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Die rote Uhr
Bild: Pixabay

Die rote Uhr

Dr. Annette Wiesheu
Ein Beitrag von Dr. Annette Wiesheu, Theologische Referentin des Bischofs von Mainz
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Eines der besten Geschenke, das ich je bekommen habe, war eine rote Armbanduhr. Meine Tante hat sie mir mitgebracht von einer Reise in die USA, und zwar im Jahr 1984. Die Uhr war ein Merchandising Produkt von den Olympischen Sommerspielen, die 1984 in Los Angeles stattfanden. Ich habe die Uhr schon lange nicht mehr, aber ich erinnere mich genau, wie sie ausgesehen hat. Sie war hellrot, mit Digitalanzeige, und darauf waren die olympischen Ringe zu sehen und die Aufschrift „Los Angeles 1984“. Besonders wertvoll war sie vermutlich nicht. Ich war damals ein kleines Mädchen, in der Grundschule und unglaublich stolz: eine richtige Armbanduhr, die funktionierte und die Uhrzeit anzeigte, und dann noch dazu aus Amerika. Voller Stolz habe ich die Uhr meinen Schulfreundinnen gezeigt, und sie haben mich gebührend bewundert. Mit meiner Uhr aus Amerika kam ich mir recht groß und erwachsen vor und auch ein bisschen wie eine Dame von Welt.  

Es war ein besonderes Geschenk für mich

Vor ein paar Jahren habe ich mit meiner Tante nochmals über dieses Geschenk gesprochen. Ich habe ihr erzählt, was für ein besonderes Geschenk diese Armbanduhr für mich war und wie sehr ich mich damals gefreut habe. Sie hat gelacht, und ich hatte den Eindruck, sie war auch ein wenig überrascht. „Dass du das noch weißt!“, sagte sie. Ich glaube, sie hat sich ein bisschen gewundert, dass ausgerechnet diese rote Uhr eine so große Freude bei mir ausgelöst hat. 

Mache mir immer viele Gedanken

Jetzt, vor Weihnachten, wenn es ans Aussuchen und Besorgen der Geschenke geht, muss ich an die Uhr denken und an dieses Gespräch mit meiner Tante. Ich mache mir immer viele Gedanken, welches Geschenk zu wem passen könnte. Sicher, auf die Geste des Schenkens kommt es an, aber was geschenkt wird, ist dann doch nicht ganz unwichtig. Ein gut ausgewähltes Geschenk, daran lässt sich erkennen: Bin ich aufmerksam für den Beschenkten? Habe ich eine Vorstellung von seinen oder ihren Wünsche? Von dem, was ihm oder ihr etwas bedeutet? 

Nach 40 Jahren noch so in Erinnerung

Aber gleichzeitig geht mir dann auch durch den Kopf: Manchmal weiß ich ja auch gar nicht, was ein Geschenk für einen anderen Menschen letztlich bedeutet, was es in ihm auslösen kann. So wie mit der roten Uhr: Ich glaube, meine Tante hat nicht geahnt, dass gerade dieses Geschenk eine solche Wirkung hat und mir noch fast 40 Jahre so lebhaft in Erinnerung ist. Wahrscheinlich hat sie einfach intuitiv das Richtige getroffen.

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