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Der Königsweg zur Krippe
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Der Königsweg zur Krippe

Michael Becker
Ein Beitrag von Michael Becker, Evangelischer Pfarrer, Kassel

Musikauswahl und Sprecher der Zitate: Jochen Faulhammer

Heute Morgen möchte ich mit Ihnen einen Königsweg gehen, den Königsweg zur Krippe. Er ist ein bisschen beschwerlich. Manchmal ist das Gelände unübersichtlich. Aber eins kann ich schon sagen: Das Ziel lohnt die Mühen.

Musik: „Ich steh an deiner Krippen"

Wieso kommen die Heiligen Drei erst am 6. Januar zur Krippe?

Etwas möchte ich aber erst noch klären: Wieso kommen die Heiligen Drei erst gestern, am 6. Januar, zur Krippe? Fast 14 Tage nach Weihnachten? Das hat Gründe in der langen Geschichte der Kirche. Zunächst feiern die Christen Weihnachten am 6. Januar. Aber dann hat sich die westliche Kirche um die Stadt Rom etwas anders entwickelt als die östliche Kirche in Kleinasien.

Weihnachten wurde mit dem germanischen Fest der Sonnenwende zusammengelegt

Im Westen konnte man Weihnachten mit dem germanischen Fest der Wintersonnenwende zusammenlegen. Außerdem hatte das römische Reich um den 25. Dezember ein Sonnengottfest, das die christliche Kirche gerne zum Verschwinden bringen wollte. Das ist gelungen. Weihnachten ist unser größtes Fest geworden, für manche auch das teuerste im Jahr.

Jetzt ist Weihnachten fast vorbei

Jetzt klingt das Fest allmählich aus. Die Bäume werden aus den Zimmern geräumt, der Weihnachtsschmuck weggebracht, der Alltag beginnt. Aber bevor der Alltag wieder beginnt, können wir heute Morgen in Gedanken noch den Königsweg zusammen gehen, den Königsweg zur Krippe. Nicht der leichteste, aber der beste Weg. Und dabei folgen wir einfach dem Morgenstern, der uns allen den Weg weist.

Musik: Niels Gade, Der Morgenstern

Was hat die Weisen geleitet?

Irgendetwas muss die Heiligen Drei damals auf den Weg gebracht haben. Niemand weiß genau, was es war. Vielleicht hatten sie von einem neuen König gehört und wollten sich ihm zeigen. Vielleicht war es der Stern am Himmel, der so außergewöhnlich war, dass sie das erforschen wollten. Beim Evangelisten Matthäus (2,1-12) steht nichts von „Königen“. Da sind es Weise. Und von „drei“ Weisen steht auch nichts da. Das denken wir dazu, weil es um drei wichtige Geschenke geht: Gold, Weihrauch und Myrrhe.

Die Anfunft der Weisen in Bethlehem nach Matthäus

Am Ende geht es aber um noch viel mehr. Es geht um leere Hände und erfüllte Herzen. Matthäus erzählt uns das so:

Da Jesus geboren war zu Bethlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem und sprachen: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, ihn anzubeten.

Als das der König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem, und er ließ zusammenkommen alle Hohenpriester und Schriftgelehrten des Volkes und erforschte von ihnen, wo der Christus geboren werden sollte. Und sie sagten ihm: Zu Bethlehem in Judäa; denn so steht geschrieben durch den Propheten (Micha 5,1): „Und du, Bethlehem im Lande Juda, bist mitnichten die kleinste unter den Fürsten Judas; denn aus dir wird kommen der Fürst, der mein Volk Israel weiden soll.“

Da rief Herodes die Weisen heimlich zu sich und erkundete genau von ihnen, wann der Stern erschienen wäre, und schickte sie nach Bethlehem und sprach: Zieht hin und forscht fleißig nach dem Kindlein; und wenn ihr’s findet, so sagt mir’s wieder, dass auch ich komme und es anbete. Als sie nun den König gehört hatten, zogen sie hin. Und siehe, der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, ging vor ihnen her, bis er über dem Ort stand, wo das Kindlein war. Da sie den Stern sahen, wurden sie hocherfreut und gingen in das Haus und sahen das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe.

Musik: Niels Gade: Der Morgenstern

Den weiten Weg nur um Geschenke abzugeben?

Der ganze, lange Weg vom Morgenland nach Bethlehem nur, um Geschenke abzugeben? Das kann ich nicht glauben. Dafür gab es doch Diener, die das für die Könige oder Weisen erledigt hätten. Da muss noch mehr sein.

Man muss sich einmal den Aufwand vorstellen, der hier betrieben worden ist für eine wochenlange Reise. Kamele, Essen, Zelte für die Nacht. Viele Diener, die alles vorbereitet und durchgeführt haben. Zuletzt muss es auch noch die Möglichkeit gegeben haben, dass die Drei sich waschen und ein wenig einölen, bevor sie zur Krippe gehen. Der ganze Straßenstaub muss doch weg.

Am Ziel des Königsweges

Und dann, nach Wochen der Mühsal, nach Schlafen auf harten Böden und Wetter aller Art stehen sie vor dem Stall in Bethlehem. Sie sind am Ziel des Königswegs. Ich stelle mir vor, dass sie zunächst ein wenig ruhen. Sie säubern sich und ziehen feine Kleider an. Sie klopfen an die Stalltür, geben ihre Geschenke ab. So sieht es äußerlich aus. Innerlich aber geht es noch um viel mehr. Sie leeren ihre Hände, sie gehen auf die Knie und geben sich selber ab. Im Knien wissen sie: Wir leben vom Geben, nicht vom Bekommen:

                     Ich steh an deiner Krippen hier,
                     o Jesu, du mein Leben;
                     ich komme, bring und schenke dir,
                     was du mir hast gegeben.

Musik: Ich steh an deiner Krippen hier, Strophe 1                  

Wir leben vom Geben, nicht vom Bekommen

Wir leben vom Geben, nicht vom Bekommen. Das müssen die drei Könige oder Weisen geahnt haben. Deswegen ist ihnen der beschwerliche Königsweg nicht zu weit. Deswegen leeren sie ihre Hände. Sie geben ihre wertvollen Geschenke ab. Aber eigentlich wollen sie leer werden, damit ihre Herzen erfüllt werden können. Erfüllt mit lauter Gnade. Oder, wie mir mal einer sagte: Ich lebe für die kleinen Momente des Glücks. Und je mehr ich danach suche, desto mehr finde ich davon. Meistens hat das Glück damit zu tun, dass ich für andere da sein kann. Das erfüllt mich mit Freude. Und Glück.

Frieda liebt ihren neuen Lift

So ist es auch bei Frieda, dem achtjährigen Mädchen, von dem vor ein paar Wochen im Fernsehen erzählt wurde. Frieda liebt ihren neuen Lift direkt vor dem Wohnhaus. Sie strahlt, wenn der Aufzug mit ihr rauf oder runter fährt. Lachen kann sie gut, sprechen nicht.

Ein Spendenaufruf für Frieda

Frieda ist schwerstbehindert. Sie kann auch nicht laufen; sie muss immer getragen werden, bis sie in ihrem Rollstuhl sitzt oder wieder in der Wohnung ist. Das Tragen machten Mama und Papa, ganz selbstverständlich. Aber jetzt, mit acht Jahren, wird Frieda zu schwer. Und die Eltern wollten gerne einen Aufzug, den sie vor ihr Haus in Mittelfranken bauen konnten. Der kostet um die Hunderttausend Euro. So viel hatte die Familie nicht. Also drehten sie einen kleinen Film und zeigten den im Internet. Bitte, sagten sie dazu, bitte helft uns und Frieda mit Spenden.

Eine große Spendenbereitschaft

Dann geschah ein kleines Wunder. Viele Menschen spendeten, sogar aus Südafrika und Los Angeles. Die Familie war überwältigt. Eine Frau schrieb ihnen: Ich habe mein Haus bei der Flut im Ahrtal verloren. Aber ich habe zufriedene Kinder. Das macht mich glücklich. Darum möchte ich Ihnen helfen.

Dann wurde der Lift gebaut. Weil viele Menschen gefühlt haben, dass ihr Glück im Geben liegt. Auch Frieda strahlt vor Glück. Sie liebt ihren neuen Lift. Vielleicht spürt sie darin, wie schwerelos sie auch sein kann.

Man kann nicht die ganze Welt retten

Wir können nicht die ganze Welt retten. Aber manchmal einen Menschen. Jesus hat auch nicht alle Menschen geheilt, aber manchmal einen oder eine. Und uns gebeten: Wenn da ein Mensch ist, der dich braucht, schau bitte nicht weg. Manchmal müssen wir gar nichts tun, sondern einfach nur da sein. Ermutigen vielleicht. Und wenn es doch um etwas Geld geht, gelingt das vielleicht auch. Es geht nie um die ganze Welt; nur um diesen einen Menschen, diese eine Not. Und wenn Frieda jetzt im Aufzug fährt, freuen sich mit ihr alle Engel im Himmel.

Musik 5

Auf dem Königsweg liegen auch Kleinigkeiten

So ist das mit dem Königsweg. Er fragt nicht danach, was ich alles bekommen kann. Er fragt erst einmal danach, was ich geben kann. Und wem ich geben kann. Wo ich ein wenig zuhören kann, um die Not zu erkennen. Oder wo gerade das gebraucht wird, was ich kann. Das sind oft keine Riesensachen, sondern Kleinigkeiten. Aber auch die haben es in sich. Sie bringen Glück. Als Erleichterung, als Trost oder als neuen Schwung fürs Leben.

Man wird vom Abgeben reich

Wir leben vom Geben. Menschen bekommen so viel. Oft unverdient. Und sollten möglichst nicht so viel Festhalten. Vom Sammeln wird man nicht reich. Vom Abgeben schon. Das ist das Geheimnis von Gottes Reich. Niemand wird arm, weil er gibt. Im Gegenteil. Als die Könige ihre Knie vor der Krippe beugen und ihre Hände leeren, bekommen sie viel. Paul Gerhardt hat das wunderbar ausgedrückt:

Musik: „Ich steh an deiner Krippe hier", Strophe 9

Das Glück, das ich anderen bin, bekomme ich zurück

Nicht mehr ich will in mir wohnen, sondern du, Herr, sollst in mir wohnen. Ich möchte deine Krippe sein, dich und all deine Freuden in mir tragen. So geht Leben: Was ich gebe, bekomme ich auch. Das Glück, das ich anderen bin, bekomme ich zurück. Manchmal auf seltsamen Wegen, die gar nicht recht zu erklären sind. Gott findet Wege, mich zu beglücken. Auf meinen Königsweg folgt der Gottesweg: Er weiß, mich zu erhalten.

Manchmal fühlt man das, bevor man es weiß. Wie beim Fußballer Christiano Ronaldo aus Portugal. Er ist weltberühmt und hat Geld wie Heu. Angeblich verdient er einen Euro - pro Sekunde. Also auch, wenn er schläft. Neulich schläft er nicht, sondern ist mit der Mannschaft unterwegs zum Länderspiel. Nach dem letzten Training sitzt er mit der Mannschaft wieder im Bus zum Hotel. Er döst, schaut aus dem Fenster, Kopfhörer auf den Ohren.

"Christiano, gib‘ mir eine Umarmung"

Im Vorbeifahren sieht er einen Jungen am Straßenrand. Der ist etwas unbeholfen und offensichtlich krank. Er trägt ein Sauerstoffgerät. In der Hand hält der Junge ein Plakat. Auf dem steht: „Christiano, gib‘ mir eine Umarmung.“ Der Bus fährt vorbei. Aber nicht lange. Der Fußballer springt plötzlich auf und bittet den Fahrer, anzuhalten. Der Junge wird von einigen Freunden in den Bus gebracht. Das kann er nicht alleine, er ist körperlich krank. Der Fußballer hilft und hebt den Jungen zu sich. Dann umarmt er ihn. Bilder werden gemacht. Sie sind in den Zeitungen. Der Junge strahlt übers ganze Gesicht. Für den Fußballer ein winziger Moment, für den Jungen das Glück seines Lebens.

Da ist noch etwas in der Welt, was nicht von dieser Welt ist

Da ist noch etwas, denke ich, wenn ich so etwas lese. Da ist noch etwas in der Welt, was nicht von dieser Welt ist. Dem Leben ist egal, wie alles läuft. Ob krank oder gesund, arm und reich, dem Leben ist das gleichgültig. Ob gerecht oder nicht, das kümmert das Leben nicht.

Das Leben lebt, mehr macht es nicht. Menschen machen etwas. Sie denken nach, ihnen fällt etwas auf, sie finden manches gerecht und anderes ungerecht. Dann genügt es Menschen plötzlich nicht mehr, nur viel Geld zu haben. Man kann ja gar nicht alles ausgeben. Dann soll noch mehr sein. Liebe vielleicht. Fürsorge für die, die weniger Leben haben.    

Dann hält man den Bus an, sozusagen. Als hielte man kurz sein Leben an. Steigt aus, hilft dem Jungen in den Bus und umarmt ihn. Ein winziger Moment für den Fußballer, ein ewiges Glück für den kranken Jungen.

Ein Mensch wird anderen zum Glück

Es blitzt etwas auf in der Welt, was nicht von dieser Welt ist. Der Königsweg des Gebens. Das Reich Gottes - das Reich der Fürsorge, des Mitfühlens mit anderen. Wo das Leben nicht einfach vor sich hin lebt, sondern ein Menschen eingreift. Und anderen zum Glück wird. Zum Glück des Lebens. Und wenn es eine Umarmung ist - im rechten Moment.      

Musik

Aus dem Königsweg wird der Gottesweg

Darum sind sie zur Krippe gegangen, die Könige in Bethlehem. Vielleicht war es für die drei so etwas wie eine Vergewisserung: Wir leben vom Geben. Und wer gibt, bekommt alle Gnade. Aus dem Königsweg wird der Gottesweg. Wer gibt, muss sich nicht so viele Sorgen machen. Man bekommt auch. Aus dem Glück des Gebens wird das Glück des Bekommens.

Die Heiligen Drei verlassen den Stall - gesprochen wurde nichts

Und dann erheben sich die Drei wieder. Gesprochen wird nichts an der Krippe. Vielleicht verbeugen sie sich noch kurz vor Maria und Josef. Und verlassen dann den Stall. Sie ziehen auf einem anderen Weg - jeder in sein Land. Jahrhunderte später hat man ihnen Namen gegeben: Caspar, Melchior und Balthasar. Ihre Gebeine sollen im Kölner Dom ruhen. In einem kostbaren Sarg. Der Königsweg ist zu einem guten Ende gekommen. Alle Mühe hat sich gelohnt.

Manchmal schleicht sich das Glück durch eine Tür herein, die man gar nicht kennt

So ist das bis heute: Die Mühe um Menschen lohnt sich. Nicht immer ist der Lohn so, wie wir ihn vielleicht wünschen. Nicht immer kommt der Lohn sofort; manchmal vielleicht erst nach Jahren. Aber er kommt. Manchmal schleicht sich das Glück zu uns durch Türen, von denen wir gar nicht wussten, dass es sie gibt. Gott lässt keine Liebe ungelohnt, keine Fürsorge für Menschen. Darauf vertraue ich. Ich lebe für die kleinen Momente des Glücks. Oft hat Glück damit zu tun, dass ich für andere da bin. Dafür bin ich Gott dankbar. Und den Heiligen Drei Königen auch.

Musik

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