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Wurzeln oder Zufluss?
Bild: Pixabay / Wendy CORNIQUET

Wurzeln oder Zufluss?

Helmut Wöllenstein
Ein Beitrag von Helmut Wöllenstein, Evangelischer Pfarrer, Marburg
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Sind es Wurzeln - oder ist es ein Zufluss? Wie soll ich das nennen, was mich geprägt hat, was mich stark macht und mir Energie gibt? Eine spannende Frage. Ich bringe sie mit von einem Vortrag, den ich gehört habe. Eine Ärztin engagiert sich dafür, dass Menschen mit Migrationshintergrund auch psychologisch behandelt werden. Da braucht es zuerst Personen, die gut übersetzen können. Oft wird eine lange und schwere Geschichte erzählt, weil es ein schwerer Weg war von dort nach hier mit Verlusten, Trauer und Angst.

Von Zufluss sprechen statt von Wurzeln

Dazu berichtet die Ärztin von einer neuen wissenschaftlichen Einsicht: Wir sollten in solchen Situationen nicht mehr von den „Wurzeln“ sprechen, die diese Personen in ihrem Herkunftsland haben. Besser ist es, wenn wir vom „Zufluss“ reden. 

Eine gute Idee, wie ich finde. Denn Wurzeln können etwas sein, das dich festhält. Oder das ausgerissen wird, wenn du dein Leben änderst. Daran zu denken, kann Menschen schwächen und krankmachen. Ein Zufluss dagegen muss ständig weiter fließen. Ich kann ihn mir nur beweglich und offen vorstellen. Wie einen Strom, der dir zufließt: aus Zuwendung und Liebe, Bildung, Religion. Sicher auch mit den Problemen, die kommen und mit den Lösungen, die dich stark machen. 

Zufluss - ein hilfreiches Bild, um mobiles Leben zu meistern

Ich bin kein Migrant, bin in Hessen geboren und die meiste Zeit geblieben. Doch es waren verschiedene Orte, in die wir als Familie weitergezogen sind. Dazu der Kulturwechsel aus einer Handwerkerfamilie ins Pfarrhaus. Ich denke, immer mehr von uns sind heute ähnlich unterwegs. Sie ziehen um, brauchen neue Jobs, die Familie ändert sich. Wechsel, die einem nie ganz leichtfallen. Vielleicht kann das Bild helfen, ein mobiles Leben zu meistern: Was ist mir bisher zugeflossen? Was kommt gerade jetzt in meinem Leben an? Was davon will ich gerne aufnehmen, und was lasse ich lieber abfließen?

Bild von den Wurzeln ist für mein Leben zutreffend 

Der Zufluss ist ein gutes Bild und hilfreich. Ich möchte aber weiterhin auch von meinen Wurzeln sprechen. Man sieht sie nicht. Sie sind unter der Erde. Aber sie geben mir Halt. Ich kann trotzdem beweglich bleiben. Wurzeln sind kein Betonfundament. Sie hören nie auf zu wachsen, tasten sich immer ganz fein in die neuen Lebenskreise vor. Manche Pflanzen wachsen sogar besser, wenn sie umgetopft werden. Sie treiben Wurzeln, bleiben also beweglich. 

Beide Bilder finden sich in Psalm 1 wieder 

Ich mag beide Bilder. Wurzeln und Zufluss. Ich finde das auch in der Bibel wieder. Psalm 1 wirbt für diese Lebensadern. Wer auf Gottes Stimme hört, heißt es da, „der ist gepflanzt wie ein Baum an den Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit und seine Blätter welken nicht“. Da haben wir beide Bilder genial zusammen: Du hast Wurzeln im Glauben – die bringen dir Zufluss und Lebenskraft. 
 

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