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Von bösen Geistern und guten Mächten
Bild: Thomas_pixabay

Von bösen Geistern und guten Mächten

Alexander Holzbach
Ein Beitrag von Alexander Holzbach, katholischer Pallottinerpater, Limburg
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„Du bist ja von allen guten Geistern verlassen!“ Diese Redewendung kennen wir, benutzen sie vielleicht selbst, wenn jemand etwas völlig Unmögliches vorhat, etwas Verrücktes oder sogar Schädliches, wenn er oder sie sich verrennt. „Du bist ja von allen guten Geistern verlassen.“

Schutz und Geborgenheit verschwindet

Die Frage ist, was ist hier mit „guten Geistern“ gemeint? Die altbekannte Redewendung setzt voraus, dass es sie gibt, die guten Geister. Und dass, wenn sie weg sind, wenn sie einen verlassen, es nicht gut zugeht. Ich kann nicht erklären, was andere meinen, wenn sie von „guten Geistern“ reden. Mir fällt da sofort ein Begriff ein, den ich in den letzten Wochen viel gehört habe. „Gute Geister“ und „gute Mächte“ meinen vermutlich das Gleiche: Schutz. Geborgenheit. Beachtet sein. Begleitet sein. Behütet sein. Trost.

„Von guten Mächten wunderbar geborgen“

Im Silvester- und im Neujahrsgottesdienst vor knapp vier Wochen haben wir bei uns in der Kirche das Lied „Von guten Mächten“ gesungen. Da heißt es: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“

Er ahnte wohl, dass ein Todesurteil drohte

Der Text stammt von dem protestantischen Theologen Dietrich Bonhoeffer, der ein Gegner des Nationalsozialismus war. Er kam ins Gefängnis und hat am 19. Dezember 1944 aus der Zelle seiner Verlobten einen Brief geschrieben. In den hat er eine Art Gedicht zum Jahreswechsel einfügt. Die Worte bewegen auch deshalb so besonders, weil er wohl ahnte, dass ihm ein Todesurteil drohte, das ja dann auch am 9. April 1945, also gut drei Monate später, vollstreckt wurde.

Worte voller Hoffnung

Es gibt eine sehr bekannte Vertonung dieser mutmachenden Zeilen Bonhoeffers. Sie passen sehr gut in die Stimmung eines Jahreswechsels. Gerade die erste Strophe: „Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr.“ Worte voller Hoffnung.

Du bist in dieser schwierigen Situation nicht allein

Ich erinnere mich heute auch deshalb so lebhaft an dieses Lied, weil ich es nicht allein zwei Mal beim Jahreswechsel 2023 auf 2024 bei uns in der Kirche gesungen habe. In den letzten Tagen vor Weihnachten hatte ich noch drei Beerdigungen. Und jedes Mal wünschten die Angehörigen für das Requiem unter anderen dieses Lied „Von guten Mächten“. Ich habe im Trauergespräch nicht nachgefragt, warum. Der Text selbst gibt die Antwort. Da kommen die Worte vor „behütet“, „getröstet“ und eben „von guten Mächten treu und still umgeben“. Da wird ganz behutsam angesprochen: Du bist in dieser schwierigen Situation nicht allein. Du bist behütet. Es gibt einen Trost. Es gibt diese „guten Mächte“, die dich umgeben, tragen. Um die Redewendung vom Anfang noch mal aufzugreifen: Es gibt die „guten Geister“, die dich stärken und stützen. Manchmal sind gerade in Trauerphasen, wenn Frau oder Mann, Tochter oder Sohn einen Verlust verkraften muss, Menschen einander „gute Geister“. Sagen wir nicht manchmal auch: die oder der ist der „gute Geist“ im Haus?

„Gott ist mit uns am Abend und am Morgen“

Dietrich Bonhoeffer beginnt sein Trostgedicht ganz behutsam. Er spricht erst einmal nicht von Gott oder Engeln, sondern von „guten Mächten“. Das rührt bis heute viele an. Der mutige und bekennende Christ sagt dann auch, wen er letztlich meint. Diese Verse sind zum Refrain des Liedes geworden: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag, Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“

Musik 1: aus: Dietrich Bonhoeffer / Sigfried Fietz: „Von guten Mächten treu und still umgeben“ (CD: Von guten Mächten / Der andere Advent)

Leider gibt es auch die bösen Geister und Mächte

Leider gibt es nicht allein die „guten Mächte“, die „guten Geister“. Es gibt auch „die bösen“. Das kennen wir aus dem eigenen Leben; das erfahren wir täglich in den Nachrichten. Ich schaue heute auf die „bösen Geister“ wegen des Evangeliums, das an diesem Sonntag in den katholischen Gottesdiensten gelesen wird. Es lautet:

„In Kafarnaum ging Jesus am Sabbat in die Synagoge und lehrte. Und die Menschen waren voll Staunen über seine Lehre; denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten.

In der Synagoge war ein Mensch, der von einem unreinen Geist besessen war. Der begann zu schreien: Was haben wir mit dir zu tun, Jesus von Nazareth? Bist du gekommen, um uns ins Verderben zu stürzen? Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes. Da drohte ihm Jesus: Schweig und verlass ihn! Der unreine Geist zerrte den Mann hin und her und verließ ihn mit lautem Geschrei.

Da erschraken alle und einer fragte den andern: Was ist das? Eine neue Lehre mit Vollmacht: Sogar die unreinen Geister gehorchen seinem Befehl. Und sein Ruf verbreitete sich rasch im ganzen Gebiet von Galiläa.“(Markus 1,21-28)

Es geht ihm um die Frage: Wer ist dieser Jesus?

Die Zeilen gehören zu den allerersten des Markus-Evangeliums. Fachleute sagen, dieser Text sei um das Jahr 70 nach Christus entstanden. Der Schreiber, der der Tradition nach Markus genannt wird, wollte das, was man sich seit 30 oder 40 Jahren über Jesus erzählte, zusammenfügen zu einem Buch. Er wollte den Menschen seiner Zeit und auch späteren Generation die Jesus-Geschichte in einem großen Bogen darstellen. Es geht ihm vor allem um die Frage: Wer ist dieser Jesus?

Mehr Fragen als Antworten

Ist er einer der vielen Wanderprediger, die es damals wohl gab? Oder ist Jesus mehr? Hat er einen Mehrwert, würden wir heute vielleicht sagen. Wir sind also auf den ersten Seiten dieses Markus-Evangeliums und ich frage mich, wieso es gerade mit dieser Geschichte von der Austreibung eines bösen Geistes beginnt. Für mich gibt es da mehr Fragen als Antworten.

Karfarnaum, am See Genezareth, war ein zu Hause Jesu

Die Szene spielt in Kafarnaum, einem kleinen Fischerort am See Genezareth. Jesus stammte aus Nazareth. Nach allem, was die Bibel von ihm erzählt, war ihm Kafarnaum über lange Zeit etwas wie Heimat, zu Hause. Hier empfing er Gäste. Hier ging er am Sabbath in die Synagoge. In solch einem jüdischen Gebetshaus wurde aus der Hebräischen Bibel vorgelesen, wurde gepredigt, hat man gemeinsam gebetet und gesungen. Und am Ende des Gottesdienstes fragte der Leiter: Hat jemand von den Anwesenden, ob Einheimischer oder Gast, der Gemeinde noch etwas zu sagen?

Diejenigen, die ihn hörten, staunten unheimlich

Laut dem Markus-Evangelium ergreift Jesus das Wort und lehrt die Menschen. Schade, dass wir nicht erfahren, was genau er denn gesagt hat. Wir erfahren nur: Diejenigen, die ihn hörten, staunten unheimlich. Und dann heißt es: denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten.                            

Er sprach wie einer, der eine große Nähe zu Gott hat

Jesus hat also bei den Leuten einen mächtigen Eindruck hinterlassen. Salopp gesagt: seine Predigt war nicht so langweilig wie die, die sie sonst hörten. Seine Grundbotschaften werden die Leute gekannt haben: Dass Gott ein Barmherziger Vater ist. Und die beiden großen Gebote: Gott zu lieben und den Nächsten wie sich selbst. Doch die Leute spürten, dass er alles mit Herzblut sagte, mit einer Vollmacht, die sie sich nur aus seiner großen Nähe zu Gott erklären konnten. Und wie als Bestätigung erzählt das Evangelium nun die Geschichte mit dem „unreinen Geist“.

Was ist der unreine Geist, der Menschen hin und her zerrt?

Ich frage mich, warum bringt das Markus-Evangelium ausgerechnet diese Geschichte? Jesus wird in der Bibel als ein besonderer Prediger und Menschenfreund dargestellt, als einer, der wie kein anderer von Gott als seinem Vater redet. Und als Wundertäter. Er heilt viele kranke Menschen, befreit sie von körperlichen und seelischen Leiden. Das tut er nicht, um sich ins Rampenlicht zu stellen, sondern um Gottes heilende Macht zu verkünden. Und den Menschen zu sagen: Vertraut auf diesen Gott, der mein Vater ist. Das Evangelium erzählt nun von keiner Heilung eines Kranken in Kafarnaum. Ihm geht es um die Begegnung Jesu mit einem „unreinen Geist“. Aber was ist ein unreiner Geist, der auch noch Menschen hin und her zerrt und schreien lässt?

Das Weltbild vom ständigen Kampf zwischen Gut und Böse

In der Antike konnte man sich verschiedene, wohl vor allem seelische Krankheiten nicht erklären. Als Grund nahm man böse Geister an, die Menschen quälten, nicht aus ihrem Griff ließen. Im Hintergrund steht das damalige Weltbild, das von einem ständigen Kampf zwischen Gut und Böse ausging, zwischen Gott und allem Gottwidrigen. Viele hatten Angst, wie denn der Kampf im einzelnen Menschen und im Gesamt der Welt wohl ausgehen würde.

Er will Gottvertrauen wecken und stärken

Im Grunde erzählt das Markus-Evangelium, dass Jesus von dieser Angst befreien will. Dass er Gottvertrauen wecken und stärken will. Da fällt mir wieder ein Kirchenlied ein. In der dritten Strophe von „Alles meinem Gott zu ehren“ (GL 455) ist von Gott die Rede, „der dem Bösen weiß zu wehren, dass das Gute mächtig wird.“ Nichts anderes sagt Markus: Das Gute, die guten Mächte werden die Oberhand behalten.

Musik 2: Jaques Ibert: Tendre (CD: Jaques Ibert, Chamber Music)

„Jesus, ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes!“

Der Mann mit dem „unreinen Geist“ fühlt sich von Jesus bedroht. Er ahnt die größere Macht. Und die bekommt der Geist ja dann auch zu spüren. Aber vorher sagt er noch den Satz, der vermutlich der wichtigste in dieser biblischen Geschichte ist: Jesus, ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes!

Menschen fragen sich - das damals wie heute

Menschen fragen sich damals wie heute: Wer ist Jesus von Nazareth? Wieso soll er eine Bedeutung für mein Leben haben? Wieso ist er ein Mehr als andere besondere Menschen? Wegen ein paar Wundern?

Menschen können sich die Antwort nicht geben

Letztlich können sich Menschen die Antwort nicht geben, sagt das Markus-Evangelium. Sie können die Antwort nur glauben. Eine Stimme aus einer Welt jenseits des Menschen sagt: Jesus kommt von Gott kommt; er gehört zu Gott. Denn der Begriff des Heiligen kommt letztlich allein Gott zu.

„Heilig“ bedeutet: etwas ganz Besonderes, Wertvolles

Wir benutzen das Wort „heilig“ ja auch heute noch nur für etwas ganz Besonderes, uns ganz Wertvolles, das wir nicht abschätzig oder lächerlich gemacht haben wollen. IHeilig ist heilig. Im Bereich des Religiösen, ob jüdisch, christlich oder islamisch geprägt, ist allein Gott der Heilige, und alles, was wir Menschen „heilig“ nennen, muss in einer ganz engen Beziehung zu ihm stehen.

Menschen erahnen an seiner Lehre, dass Jesus von Gott kommt

Die Geschichte aus Kafarnaum will den Blick auf Jesus lenken, der von Gott kommt und zu Gott führt. Menschen erahnen das vielleicht an seiner Lehre, die er – wie wir hörten – mit Vollmacht vorträgt. Die volle Antwort auf die Jesus-Frage erhalten sie sozusagen von außen, wenn sie sagen: „Sogar die unreinen Geister gehorchen seinem Befehl.“ Und dann heißt es im Evangelium: Und sein Ruf verbreitete sich rasch im ganzen Gebiet von Galiläa.

Jesus nimmt die Angst und gibt Mut zum Leben

Eben weil da einer auftritt, der den Menschen ihre Angst nimmt, dass das Böse das Gute übertrumpft. Dass der Hass stärker ist als die Liebe. Jesus befreit von dieser bedrückenden, lähmenden Angst und gibt damit Mut zum Leben.                      

Musik 3: Jaques Ibert: Andante espressivo (CD: Jaques Ibert, Chamber Music)

Die Geschichte wirkt dennoch etwas befremdlich

Mit der Geschichte von der Austreibung des bösen Geistes möchte das Markus-Evangelium sagen: Da ist einer, der von Gott kommt. Dennoch wirkt sie auf mich etwas befremdlich. Denn ich frage mich: Wie muss ich mir einen Menschen vorstellen, der von einem unreinen Geist besessen ist? Meint da die Bibel das, was wir heute seelische Krankheit nennen? Solche Kranke brauchen keinen Heiland, sondern eine gute Psychologin.

Auch in unserer Zeit sind „unreine Geister“ tätig

Mag uns der „unreine Geist“ von Kafarnaum auch recht fern und unerklärlich sein, ganz fremd sind uns unreine Geister und böse Mächte nicht. In unserer Zeit erleben wir viele heillose Interessenskonflikte. In der großen Wirtschaft und Politik weltweit. Und auch in unserer kleinen Welt. Es geht um Profit, Gewinn, Vorteilsnahme, bessere Zukunftschancen. Man will wer sein. Einer will über dem anderen stehen. Und manchmal habe ich den Eindruck, dass Gruppen und Menschen bereit sind, für ihre Ziele auch über Leichen zu gehen. Und immer näher kommen Stimmen, die letztlich unsere Demokratie und das christliche Menschenbild missachten, das die Würde eines jeden achtet.   

Da regiert nicht das Gute, sondern das Böse

Da regiert nicht das Gute, sondern das Böse. Und ich gebe zu, dass ich mich manchmal frage, wenn ich die Nachrichten höre, wenn ich in meine Umgebung schaue: Wo ist Gott, „der dem Bösen weiß zu wehren, dass das Gute mächtig wird“?

Verbitterte Menschen, die anderen nicht gut tun

Obwohl ich mich mit dem Wort „besessen“ in der Bibel schwertue, denke ich doch: Es gibt Menschen, die so sehr von etwas besessen sind, dass sie dadurch für sich selbst und andere eine Gefahr darstellen. Sie sind nicht mehr selbstbeherrscht, sondern werden beherrscht und wollen beherrschen. Menschen, die von einer Gier besessen sind oder von Verlustangst, von Eifersucht oder Neid; sie tun anderen nicht gut und verbittern ihre eigene Seele.

Von lebensfeindlichen Kräften befreien und Vertrauen in Gottes Liebe wecken

Mir erzählte dieser Tage ein Mann, der regelmäßig an einem Bibelkreis teilnimmt, sie hätten bei ihrem Gespräch über das Sonntagsevangelium den Ausdruck „unreine Geister“ mit „lebensfeindlichen Kräften im Menschen“ übersetzt. Das hat mir gefallen. Es gibt in uns Kräfte und Mächte, die uns niederziehen, zum Bösen animieren, Lebensfreude und Lebensmut zerstören. Die Botschaft des Markus-Evangeliums und der ganzen Bibel ist: Jesus will die Menschen von solchen dunklen Mächten und Kräften befreien und Vertrauen in ihnen wecken, vor allem Vertrauen in die Liebe Gottes. Solches Vertrauen ist Lebensfördernd. Das nimmt nicht die schwierigen Situationen, aber es schenkt Kraft, sie zu bestehen und gibt Mut, sie wo möglich zu verändern. 

„Erwarten wir getrost, was kommen mag“

Die Botschaft des Evangeliums, das heute in den katholischen Gottesdiensten gelesen wird, lässt sich gut zusammenfassen in den Versen, die der protestantische Theologe Bonhoeffer am 19. Dezember 1944 geschrieben hat. Sie gelten auch am 28. Januar 2024: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag, Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“

Musik 4: aus: Dietrich Bonhoeffer / Sigfried Fietz: „Von guten Mächten treu und still umgeben“ (CD: Von guten Mächten / Der andere Advent)

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