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Warum? - Die ewige Frage des Schreckens
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Warum? - Die ewige Frage des Schreckens

Stephan Krebs
Ein Beitrag von Stephan Krebs, Evangelischer Pfarrer, Langen
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Am Zaun vor dem Schulgelände sammeln sich brennende Kerzen, Trauerkerzen. Schnell werden es mehr. Blumen und Plüschtiere kommen hinzu. Und natürlich Zettel, darauf bringen Menschen ihren Schrecken zum Ausdruck. Ein Wort ist immer dabei: Warum? „Mein Gott, warum?“ Das ist die Ur-Frage, wenn etwas Schlimmes geschehen ist. Dann ist das Vertrauen angeschlagen in alles, was einem Halt geben sollte: das Leben, die Mitmenschen und Gott. Um mit der Trauer und dem Schrecken zurechtzukommen, würde ein Grund helfen. Mag er noch so schrecklich sein. Er gibt doch zumindest einen Anhaltspunkt für Sinn. Das hilft ein wenig, mit dem zurecht zu kommen, was geschehen ist.

"Mein Gott, warum?"

„Mein Gott, warum?“ Mit dieser Frage auf den Lippen stirbt auch Jesus qualvoll am Kreuz. An seinen Tod erinnert der heutige Karfreitag. Und auch an seine letzte Frage. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Matthäus 27,31ff) Diese Frage verhallte damals scheinbar ungehört. Aber sie verlangt nach einer Antwort. Nach ihr will ich deshalb suchen.

Schüsse an einer Grundschule in San Diego vor 46 Jahren

Ich beginne in der erwähnten Schule, eine Grundschule in San Diego vor 45 Jahren. Dort waren wenige Stunden zuvor zwei Menschen erschossen worden: der Rektor und der Hausmeister. Acht Schülerinnen und Schüler sowie ein Polizist wurden durch Gewehrkugeln verletzt. Die Täterin hieß Brenda, ein 16jähriges Mädchen. Sie wohnte direkt gegenüber der Schule. Geschossen hatte sie aus dem Fenster ihres Zimmers mit einem halbautomatischen Gewehr.

Schiessen aus Langeweile

Die Schießerei zog sich über einige Stunden hin. Ein Journalist hörte davon. Er rief bei Brenda an. Sie hörte das Klingeln, legte das Gewehr kurz beiseite und ging ans Telefon. Der Journalist fragte sie: „Warum schießt du?“ Sie antwortete: „Ich mag keine Montage. Dies belebt den Tag.“ Dann schoss sie weiter. Später fragte auch die Polizei nach dem Warum. Sie bekam dieselbe absurde Antwort. Brenda hatte offenbar aus Langeweile gehandelt und empfand keinerlei Mitgefühl. Darüber waren alle um sie herum schockiert: Eltern, Freundeskreis und Mitschülerinnen. Alle kannten Brenda bis dahin als einen unauffälligen Teenager. Nun hatte sie in ihren seelischen Abgrund schauen lassen.

"I don´t like Mondays"

Diese absurde Amok-Tat hat der Musiker Bob Geldof in einem Radiostudio zufällig mitgehört. Seine Gefühle und Gedanken dazu hat er musikalisch verarbeitet. Aufgenommen hat er den Song mit seiner damaligen Band, den Boomtown Rats. Eindringlich hämmert der Song immer wieder die Frage aller Fragen heraus: Tell me why? - sag mir Warum?“ Die Antwort des Mädchens ist auch der Titel des Songs: „I don´t like Mondays – ich mag keine Montage.

Musik: „I don´t like Mondays“ (Boomtown Rats) Refrain

Leiden und Sterben tragen in sich selbst keinen Sinn

„Ich mag keine Montage.“ Kann das ein Grund sein, wahllos auf unbekannte Menschen zu schießen? Das klingt absurd, fand auch Bob Geldof. Er kommt zu dem Ergebnis: Es gibt keine Gründe. Es kann keine geben. Leiden und Sterben tragen in sich selbst keinen Sinn. Das empfand wohl auch Jesus so. Er starb auf Golgatha, einem Hügel bei Jerusalem, einen sinnlosen Tod, so erschien es.

"Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?"

Die römischen Machthaber nagelten ihn ans Kreuz, wie einen politischen Aufrührer. Das war er nicht. Die religiösen Autoritäten verdächtigten ihn als Gotteslästerer. Das war er auch nicht. Menschen auf der Straße verachteten ihn wie einen Hochstapler, auch das war er nicht. Stattdessen tröstete Jesus viele und heilte Kranke. Er sprach über seinen Glauben und über Gottes Gnade, denn mit Gott stand er in einer tiefen Verbindung. Warum sollte man so einen töten? Darauf hatte Jesus selbst keine Antwort, als er am Kreuz hing, wo das Sterben lange dauert und grausam ist. Er fühlte sich verraten und verlassen - von den Menschen, von ihren vorgeschobenen Gründen und vor allem von Gott: Deshalb stammelt Jesus: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Menschen, die etwas Schlimmes erlebt haben, sehnen sich nach einer Antwort

Dieser Satz beschreibt, was viele Menschen empfinden, wenn sie etwas Schlimmes erleben. Dann sehnt man sich nach Halt. Eine Antwort auf die Frage nach dem „Warum“ ist so ein Halt, vielleicht nur ein kleiner – aber immerhin. Deshalb sehnen sich viele verzweifelt nach einer Antwort. Manche suchen dabei die Schuld beim Opfer und sagen: „Überleg mal, was du falsch gemacht haben könntest!“ Andere unterstellen einen tieferen Sinn und sagen: „Wer weiß wofür es gut ist!“ Manche schauen Richtung Gott und nehmen an: „Das war Gottes Wille.“ Damit scheint alles klar zu sein, denn Gott ist ja allmächtig.

Das war Gottes Wille?

Doch dann muss man weiterfragen: Will Gott so etwas wirklich? Schließlich heißt es in der Bibel: Gott ist die Liebe. (1. Johannes 4,16) Hätte Gott dann nicht das Schlimme verhindern müssen? Aber das tut Gott offensichtlich nicht oder zumindest nicht immer. Das auszuhalten ist schwer. Viele Menschen schieben deshalb die schreckliche Seite des Lebens beiseite, so gut sie können.

Ein Song wurde zum Muntermacher gegen die Montagsmüdigkeit

So passiert es auch bei dem Song der Boomtown Rats. Eigentlich müsste der Song einem die gute Laune verderben und aufrütteln, zumindest nachdenklich machen. Dennoch wurde daraus ein erfolgreicher Hit. Er stürmte die Charts und wurde Jahrzehntelang gespielt als Muntermacher gegen die Montagsmüdigkeit. Sicher haben viele gar nicht erkannt oder erkennen wollen, was sie da hören.

Musik: „I don´t like Mondays“ (Boomtown Rats), Strophe 1,

Gott lässt den Ereignissen ihren Lauf

Gott ist die Liebe, heißt es in der Bibel. Und trotzdem lässt Gott den Ereignissen ihren Lauf. Dazu gehören auch Grausamkeiten von Menschenhand und Katastrophen in der Natur. Offenbar handelt Gott nicht immer wie eine allmächtige Schutzmacht der Liebe. Jedenfalls nicht so, wie man sich das wünscht. Das war in der Schule in San Diego so und so war es auch bei Jesus am Kreuz.

Dieser innere Widerspruch lässt sich nicht auflösen. Das ist unbefriedigend. Aber so ist es: Gott ist größer als das, was ich verstehen kann. Und Gott entzieht sich meinen Wünschen, wie er zu sein oder zu handeln hat. Gott ist unverfügbar. Vielleicht macht ihn gerade das wirklich zu Gott.

Jesus klagt Gott am Kreuz sein Leid

Wie kann man damit umgehen? Das zeigt mir Jesus am Kreuz. Obwohl der sich von allen, auch von Gott, verlassen fühlt. wendet er sich trotzdem ausgerechnet an Gott. Schreit nach ihm. Klagt Gott sein Leid - über Gott und die Welt. Dabei greift er auf Worte zurück, die er kennt. Wie das oft ist in der Not, wenn eigene Worte fehlen. Dann können altbekannte Worte aushelfen.

Jesus spricht die ersten Worte eines Gebetes 

Jesus spricht die ersten Worte eines Gebets aus der Bibel. Den 22. Psalm: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.“ Alle, die es damals gehört haben, wissen, wie der Psalm weitergeht. Da kommen Worte und Bilder größter Not wie: „Mein Herz ist in meinem Leibe wie zerschmolzenes Wachs.“ Und: „Meine Zunge klebt mir am Gaumen und du legst mich in den Staub des Todes.“ Doch dann ändert sich in dem Psalm die Gefühlslage.

Hoffnung scheint auf

Offenbar ist Gott zurückgekehrt und zur Hilfe geeilt. Denn der Psalm endet mit Lob und Dank an Gott, der sich um alle Menschen sorgt. Wenn Jesus also am Kreuz dieses Gebet spricht, findet er Worte für seine Verzweiflung und stellt sie zugleich in einen Rahmen, der mehr ist als das. Damit sind die Not und die Angst nicht weg, und auch nicht das Gefühl, von Gott verlassen zu sein. Das ist noch da. Aber daneben scheint auch Hoffnung auf: Dies wird nicht das letzte Wort bleiben.

Gott gibt seine Antwort drei Tage später

Indem Jesus mit Psalm 22 nach dem Warum und Wozu seines Todes fragt, deutet er also bereits eine Antwort an. Heute wissen wir: Gott wird seine Antwort drei Tage später geben. Denn Jesus bleibt nicht von Gott verlassen. Kein Mensch bleibt von Gott verlassen. Gott holt seinen Sohn Jesus Christus durch den Tod hindurch zu sich. Auferstehung also. Darin scheint doch ein Sinn für den Tod Jesu auf – und ein Hoffnungsschimmer für die Welt. Mehr kann man im Schrecken vielleicht nicht tun als das: Keine Gründe dafür suchen, denn die greifen ohnehin zu kurz. Nicht vertrösten, denn das wäre ohnehin schal. Aber Worte finden für die Gottverlassenheit. Damit kann ich Gott konfrontieren. Jesus fand Worte, die ein Fünkchen Hoffnung in sich tragen: Gott lässt auferstehen.

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