Ihr Suchbegriff
Beitrag anhören:
Bethlehem ist hier
Bild: Jäger

Bethlehem ist hier

Andrea Wöllenstein
Ein Beitrag von Andrea Wöllenstein, Evangelische Pfarrerin, Marburg
Beitrag anhören:

Jeden Sonntag im Advent wird sie schöner und vollständiger, unsere Weihnachtskrippe. Zum ersten Advent räumen wir eine Fensterbank leer und verwandeln sie in eine Landschaft. Mit Tüchern, Moos, Steinen und Ästen. Aus einer Baumrinde wird ein Stall, aus Tannenzapfen kleine Bäume, Holzklötzchen umzäunen den Pferch für die Schafe. Jede Woche kommen Figuren dazu. 

Unsere Kinder spielten schon mit unserer Weihnachtskrippe

Als unsere Kinder klein waren, haben sie gerne damit gespielt. Den Hirten haben sie von draußen Holz fürs Feuer mitgebracht, Ochs und Esel bekamen Heu und Stroh. Tiere aus ihrer Spielkiste durften zur Krippe gehen: Ein kleines Reh, ein Igel, auch mal ein Nilpferd aus der Legokiste. Jeden Abend haben wir Geschichten erzählt, vorgelesene oder ausgedachte. Und an Weihnachten waren sie uns ganz vertraut, die Figuren der Heiligen Nacht. Waren wir selbst ein Teil dieser Krippe.

Die Tradition der Weihnachtskrippen geht auf Franz von Assisi zurück

Die Tradition der Weihnachtskrippen ist alt. Sie geht auf Franz von Assisi zurück ins Jahr 1223. Also vor genau 800 Jahren. „An Weihnachten sollen die Leute nicht nur eine Lesung aus der Bibel hören, sondern die Geschichte erleben“. Das war sein Wunsch. So ließ er in einer Höhle die Weihnachtsgeschichte mit lebendigen Personen aufstellen. Frauen und Männer aus dem Dorf. Einfache Leute, ohne besondere Verkleidung. So wie sie waren, wurden sie Teil der Weihnachtsgeschichte. 

Mit den Gestalten der Heiligen Nacht eins werden

Viele Menschen waren dabei. Sie schauten sich alles an und waren gerührt. Franziskus aber wollte mehr. „Was nützt es,“ fragte er, „wenn Ihr Weihnachten nur feiert, Eure Geschenke aufrechnet und für ein paar Stunden gerührt seid? Ich habe Euch die Krippe nicht zum Anschauen geschenkt, sondern zum Anfassen. Man muss das Kind „auf seinen Armen tragen“, muss die Muttergottes und ihren Mann „in die Arme nehmen“, man muss sich mitten unter die Hirten gesellen und einer von ihnen werden. Mit den Gestalten der Heiligen Nacht eins werden, das ist es.“

Musik: Joseph, lieber Joseph mein 

Zacharias - eine weniger bekannte Gestalt der Weihnachtsgeschichte

Von drei Gestalten der Weihnachtsgeschichte möchte ich erzählen. Genau genommen: Von drei alten Männern. Der erste heißt Zacharias. Beim Krippenspiel kommt er nur selten vor. Er gehört in die vorweihnachtliche Geschichte, in den Advent. Von ihm und seiner Frau Elisabeth schreibt der Evangelist Lukas: „Beide waren hochbetagt“. Trotzdem ist er noch nicht im Ruhestand, sondern versieht seinen Dienst als Priester im Tempel in Jerusalem. Viele Jahre hat er dort gebetet - auch für sich selbst und für seine Frau. 

Zacharias und seien Frau wünschen sich ein Kind

Sie hatten sich so sehr ein Kind gewünscht. Eine Familie wollten sie gründen. Kinder haben und später Enkelkinder. Wie die Nachbarn und Verwandten. Jahr über Jahr haben sie gewartet. Irgendwann haben sie sich abgefunden mit ihrem Schicksal. „Man muss zufrieden sein“. Ja, das sagt sich leicht…aber es fühlt sich oft ganz anders an. Und dann kommt etwas, was sein Leben und Denken völlig durcheinanderbringt. 

Die Verheißung des Engels

Was ihm im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache verschlägt. Ein Engel. Mitten am Tag. Mitten bei der Arbeit. Auch für einen Priester ist das nicht alltäglich. 

„Als Zacharias ihn sah, erschrak er, und es kam Furcht über ihn. Aber der Engel sprach zu ihm: Fürchte dich nicht, deine Frau Elisabeth wird dir einen Sohn gebären und du sollst ihm den Namen Johannes geben… Dieser Sohn wird die Herzen der Väter zu ihren Kindern bekehren und die Ungehorsamen zu der Klugheit der Gerechten…“( Lk. 1,13; Lk. 1,17)

Glaube fehlt an Veränderung

Das ist mehr als Zacharias fassen kann. Er weiß doch, was geht und was nicht geht. Womit man sich abfinden muss. Was sich nicht ändern lässt. „Woran soll ich das erkennen? Ich bin alt und meine Frau ist betagt,“ stammelt er eben noch - und dann wird er stumm.
Vielleicht kennen wir das. Menschen, die nichts mehr vom Leben erwarten. Die verbittert sind, weil sie zu viele Enttäuschungen erlebt haben. Sie erwarten nichts mehr von anderen und auch nicht von sich selbst. Dass sich noch einmal etwas Neues auftut. Dass Veränderung möglich ist. 

Resignation macht stumm

Resignation macht stumm. Das ist im Privaten so und auch im öffentlichen Leben. „Wir können ja doch nichts machen.“ Wer so denkt, wird stumm. Die großen Fragen, die eigentlich von morgens bis abends besprochen werden müssen, werden von Resignation erstickt. Die Frage nach unserem Umgang mit der Schöpfung, nach einer gerechten Verteilung der Güter. Nach Frieden, nach Gemeinschaft. Manchmal geht es uns wie dem alten Zacharias. Der es nicht für möglich hält, dass sich der Traum und die Sehnsucht seines Lebens erfüllen.

Musik: Antonio Vivaldi, Konzert für Cello und Streicher d-moll, RV 407, II. Largo e sempre piano

Simeon - eine weitere Gestalt der Weihnachtsgeschichte 

Auch Simeon – der zweite Mann, von dem ich erzählen will, ist oft im Tempel. Er gehört in die nachweihnachtliche Geschichte der Bibel. Der Evangelist Lukas schreibt von ihm: Er war alt, fromm und gottesfürchtig. Obwohl er bereits am Ende seiner Lebensreise angekommen ist, hat er nicht aufgehört zu warten. 

Er hofft auf das Reich Gottes, auf die Erfüllung der prophetischen Verheißungen. Sein Name Simeon heißt „Erfüllung“, und so glaubt er fest: Die alte Welt bleibt nicht so, wie sie ist. Einer wird kommen und die Welt neu machen. Der Messias, der Retter, der Trost Israels. 

Was erwartet Simeon noch vom Leben?

Sein ganzes Leben hat Simeon auf ihn gewartet. Ein Leben lang hat er von diesem Trost gelebt. Die Leute haben ihn sicher manchmal belächelt. Dieser verrückte alte Mann. Was hat er vom Leben noch zu erwarten? Wartet auf Trost, um sterben zu können. Wartet auf Christus, auf den schon so viele vergeblich gewartet haben. 

Seine Erfahrungen prägen seine Hoffnung

Doch - was er erfahren hat im Leben, das Schöne und das Leidvolle, das hatte zu tun mit seiner Hoffnung. Wenn er Schweres erlebt hat, ist seine Sehnsucht noch brennender geworden. Dann hat er sein Leid vor Gott gebracht. So ähnlich vielleicht, wie wir es mit dem alten Adventslied singen: „Wo bleibst du Trost der ganzen Welt, darauf sie all ihre Hoffnung stellt, ach komm, ach komm, vom höchsten Saal, komm tröst‘ uns hier im Jammertal“ (EG 7)

Gott hat ihn nicht vergessen

Und in den guten Tagen, wenn er glücklich war und Schönes erlebt hat, ist seine Hoffnung zur Gewissheit geworden: Ja! Gott hat uns nicht vergessen. Sein Licht scheint in der Finsternis und einmal, einmal wird erfüllt werden, worauf wir warten! So hat das Warten sein Leben bestimmt und sein Leben hat ihn das Warten gelehrt. 

Musik: „O Heiland, reiß die Himmel auf“, Strophen 1 bis 4 

Josef - eine Gestalt im Zentrum der Krippenszenen

Der Dritte in der Reihe der weihnachtlichen Männer ist Josef. Er steht im Zentrum der Krippenszenen. Neben Maria, an der Krippe mit dem Jesuskind - und bleibt doch irgendwie am Rande des Geschehens. Von ihm ist kein einziges Wort überliefert - geschweige denn ein Lobgesang. Auf Weihnachtsdarstellungen und Krippenfiguren wird er meistens als alter Mann dargestellt. Weil es besser ins Bild passt – die Jungfrau und der alte, nicht mehr zeugungsfähige Mann. 

Die Botschaft des Engels an Josef

Auch für Josef wird alles durcheinandergewirbelt. Er hatte seinen Lebensplan: Die Ausbildung als Zimmermann, seine Werkstatt, die Hochzeit mit Maria. Aber dann ist sie schwanger geworden - von einem anderen. Gerade hat er einen neuen Plan gefasst: Er wird sie verlassen. Heimlich. Ohne großes Theater zu machen. Doch dann kommt auch zu ihm ein Engel. „Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria deine Frau zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist vom Heiligen Geist. Und sie wird einen Sohn gebären dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk erretten von seinen Sünden“(Mt. 1,20f)

Josef macht, was gemacht werden muss

Dies zu verstehen, ja anzunehmen, ist nicht weniger eine Zumutung für Herz und Verstand als das, was Zacharias gesagt wird. Doch von Josef hören wir kein ABER. Josef fragt nicht, Josef diskutiert nicht. Josef macht, was gemacht werden muss. Er nimmt Maria zu sich. Kümmert sich. Ist für sie da und für das Kind, das bald geboren wird. Er sorgt sich. Er ist ein Kümmerer. Für- Sorger. Ein „Care-Worker“, wie wir heute sagen.

Ob die drei sich einmal getroffen haben?

Ob die drei sich einmal getroffen haben? Simeon und Zacharias waren beide im Tempel in Jerusalem. Da gab es sicher Gelegenheiten, miteinander ins Gespräch zu kommen. Die Frauen von Josef und Zacharias, Maria und Elisabeth, waren Cousinen. Vielleicht saßen die Männer bei einem Familientreffen zusammen, während die Kinder gespielt haben. 

Die Begegnung zwischen Simeon und Josef

Dass Simeon und Josef sich kennengelernt haben, wird in der Bibel ausführlich erzählt. (Lk. 2,22-40) Josef und Maria bringen den Neugeborenen Jesus in den Tempel. Dort begegnen sie dem alten Simeon. Er sieht, was dort keiner sieht. In diesem Kind erkennt er den Trost Israels, den Retter der Welt, auf den er ein Leben lang gewartet hat. Er nimmt ihn auf die Arme und lobt Gott mit den Worten: „Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren, denn meinen Augen haben deinen Heiland gesehen.“(Lk. 2,29)

Musik: Heinrich Schütz, „Herr, nun lässest du deinen Diener“ SWV 352a 

Gottvertrauen öffnet Zacharias Herz und Zunge

Auch die Geschichte von Zacharias endet mit Lob und Dank. Die Verheißung des Engels wird wahr und seine Frau Elisabeth bringt einen Sohn zur Welt. Als er den Namen des Neugeborenen auf eine Tafel schreibt, wird dem Verstummten die Zunge gelöst „Er heißt Johannes“. Das bedeutet: Gott ist gnädig. Dieses Kind wird später den Beinamen: „Johannes der Täufer“ bekommen. Als Prediger in der Wüste wird er Jesus den Weg bereiten.
Zacharias befolgt die Worte des Engels – und seine Sprache kommt zurück. Zweifel und Resignation machen stumm. Glaube und Vertrauen öffnen das Herz und lösen die Zunge.  

Der Lobgesang des Zacharias

„Zacharias wurde vom Heiligen Geist erfüllt, weissagte und sprach: 
Gelobt sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat besucht und erlöst sein Volk…
dass wir, erlöst aus der Hand unsrer Feinde, ihm dienten ohne Furcht unser Leben lang in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor seinen Augen.
Und du, Kindlein, wirst ein Prophet des Höchsten heißen.
Denn du wirst dem Herrn vorangehen, dass du seinen Weg bereitest 
und Erkenntnis des Heils gebest seinem Volk in der Vergebung ihrer Sünden.
Durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes,
durch die uns besuchen wird das aufgehende Licht aus der Höhe,
damit es erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes,
und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.“ ( LK 1, 67ff)

Musik: Johann Eccard, „Zacharias war ganz verstummt“

Wie wir Teil der Weihnachtsgeschichte werden

„Mit den Gestalten der Heiligen Nacht eins werden.“ Dazu hat Franziskus seinerzeit die Weihnachtsszene mit ihren Figuren aufstellen und nachspielen lassen. Ihre Botschaft hören, ihren Blick einnehmen, ihrem Staunen und ihrer Hoffnung im eigenen Herzen Raum geben. Wohin richten Zacharias, Simeon und Josef unseren Blick? Wie können wir heute mit ihnen Teil der Weihnachtsgeschichte werden?

Aktualität der Worte von Zacharias und Simeon 

„Die Welt muss nicht so bleiben, wie sie ist,“ höre ich Simeon sagen. „Gott hat seinen Sohn gesandt. Ein Licht für die Welt.“ „… damit es erscheine denen, die da sitzen in Finsternis und Schatten des Todes“, ergänzt Zacharias. 
Ihre Worte berühren mich. Wie sehr warten wir auf das Licht, das im Finstern scheint. Viele Menschen sitzen im Dunkeln. Gerade in diesen Tagen. Im Schatten ihres persönlichen Leids durch Krankheit und Sorgen. Überschattet von der Not und den Konflikten in ihrem Land. 

Wo ist heute der weihnachtliche Friede?

Im Krieg, auf der Flucht. Ohne Heizung, ohne Licht. Bisweilen habe ich den Eindruck, es wird nicht heller, sondern dunkler auf der Welt. Mehr Gewalt, mehr Flucht, viele schier unlösbare Konflikte und Herausforderungen. Wir können nicht wegsehen. Schon gar nicht im Advent, wenn wir mit Sternen unsere Fenster dekorieren und vom Stern über Bethlehem singen. Wieviel Not ist gerade dort, wo der zur Welt gekommen ist, der Frieden bringen soll. Wo ist dieser Frieden? „Kann es sein, dass ihr euch geirrt habt?“ möchte ich Simeon und Zacharias fragen. Vielleicht richten wir unsere Erwartung an die falsche Adresse - Mit unseren Friedensgebeten, mit der immer wiederkehrenden Bitte: „Dona nobis pacem - Gib uns Frieden“.

Zacharias Einspruch auf unsere Resignation

Da erhebt Zacharias Einspruch. Meint, ich hätte nicht genau hingehört. Er habe nicht gesagt, dass mit Jesus der Frieden kommt. Ein für alle Mal. Sondern: „…er richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.“ Dazu ist Jesus gekommen. Damit er unsere Füße auf den Weg des Friedens ausrichtet. Gehen müssen wir schon selber. Gebt die Hoffnung nicht auf. Dann schafft ihr es, die Herausforderungen zu bewältigen. Und gebt euch selbst nicht auf. Auch wenn ihr denkt: Alles ist gelaufen – Gott schenkt neue Anfänge! Vertraut ihm. Gott lenkt unsere Schritte auf den Weg des Friedens, und er wird auch euch führen und begleiten.“

Was uns an Josefs Handeln ermutigt

Und was sagt Josef? Wahrscheinlich würde er gar nichts sagen, der große Schweiger. Aber sein Handeln spricht für sich: Die Welt braucht Menschen, die sich sorgen wie er. Um ihre Familie, um ihre Umwelt, um ihre Mitmenschen, um den Frieden. Die tun, was getan werden muss. Auch im Stillen, auch im Hintergrund. Denn da, mit kleinen Schritten, mit vielen unsichtbaren Handgriffen, mit Gesprächen und Verhandlungen wird der Weg bereitet, dass Frieden kommt und die Liebe groß wird unter uns, die wir an Weihnachten feiern.

Musik: Max Reger: Macht hoch die Tür, Strophen 1, 2 und 5 

*Die hr2 Morgenfeier ist von Andrea Wöllenstein geschrieben, aber ausnahmsweise in Vertretung von Propst i. R. Helmut Wöllenstein gelesen.

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren