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Was wir brauchen
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Was wir brauchen

Stefan Claaß
Ein Beitrag von Stefan Claaß, Evangelischer Pfarrer und Professor, Theologisches Seminar Herborn
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„Sonne braucht man schon“ bemerkte ein Mann am Nebentisch. Ich saß vor einigen Wochen in unserer Bäckerei am Fenster und tröstete mich mit einem Kaffee. Draußen war es trüb. Und innen auch, ehrlich gesagt.

„Sonne braucht man schon!“ Zwei Rentnerehepaare im Austausch über das, was wir im Leben brauchen. Zeit für die Enkel. Etwas zu essen. Und eben Sonne. Wahrscheinlich hätte ich den Satz überhört, wenn ich nicht gerade in der Apotheke gewesen wäre. Ein Fläschchen Vitamin D zum Sprühen hatte ich mir gekauft. Um Mangelerscheinungen vorzubeugen. Weil die Sonne sich so selten blicken ließ in den letzten Wochen.

Ein Geschenk des Himmels

Die Rentner-Gruppe bezahlte und ging. Drei Minuten später hellte sich die Fußgängerzone draußen auf. Die Sonne. Natürlich habe ich mich gefragt: Ist das jetzt Zufall? Magie? Hat Gott Humor? Normaler Wetterwechsel? Solche Erlebnisse lassen sich ja ganz unterschiedlich deuten. Ich entschied mich für: ein Geschenk des Himmels.

Ja, Sonne braucht man, da hatte der Mann recht. Und was noch? 

Es braucht gute Nachrichten

Enkel habe ich noch keine und Essen ist mir nicht so wichtig. Wenn mich jemand fragen würde: Was brauchst du? Dann würde ich als erstes antworten: Gute Nachrichten. Das rangiert derzeit bei mir ganz oben. Ich fand das schön und wohltuend zum Jahreswechsel: In meiner Zeitung und im Internet tauchten verschiedene Sammlungen auf mit guten Nachrichten aus dem letzten Jahr. Die Vereinten Nationen haben erstmals ein Abkommen zum Schutz der Weltmeere geschlossen. Und Deutschland hat in diesem Jahr seine Ziele im Ausbau der Solarenergie weit übertroffen. Sonne brauchen wir dann in mehrfacher Hinsicht.

Die Bibel ist voll von guten Nachrichten

Gute Nachrichten. Die brauche ich. Finden kann ich sie fast überall, aber am zuverlässigsten in der Bibel. Dort ist die Gute Nachricht Programm. Sie heißt auf Griechisch euanggelion, also: Evangelium. Evangelium meint in der Bibel die Geschichten von Jesus Christus und die gute Nachricht, die in diesen Geschichten steckt: Ich kann Gott mitten in unserer Welt antreffen, mitten im Alltag. Spürbar für uns.

Mancher wird nun einwenden: Diese alten Geschichten braucht es doch heute nicht mehr. „Gott“ scheint manchen Menschen nur als eine weitere Möglichkeit, wie ich meine Beobachtungen und Erlebnisse deuten kann. Steht das als Deutungsangebot alles einfach nebeneinander: Glück? Zufall? Oder eben Gott?

Die gute Nachricht: Gott ist da

Ich glaube das nicht. Im Gegenteil: Ich glaube, dass Gott mir bei meinen Überlegungen hilft. Ich glaube, dass Gott mir hilft, in meinen Beobachtungen die guten Nachrichten zu entdecken – jenseits von Wunschdenken und Täuschungen. Das verändert meinen Blick: Ich glaube, dass ich so mutiger und wahrhaftiger leben kann, weil Gott anwesend ist – in meinen Erfahrungen, mitten im Alltag.

Gute Nachrichten sind ein Geschenk

Gott ist anwesend mitten in unserem Alltag und in unseren Erfahrungen. Für mich heißt das konkret: Ich bin dankbar für gute Nachrichten. Sie sind für mich nicht selbstverständlich oder Zufall, sondern ein Geschenk Gottes. Deshalb freue ich mich über jede gute Nachricht. Und gleichzeitig weiß ich: Ich habe keinen Anspruch darauf, dass immer alles gut ist oder wird.

Schlechte Nachrichten trüben den Blick

So eine Anspruchshaltung kenne ich nämlich auch von meinen Besuchen in der Bäckerei: Der Raum ist voll ist von Beschwerden über das Wetter, die Politik und auch sonst noch das ganze Leben. Gehen die Menschen nach solchen Gesprächen fröhlicher nach Hause? Sicher nicht. Jedenfalls sehen sie nicht so aus. Manchmal klage oder lästere ich auch ganz gern, das gebe ich zu. Aber nicht zu lange und nicht dauerhaft. Denn das trübt nicht nur mein eigenes Leben ein, sondern auch andere.

„Sonne braucht man schon“, dieser Satz aus der Bäckerei gilt auch für die Seele. Gute Nachrichten brauchen wir, um die schlechten auszuhalten oder dagegen anzugehen.

Gute Nachrichten für Bartimäus

Das wussten schon die Menschen, die die Geschichten der Bibel aufgeschrieben haben. Die gute Nachricht dieser Geschichten lautet: Gott ist mitten in unserem Alltag anwesend und mit uns unterwegs. Besonders deutlich wird diese gute Nachricht der Bibel im Evangelium, also in den Lebensgeschichten des Jesus von Nazareth.

Jesus trifft Menschen in Not und macht ihren Alltag heller. Ich denke da zum Beispiel an einen blinden Mann in Jericho. Er heißt Bartimäus. Der sitzt am Rand des Markplatzes. In der Mitte des Platzes steht Jesus und mit ihm herum eine große Menge. Bartimäus will keine Randfigur bleiben. Er will etwas abbekommen von den guten Nachrichten, die Jesus erzählt. Bartimäus ruft so laut er kann: Siehst du mich, Jesus? Und was macht Jesus? Er redet Bartimäus nicht einfach gut zu oder speist ihn ab. Jesus fragt. Er hört zu. Er sagt zu Bartimäus: „Was willst du, dass ich für dich tun soll?“ Das ist eine meiner Lieblingsstellen in der Bibel. Weil diese Frage die Situation und den Tag für Bartimäus öffnet. Jesus nimmt ihn wahr. Er nimmt ihn ernst. Er fragt ihn. Und er hört ihm zu.

Hinhören und handeln

Den anderen wahrnehmen, ihn ernst nehmen, fragen und zuhören: Wenn einer so handelt: das ist ein Geschenk Gottes. Leider fehlt es zu oft daran. Menschen werden übersehen, in ihrer Situation nicht ernstgenommen, nicht gefragt, was sie bewegt. Und am Ende glauben andere, sie wüssten schon, was dieser Mensch braucht. „Sonne braucht man schon“, hat der Rentner in der Bäckerei gesagt. Und ich füge hinzu: Solches Evangelium, solches Verhalten wie das von Jesus gegenüber dem Bartimäus, das brauche ich auch. Das tut gut und ist wie Sonne für die Seele.

Die Welt ist voll von schlechten Nachrichten

Gute Nachrichten und Sonne für die Seele lebensnotwendig – das gilt im Kleinen wie im Großen, im eigenen Leben wie in der Welt. Besonders wenn man die aktuelle Nachrichtenlage verfolgt, wenn wir nach Israel und Palästina und in die Ukraine schauen: Da fällt es schwer, mit diesen Nachrichten zu leben, ohne zu verzweifeln und ohne sie einfach zu verdrängen.

Ich verstehe nicht, woher solcher Hass kommt auf ein bestimmtes Volk oder solcher Fanatismus, dass jemand eine Granate zündet oder einen brutalen Überfall plant. Aber ich ahne: Irgendwo in ihm steckt ein Funke, der solchen Hass und solche Verbrechen entzündet.

Wie umgehen mit schlechten Nachrichten?

Ich sehe deshalb zwei Arten, wie man mit diesen schrecklichen Nachrichten umgehen kann. Zum einen: Es ist notwendig, dass sich Menschen gegen solche Verbrechen wehren, dass sie sich widersetzen und sie eindämmen mit wirksamer Verteidigung.

Zum anderen: Ich möchte mich selbst einsetzten im Kampf gegen die inneren Zündfunken von Hass, Verachtung und Fanatismus. Das ist für mich das Gebet an Gott. Ich bete zu Gott, dass er sich auch um diese Menschen kümmert und Wege findet, solche Funken des Hasses zu löschen.

Gott wirkt in Menschen

Ob und wie mein Beten hilft, kann ich nicht beweisen. Aber ich lese und höre Beispiele von Menschen, die sich ent-radikalisieren. Die gibt es. In Russland, in Israel und in Palästina. Ich glaube: dahinter steckt Gottes leises und konsequentes Wirken. Das ist kein Zufall, und es ist mehr als Glück. Das ist ein aktuelles Evangelium: die gute Nachricht, dass Gott da ist und wirkt - in den Menschen und in der Welt.

Was das Leben hell macht

„Sonne braucht man schon“, hat der Rentner in der Bäckerei gesagt. Recht hat er. In mehrfacher Hinsicht. Sonne für den Körper und für unser Lebensgefühl. Etwas, das die Seele hell macht. Licht und gute Nachrichten. Für mich: Vor allem die gute Nachricht, dass Gott da ist. Denn eine Adresse brauche ich. Für meine Fragen. Für meine Ängste. Für meine Hoffnung. Jemand, der mich hört. So wie Jesus, der den blinden Bartimäus hört im Evangelium. Auf die Frage Jesu, was der ihm tun soll, antwortet Bartimäus übrigens: „Dass ich sehen kann!“

Das ist auch mein Satz und meine Bitte und meine Hoffnung. Dass ich sehen kann, wo und wie Gott in unserem Alltag unterwegs ist. Hier bei uns und weltweit. Diesen Blick brauche ich. Und Sonne, das ist wahr. Und eine Adresse für alles, was uns bewegt.

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