ist auch erlaubt. Aber schöner ist es noch, wenn ich sie anders stelle: Was kann ich aus diesem Engagement heraus an Gutem bewirken? Für meine Familie, für meinen Verein, für die Menschen in meinem Dorf oder meiner Stadt – und auch darüber hinaus.

Denn ich muss mir damit keine Anerkennung verdienen und auch nicht meinen Wert. Den habe ich längst – geschenkt von Gott. Das ist besser als jeder himmlische Ehrenplatz.

Musik

 

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren