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Positives Körpergefühl
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Positives Körpergefühl

Anke Jarzina
Ein Beitrag von Anke Jarzina, Katholische Pastoralreferentin in der Pfarrei St. Peter und Paul in Wiesbaden
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Jetzt ist das Jahr schon zwei Wochen alt – und meine guten Vorsätze sind es auch. Wie immer hab ich mir auch für dieses Jahr einiges vorgenommen. Ganz oben auf meiner Liste steht mal wieder: Abnehmen. Dieses Jahr werde ich das auf jeden Fall schaffen – oder? Hand aufs Herz - ich hab schon jetzt den Verdacht: Das wird wohl auch dieses Jahr nichts. An Neujahr war ich tatsächlich mal kurz motiviert. Aber dann hab ich nachgedacht: Abnehmen - ist das wirklich so sinnvoll? Und was steckt eigentlich hinter diesem Vorsatz?

Viele gute Gründe, ein paar Kilos abzuspecken

Wie rund die Hälfte aller Deutschen bin ich etwas übergewichtig. Und daran sind nicht nur die vergangenen Festtage Schuld. Jedes Jahr kommen bei mir so ein, zwei Kilos drauf. Manchmal fühl ich mich deshalb ziemlich unwohl in meiner Haut. Denn: Einige Klamotten sehen nicht so gut an mir aus wie früher. Und so manche Lieblingsjeans krieg ich einfach nicht mehr zu. Dazu kommt: Eigentlich bin ich ein sportlicher Typ, aber Sport fällt mir natürlich schwerer, je schwerer ich bin. Dabei würde Sport meinen zu hohen Blutdruck natürlich senken. Es gibt also viele gute Gründe für meinen Vorsatz, ein paar Kilos abzuspecken. Ich würde mich bestimmt besser fühlen, beweglicher, gesünder. Aber: Ist das den ganzen Aufwand überhaupt wert?

Den inneren Schweinehund in die Wüste schicken?

In den vergangenen Jahren hab ich mir ganz schön Druck gemacht wegen der überschüssigen Pfunde: Diäten. Intervallfasten. Fitness-Apps, die mich täglich an mein Schrittziel erinnern. Eine Ernährungsberatung, die mir meine ungesunden Gewohnheiten bewusst gemacht hat. Aber es ist immer dasselbe: Anfangs bin ich total diszipliniert, dann kommt etwas dazwischen – und schon bald denk ich: Jetzt ist es auch egal. Also, was soll ich 2024 machen? Soll ich meinen inneren Schweinehund endlich in die Wüste schicken und das Jahr zu meinem persönlichen „Jahr der Fitness“ machen?

Ich bin doch noch viel mehr als „nur“ mein Körper

Den Schweinehund überwinden - oder als Teil von mir ansehen? Abnehmen - oder meine zusätzlichen Kilos annehmen? Seit ein paar Jahren gibt es einen Trend, der klar zur zweiten Option tendiert. Er heißt „body positivity“, also „positive Einstellung zum Körper“. Die den Trend verfechten, möchten unrealistische und diskriminierende Schönheitsideale abschaffen. Das finde ich richtig gut: Denn Ideale sind ja tatsächlich stark von der Gesellschaft abhängig, in der ich lebe. In vielen afrikanischen Ländern zum Beispiel gelten mehrgewichtige Frauen als besonders attraktiv. Wieso also sollte ich mein Selbstwertgefühl von den Idealen unserer westlichen Industriegesellschaft abhängig machen? Die Grundidee des „body positivity“-Trends unterstütze ich total: Menschen sollten nicht wegen körperlicher Merkmale diskriminiert werden. Mein Körper ist nun mal, wie er ist – darüber kann und darf sich niemand ein Urteil erlauben. Aber andererseits finde ich „body positivity“ auch schwierig, denn im Fokus dieser Bewegung steht nach wie vor der „body“, der Körper. Ich bin zwar mein Körper – aber ich bin doch noch viel mehr! Und der Blick auf dieses „Mehr“, der ist mir eigentlich viel wichtiger.

Unser Körper braucht unsere Seele

Das heißt nicht, dass ich meinen Körper vernachlässige. Die Leibfeindlichkeit der katholischen Kirche finde ich im Gegenteil furchtbar. Dabei gibt ihre wichtigste Quelle, die Bibel, gar keinen Anlass dafür. Da heißt es zum Beispiel: „Habt ihr etwa vergessen, dass euer Körper ein Tempel des Heiligen Geistes ist, der in euch wohnt und den euch Gott gegeben hat?“ (1. Brief an die Gemeinde in Korinth, Kapitel 9, Vers 16). Außerdem: Gott hat ja laut Bibel die gesamte Wirklichkeit geschaffen, und die fand er immerhin „sehr gut“ - inklusive unserer Körper! (1 Mose, Kapitel 1, Vers 31). Und die Krönung: Gott ist in Jesus selbst „Fleisch“, Körper, Mensch geworden (Johannes 1, Vers 6). Das kann doch nur eines bedeuten: Das Göttliche in uns – unsere Seele – ist durch unseren Körper in dieser Welt.

Die Leibfeindlichkeit der katholischen Kirche im Mittelalter

Moderne Theologen sind der Meinung: Der Mensch ist eine Leib-Seele-Einheit. Das Eine gibt es nicht ohne das Andere: Unser Körper braucht unsere Seele, um lebendig zu sein – und umgekehrt. Im Mittelalter hat man das anders gesehen und klar getrennt: Unser Körper, dachte man, sei eher böse, die Seele dagegen göttlich und gut. Deshalb brauche der Leib zwar die Seele, um sich aus seiner Schlechtigkeit zu befreien, aber die Seele könnte auch ohne den Leib existieren. Im Gegenteil dachte man: Die Seele soll sogar erst dann wirklich frei sein, wenn sie sich vom Körper getrennt hat. In diesem Dualismus hat die leibfeindliche Haltung der Kirche ihre Wurzeln.

Tu deinem Leib Gutes, damit deine Seele Lust hat, darin zu wohnen

Aber nicht alle Menschen damals hatten den Körper verteufelt, manche wollten auch eine harmonische Beziehung von Leib und Seele. Die Mystikerin und Kirchenlehrerin Teresa von Ávila zum Beispiel hat im 16. Jahrhundert einmal formuliert: „Tu deinem Leib Gutes, damit deine Seele Lust hat, darin zu wohnen.“ Das ist für mich eine schöne, gläubige Version von „body positivity“: Mein Körper ist die Wohnung, ja sogar der Tempel meiner Seele, meinem innersten Wesenskern, der mir von Gott geschenkt ist – und deshalb will ich gut mit ihm umgehen. Und nicht deshalb, weil ich einem bestimmten Ideal nacheifere. Was bedeutet das jetzt für meinen guten Vorsatz?

Mein Körper: eine Wohlfühl-Wohnung ohne strenge Hausregeln

Mein Körper ist die Wohnung meiner Seele. In einer Wohnung fühle mich dann wohl, wenn ich merke: Hier kann ich daheim sein und ausruhen. Hier darf ich sein, wie ich bin. Hier kann ich genießen und das Leben feiern, das mir geschenkt worden ist. Wenn mein Körper so eine Wohlfühl-Wohnung für meine Seele sein soll, dann ist da kein Platz für starre Hausregeln. Dann kann keine Norm wie ein Body-Mass-Index sagen, ob ich unter- oder übergewichtig oder „genau richtig“ bin.

Nur ich kann entscheiden und ehrlich Bilanz ziehen

Nur eine einzige „Hausregel“ erscheint mir sinnvoll in dieser Wohnung meines Körpers für die Seele: Sei ehrlich mit Dir selbst. Denn nur ich kann entscheiden: Wie geht es mir wirklich mit meinem Gewicht? Ist es gerade gut für mich, ein paar Kilos zu viel zu haben - oder mache ich mir etwas vor? Brauche ich die zusätzliche Speckschicht momentan wie eine Raupe den Kokon, während sie zum Schmetterling wird? Fühle ich mich vielleicht stabiler durch die Pfunde, besser gewappnet gegen eine immer bedrohlichere Welt? Oder futtere ich mir als Trost gegen Stress und Frust zu viel Ballast an, der auch meine Gesundheit gefährdet? Und wenn ich ehrlich Bilanz gezogen habe: Was bedeutet das? Was braucht meine Seele, damit sie „Lust“ hat, in meinem Körper zu wohnen? Was brauche ich wirklich, damit es mir gut geht?

Wie kann ich leben, dass ich mich wohlfühle in meiner Haut?

So verstanden wird „body positivity“, die positive Einstellung zu meinem Körper, etwas sehr Spannendes: Ich nehme meinen Körper nicht nur an, wie er ist, sondern schaue mal genau hin, was er mir über meine Seele sagt und über meine wahren Bedürfnisse. Und dann überlege ich: Wie kann ich so leben, dass ich mich wohl fühle in meiner Haut – und zwar langfristig und nicht nur oberflächlich.

Beobachten, wie es mir mit meinem Körper geht

Für mich heißt das konkret: Ich werde dieses Jahr bewusst nicht versuchen, abzunehmen. Ich werde stattdessen regelmäßig in einem Tagebuch aufschreiben, wie es mir mit und in meinem Körper geht – und ob sich meine Seele darin wohlfühlt. So finde ich vielleicht besser heraus, was mir wirklich fehlt und was ich brauche. Und wenn ich schon keine Diät halte oder ins Fitnessstudio gehe, dann gönne ich mir wenigstens regelmäßig einen Spaziergang an der frischen Luft und nehme wahr, wie gut mir das tut.

Ich hab Lust auf eine lebendige Beziehung zwischen Leib und Seele

Was auch immer bei meinen Beobachtungen rauskommen wird – ich glaube: Im kommenden Jahr werde ich nicht unbedingt schlanker werden, aber gesünder - und vielleicht sogar glücklicher. Eine lebendige Beziehung zwischen meinem Leib als Wohnung Gottes und meiner Seele: Darauf hab ich richtig Lust!

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