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Frei für’s Wesentliche! Walburga und die Fastenzeit
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Frei für’s Wesentliche! Walburga und die Fastenzeit

Stefan Wanske
Ein Beitrag von Stefan Wanske, katholischer Pfarrvikar im Pastoralraum Gießen-Stadt
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In diesem Jahr hab ich den Eindruck: Die christliche Fastenzeit hat in den Medien und den sozialen Netzwerken eine ziemliche Präsenz. „Fasten macht fit und glücklich!“ so lautete beispielsweise die Überschrift auf der Titelseite einer Münchener Tageszeitung am Aschermittwoch. Heute ist schon der zweite von insgesamt sechs Sonntagen in der Fastenzeit.

In früheren Zeiten ging es in der Zeit zwischen Fastnacht und Ostern, zumindest vordergründig betrachtet, vor allem darum, strikt auf Fleisch, Eier und Milchprodukte zu verzichten und nur einmal am Tag zu essen. Allerdings hatte auch das durchaus einen tieferen Sinn. 

Warum läuft manches nicht so gut....

Heute gibt es in den Wochen vor Ostern viele Aspekte, unter denen sich Menschen wieder mehr auf sich selbst besinnen und überlegen: „Was könnte ich im eigenen Leben anders machen? Oder: Warum läuft manches nicht so gut, wie es laufen könnte? 

Manche überdenken ihre Lebensweise zum Beispiel in der Form des „Klimafastens“. Sie lassen zum Beispiel für den Weg zum Einkaufen jetzt öfter das Auto stehen und steigen aufs Fahrrad um oder gehen zu Fuß. Oder sie schalten Fernseher oder Computer seltener an. Möglichkeiten zum Klimafasten gibt es viele. 

Der Wunsch nach weniger Stress

Fürs Klima, aber auch für die eigene Seele ist es ganz gut, sich bewusst Auszeiten von elektronischen Geräten zu nehmen, auch vom Smartphone oder Tablet. „Digital detox“ nennt sich das dann: Digitale Entgiftung. Entscheidend ist dabei der Wunsch nach weniger Stress, nach mehr Zeit für sich selbst und die Mitmenschen und nach einem klaren Kopf und einer neuen Aufmerksamkeit für das Wesentliche. 

Die Worte eines unbekannten Nürnberger Dichters

Was ist mir wirklich wichtig im Leben? Zu der Frage, die sich viele in der Fastenzeit stellen, gibt es auch in der Kirchenmusik Antworten. Der Komponist Andreas Hammerschmidt vertonte in seinen „Musicalischen Andachten“ 1641 die Worte eines unbekannten Nürnberger Dichters, der sich selbst fragt: „Warum betrübst du dich, mein Herz? Bekümmerst dich und trägest Schmerz nur um das zeitlich Gut?“ Und er beantwortet die provokante Frage mit dem Rat: „Vertrau du deinem lieben Gott, der alle Ding erschaffen hat!"

Musik 1: Andreas Hammerschmidt: „Warum betrübst du dich, mein Herz“; CD: „Verleih uns Frieden. Geistliche Vokalmusik von Andreas Hammerschmidt“, Himmlische Cantorey / Knabenchor Hannover / Johann Reismüller Ensemble / Jörg Breiding; Label: Rondeau Production (ROP7001) 

Mal ein Schritt zurücktreten

Ich finde es prima, wenn sich in den vierzig Tagen der Fastenzeit vor Ostern altes christliches Brauchtum, moderner Lifestyle und zeitgenössische Konsumkritik treffen: Auch mir selbst ist diese Zeit des Jahres wichtig geworden, um mal einen Schritt zurückzutreten und mich zu fragen: Was stopfe ich eigentlich in meinem Alltag oft so alles in mich rein? Nicht nur beim Essen, sondern auch an Informationen, an Bildern und allen möglichen Eindrücken. Und gibt’s Dinge, für die ich – vielleicht ohne viel nachzudenken - zu viel Kraft und Zeit einsetze? 

Heute, am 25. Februar, steht im katholischen Kirchenkalender der Gedenktag der Heiligen Walburga. Ich finde, sie passt mit ihrer Biografie und all den Legenden, die von ihr erzählt werden, gut in diese Zeit des Innehaltens und Nachdenkens. 

Der heilige Bonifatius war ihr Onkel

Walburga lebte im 8. Jahrhundert. Weit bekannter als sie selbst sind manche ihrer Verwandten, die auch im kirchlichen Heiligenkalender anzutreffen sind. Der heilige Bonifatius, der große „Apostel der Deutschen“, war ihr Onkel. 

Walburga wurde der Sage nach um 710 in England geboren und im Kloster erzogen. Als sie erwachen war und selbst schon als Schwester im Kloster lebte, da hat Bonifatius sie zusammen mit ihren leiblichen Brüdern Willibald und Wunibald aus der gemeinsamen angelsächsischen Heimat zur Mission nach Deutschland gerufen. Einige ihrer Mitschwestern, darunter die Heilige Lioba, waren auch dabei. 

Eine Frau, die große Aufgaben gemeistert hat

Ihre Lebensgeschichte ist die einer couragierten und entschlossenen Frau, die große Aufgaben gemeistert hat, weil sie einen Blick dafür hatte, was jetzt gerade wichtig ist, und die aus ihrem Glauben immer wieder Kraft geschöpft hat, wenn es mühsam wurde. 

Wenn es bei mir manchmal im Alltag hektisch ist oder in dem Team, in dem ich arbeite, unübersichtlich wird und wir uns als Kolleginnen und Kollegen erst mal wieder sortieren müssen, wenn ich so richtig keinen klaren Gedanken fassen kann, dann muss ich hin und wieder an dieses Team um Bonifatius und Walburga aus der Frühzeit des Christentums in unserem Land denken. Ich wünsche mir dann, dass wir gemeinsam deutlicher erkennen, was jetzt als erstes dran ist und es dann auch zuversichtlich und ausdauernd angehen. 

„Herz und Mund und Tat und Leben“

Johann Sebastian Bach hat um 1725 in seiner Choralkantate „Herz und Mund und Tat und Leben“ ein Gebet für solche Zeiten zum Klingen gebracht. In einer Tenor-Arie heißt es da: 

Hilf, Jesu, hilf,

dass ich auch dich bekenne

In Wohl und Weh, in Freud und Leid,

Dass ich dich meinen Heiland nenne

In Glauben und Gelassenheit.

 

Musik 2: Johann Sebastian Bach: Arie „Hilf, Jesu, hilf“, aus: Kantate „Herz und Mund und Tat und Leben“ (BWV 147); CD: „Johann Sebastian Bach. Cantatas“, Jphn Eliot Gardener / The Monteverdi Choir / The English Baroque Soloists; Label Deutsche Grammophon Hamburg / Archiv Produktion (431-809-2) 

„In Glauben und Gelassenheit“, wie Bach hier singen lässt, so hat die Heilige Walburga ein Leben lang wirken können. Sie ist der Überlieferung nach noch keine 22 Jahre alt, als Bonifatius in Südengland ein Team zusammenstellt und sie dazu holt. Denn ihm ist anscheinend klar: Alleine kann er seinen Job als Missionsbischof nicht machen, schon gar nicht auf dem Kontinent, wo es damals im Norden erst ganz wenige christliche Gemeinden gibt. 

Als Äbtissin eine der mächtigsten Frauen in Mitteleuropa 

Gemeinsam mit Männern und Frauen, jüngeren und älteren, sehr verschiedenen Menschen mit ganz unterschiedlichen Begabungen und Fähigkeiten, wagt er sich an seinen Auftrag. Und Walburga geht mit. 

Zuerst gründet sie mit Lioba zusammen ein Kloster in Tauberbischofsheim. Knapp 30 Jahre später, als dort ihre Aufgabe erfüllt ist, setzt sie sich allerdings nicht zur Ruhe. Als ihre Brüder Willibald und Wunibald sterben, bricht sie mit über 50 noch mal ganz neu auf und tritt selbst deren Nachfolge an. Sie übernimmt nach ihren Brüdern das Amt als Klostervorsteherin im fränkischen Heidenheim, wo es damals eine Schwesterngemeinschaft von Frauen und zugleich eine Mönchsgemeinschaft von Ordensbrüdern gab. Damit ist sie als Äbtissin eine der mächtigsten und einflussreichsten Frauen in Mitteleuropa. 

Am 25. Februar 779 ist Walburga knapp siebzigjährig gestorben. Ihr heutiger Gedenktag ist also ihr Todestag, wie bei Heiligenfesten oft üblich. 

Walburgas tiefe Begeisterung für ihre Aufgaben

Seither sind zahllose Kirchen und Kapellen in ganz Europa nach ihr benannt worden, auch bei uns in Hessen. Nahe Fürth im Odenwald zum Beispiel, auf dem Kapellenberg über dem Ort Weschnitz ist schon aus der Ferne die Walburgiskapelle zu erkennen. Sie soll an der Stelle eines Heiligtums aus vorchristlicher Zeit errichtet worden sein. Seit karolingischer Zeit sind hier Wallfahrten überliefert, die es bis heute gibt. 

Wahrscheinlich haben Menschen in den Erzählungen aus ihrem Leben immer wieder Walburgas tiefe Begeisterung für ihre Aufgabe herausspüren können, den Menschen in Wort und Tat von ihrem Glauben und all dem, was ihr selbst wichtig war, zu erzählen. 

"Ich will euch erzählen, was er mir Gutes getan hat"

Eine solche Frische und Zuversicht klingt für mich auch in einer kleinen Motette des zeitgenössischen ungarischen Komponisten Lajos Bardos auf. Bis zu seinem Tod 1986 hat er in Budapest als Chorleiter und Musikpädagoge gewirkt. Er hat in dieser Motette Worte aus dem 66. Psalm der Bibel vertont: „Jauchzt vor Gott, alle Länder der Erde! Ihr alle, die ihr Gott fürchtet, kommt und hört: "Ich will euch erzählen, was er mir Gutes getan hat.“ Hier ist sie, in einer Aufnahme mit dem Mädchenchor am Dom und St. Quintin Mainz: „Jubilate deo.“ 

Musik 3: Lajos Bardos: „Jubilate deo“; CD: “Laudate Dominum. Chormusik aus dem Mainzer Dom”; Mädchenchor am Dom und St. Quintin Mainz / Karsten Storck

Gute Beispiele, wie Heiligenlegenden funktionieren

Eine schriftliche Biografie der Heiligen Walburga erschien erst mehr als hundert Jahre nach ihrem Tod. Ein Mönch und Priester namens Wolfhard verfasste um 895 ihre Lebensbeschreibung. Er greift dabei auf volkstümliche Legenden zurück und zeichnet ziemlich abenteuerliche Wundererzählungen auf. Wie die Sprachwissenschaftler heute meinen, noch dazu in ziemlich schwülstigem Latein, das im neunten Jahrhundert als besonders elegant galt und dem Zeitgeschmack entsprach. Die Kunstgeschichte und die christliche Ikonografie haben solche Erzählungen das ganze Mittelalter hindurch gerne aufgegriffen. 

Für mich sind diese sicher erfundenen Geschichten, die die Leute sich gegenseitig erzählt haben, immer gute Beispiele dafür, wie Heiligenlegenden funktionieren: Sie erzählen auf plakative Weise davon, was in der Sicht des Glaubens wirklich wichtig ist, und wollen Menschen ermutigen, denen im Leben gerade der Wind ziemlich ins Gesicht bläst. 

Lass dich nicht einschüchtern

Etliche Gemälde zeigen zum Beispiel im 14. Jahrhundert die sogenannte „Meerfahrt der Heiligen Walburga“, als diese gemeinsam mit Lioba und weiteren Mitschwestern ihre südenglische Heimat verlässt. Die Legende erzählt, der Teufel habe beim Aufbruch der Schwestern einen fürchterlichen Sturm entfacht. Durch ihr ausdauerndes Gebet während der ganzen Überfahrt habe Walburga den Seesturm aber in Schach gehalten und schließlich zum Abflauen gebracht. Seitdem gilt sie unter anderem als Schutzpatronin der Seeleute.  Eine Geschichte, die Mut machen will, auch mal etwas zu wagen, wenn es um Wesentliches geht. Sie sagt mir: Wenn es nötig und an der Zeit ist, dann triff eine Entscheidung. Lass dich nicht einschüchtern, auch wenn du vor noch so großen Aufgaben und Plänen stehst, wenn du Gegenwind bekommst und alle möglichen Leute meinen: „Das klappt doch nie“ oder „Das geht nicht“. 

Auch diese Erzählung finde ich ermutigend

Die fromme Legende sagt mit Blick auf die Väter und Mütter im Glauben wie Walburga: Fang erst mal an und brich auf. Und sieh dann Schritt für Schritt weiter! Und lass dich nicht schon von allen möglichen Bedenken und Katastrophenszenarien ausbremsen, bevor du’s überhaupt versucht hast! 

Eine ähnliche Geschichte wird aus Walburgas Zeit im Kloster in Heidenheim erzählt. In der Klosterkirche habe ihr der anscheinend etwas grantige Küster einmal im Winter nach dem Nachtgebet keine brennende Kerze für den Weg zum Speisesaal mitgeben wollen, obwohl sie darum gebeten hatte und es schon stockdunkel war. Ein altes Buch mit Heiligenlegenden erzählt weiter: „Gelassen und schweigend nahm Walburga dies hin und betete unterdessen. Da entstand auf einmal, wie von einem Blitz entzündet, eine Helle, die das ganze Kloster erleuchtete und bis zum Morgen dauerte.“ Auch diese Erzählung finde ich ermutigend. Sie sagt mir: „Wenn dir irgendjemand aus unerfindlichen Gründen blöd kommt, lass dir davon die Lebensfreunde und den Glauben nicht verdunkeln. 

Dann macht es das Zusammenleben für alle heller

Wenn du es schaffst, auch mit schwierigen Leuten freundlich umzugehen, dann macht das das Zusammenleben für alle heller.“

Wie sich das anfühlen kann, das finde ich musikalisch beim Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy gekonnt ausgedrückt. Er gestaltete in seinem Oratorium „Elias“, das 1846 uraufgeführt wurde, biblische Verse aus dem alttestamentlichen Buch des Propheten Jesaja einen verheißungsvollen Schlusschor: 

Alsdann wird euer Licht hervorbrechen
wie die Morgenröte,
und eure Besserung wird schnell wachsen;
und die Herrlichkeit des Herrn wird euch zu sich nehmen.

(Jesaja, Kapitel 58, Vers 8)

Musik 4: Felix Mendelssohn-Bartholdy: „Elias“; Chor „Alsdann wird euer Licht“; Gächinger Kantorei Stuttgart / Prager Kammerchor / Tschechische Philharmonie / Helmuth Rilling. CD 1/2: Von guten Mächten wunderbar geborgen. Große Geistliche Chöre; Label hänssler classic (98.130) 

Durch ihr Lebenswerk hat sie Außergewöhnliches bewirkt 

Die vielen Wundererzählungen aus dem Leben der Heiligen Walburga müssen uns Heutigen ziemlich fantastisch und bisweilen auch ein bisschen überspannt erscheinen. Demnach hat Walburga Menschen vor dem Hungertod gerettet, konnte scharfe oder tollwütige Wachhunde beruhigen und junge Mütter vom Kindbettfieber heilen. Das alles hat nach ihrem Tod zu einer vielfachen Verehrung als Schutzpatronin geführt. Im Kern zeigen all diese Geschichten: Walburga muss eine spürbare „geistliche Energie“ und viel Charisma gehabt haben. Ganz sicher aber hat sie durch ihr Lebenswerk Außergewöhnliches bewirkt. 

Der 1. Mai war dann lange ihr Festtag

Am 1. Mai, wahrscheinlich im Jahr 870, wurde Walburga heiliggesprochen. Ihr Grab wurde an diesem Tag nach Eichstätt verlegt, in die kleine Barockstadt im Altmühltal. Darüber steht heute die Barockkirche „Sankt Walburg“. Im Bistum Eichstätt gilt Walburga als Bistumspatronin. Der 1. Mai war dann lange ihr Festtag. Aus dem Vorabend wurde dann später die sogenannte „Walpurgisnacht“. Allerdings hatte die überhaupt noch nichts mit Hexentanz und Hexenbrauchtum zu tun. Diese Ideen kamen erst sechs-, siebenhundert Jahre später auf. 

So hat sie das Christentum in ihrer Zeit verbreitet

Walburga war eine selbstbewusste und starke Frau im 8. Jahrhundert. Durch ihre geschickte Leitung zweier großer Klöster hat sie das Christentum in ihrer Zeit verbreitet. Sie gilt als bedeutende Missionarin in Europa. 

Ich wünsche mir, meiner Kirche und allen in diesen ersten Wochen der Fastenzeit etwas von dem Schwung der Heiligen Walburga, wenn es darum geht, den Alltag und das Leben mit neuer Achtsamkeit anzuschauen, Prioritäten zu überdenken, Herausforderungen anzunehmen und, wo nötig, mit Glauben und Gelassenheit neu aufzubrechen. 

Musik 5: Johann Sebastian Bach: Choralvorspiel “Wir danken dir, Herr Jesu Christ” (BWV 623); CD 7/12 “Bach The Organ Works. Helmut Walcha”, Label: Archiv Produktion (463 712-2)

 

 

 

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