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Leichenschmaus
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Leichenschmaus

Rüdiger Kohl
Ein Beitrag von Rüdiger Kohl, Evangelischer Pfarrer, Frankfurt-Bockenheim
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„Wie nennst du das gemeinsame Essen bei einer Trauerfeier?“ Diese Frage steht über einem Gemälde in einer Ausstellung im Kasseler Museum für Sepulkralkultur. Die Ausstellung heißt „Trost – Auf den Spuren eines menschlichen Bedürfnisses“. Auf dem Gemälde sehe ich einen großen Tisch mit einer schwarzen Tischdecke. Verschiedene Menschen sitzen am Tisch. Alte und junge. Ein Mann weint. Links und rechts von ihm ein Mann und eine Frau, die ihm eine Hand auf die Schulter legen, ihr Gesicht dem Weinenden zugewandt. An einer Stelle auf dem Tisch steht ein Wort als Antwort auf die Frage, wie dieses gemeinsame Essen genannt wird: „Leichenschmaus“.

Als Pfarrer ist man oft zum Leichenschmaus eingeladen

Als Pfarrer werde ich oft zum Leichenschmaus eingeladen. Meistens in einem Lokal oder im Gemeindehaus. Wenn ich kann, gehe ich hin. Ich spreche dann mit den Angehörigen. Und mit anderen Gästen, die eine Beziehung zu dem verstorbenen Menschen hatten. Sie erzählen, was sie mit ihm oder ihr erlebt haben, und auch Anekdoten, über die wir gemeinsam lachen. Manchmal sehe ich, wie Gäste einander umarmen und sich gegenseitig mit einer kleinen Berührung trösten. So wie auf dem Bild in der Ausstellung in Kassel.

Trost ist ein menschliches Grundbedürfnis

Der Philosophieprofessor Jean-Pierre Wils hat das Begleitbuch zur Ausstellung geschrieben. Er beobachtet: Viele Menschen schämen sich heute dafür, Trost zu brauchen. Weil sie glauben, sich diese angebliche Schwäche nicht erlauben zu dürfen. Doch er ist überzeugt: Trost ist ein menschliches Grundbedürfnis.

Wie soll es jetzt weitergehen?

Das kenne ich auch: Wenn ein geliebter Mensch gestorben ist. Oder wenn mir etwas geschehen ist, das nicht einfach repariert werden kann. Wenn ich einen Lebensplan aufgeben musste. Oder mir etwas so richtig misslungen ist. Dann brauche ich Zeit für die Frage: Wie soll es jetzt weitergehen?

Trösten und sich trösten lassen

Trösten und sich trösten lassen. Wils wählt dafür ein schönes Bild. Er nennt es „Ummantelung“. Wenn ein anderer Mensch signalisiert: Ich kann deinen Schmerz nicht auf Augenhöhe miterleben. Kann nichts ungeschehen machen. Aber ich kann dich mit meiner Aufmerksamkeit umhüllen wie mit einem Mantel, wenn es kalt ist.

"Tröster" ein schöneres Wort für Leichenschmaus

Das gemeinsame Essen bei einer Trauerfeier ist eine Gelegenheit dafür. Wie nenne ich selbst dieses Essen? Ich finde das Wort Leichenschmaus nicht so schön. Am besten gefällt mir ein Wort, das in anderen Regionen verwendet wird: „Tröster“. Das trifft es gut. Weil hier Menschen getröstet werden. Und sich gemeinsam wieder dem Leben zuwenden.

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