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Wo sollen wir Gott suchen?
Bild: Gerd Altmann/Pixabay

Wo sollen wir Gott suchen?

Stefan Buß
Ein Beitrag von Stefan Buß, Katholischer Pfarrer in der Innenstadtpfarrei St. Simplicius, Faustinus und Beatrix, Fulda
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Draußen vor der Tür, auf dem Feld, bei Nacht und Nebel, spielt diese schönste aller Geschichten, die wir heute wieder feiern. Viele Menschen haben sie wieder und wieder gehört. Seit frühester Kindheit ist sie vielen vertraut, diese eine Szene. Sie spielt am Rande der großen Welt in einem kleinen Dorf - und hat doch nicht weniger als die tragende Mitte der Welt zum Inhalt. Der Engel, der weihnachtliche, hält seine Rede an die Hirten auf den Feldern vor Bethlehem. In ihren zotteligen Gewändern hören sie ihm zu. Und er sagt zu ihnen: „Fürchtet euch nicht!“ Weihnachtliche Hoffnungsration to go! Drei Worte reichen. Es ist wie immer: Alles, was wirklich wichtig ist, kannst du mit drei Worten sagen. Ich liebe Dich. Jesus ist geboren. Oder eben: „Fürchtet euch nicht!“
Und tatsächlich ereignet sich da sogleich eines der vielen Weihnachtswunder: Die Hirten - gehen los. Prompt. Lassen die Schafe stehen und damit ihre bisherige Lebensversicherung. Warum? War die Angst weg? Etwas hat sie losgehen lassen, risikofreudig losgehen lassen. Richtung Bethlehem. Etwas hat sie herausgelockt aus der nächtlichen Routine auf dem Feld. Es muss eine besondere Stimme gewesen sein. Und eben eine besondere Botschaft. Kühl kalkulierte Angstmachereien waren sie auch gewohnt. Früher war alles besser, die anderen sind schuld, und so weiter und so fort. Jetzt kam ein anderer Ton in ihr Leben. Der lässt sie losgehen. Zu dieser, vielen vertrauten und lieben Überlieferung gibt es eine kleine, spaßige Geschichte, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte.

Einer, der aus der Reihe tanzt

Bei den Engeln, die den Hirten die Nachricht von der Geburt des Gotteskindes überbrachten, war einer aus dem himmlischen Heer dabei, der sang falsch. Hatte er nicht richtig zugehört? Oder hatte er etwa die Chorproben im Himmel geschwänzt? Oder war er nicht ganz bei der Sache, wie sich das für einen Engel eigentlich gehören würde; war er in Gedanken vielleicht schon bei Maria und dem Jesuskind im Stall?

Dieser Engel in der hintersten Reihe wusste selbst nicht genau, wie es kam, dass er immer da, wo er hätte "Ehre sei Gott in der Höhe“ singen sollen, „Ehre sei Gott in der Tiefe“ sang! Überdies hatte er eine sehr kräftige Stimme, so dass sein "Ehre sei Gott in der Tiefe" nicht zu überhören war! Die Engel neben ihm stießen ihn an. "Höhe", flüsterten sie, "Ehre sei Gott in der Höhe!" Und als ob er schwerhörig sei, wiederholten sie: "Höhe-Höhe-Höhe!"
Der Engel jedoch sang unbeirrt weiter: "Ehre sei Gott in der Tiefe". Als der Gesang zu Ende war ging die Empörung los! Was ihm denn einfiele, so aus der Rolle zu fallen, das grenze ja schon an Gotteslästerung! Die göttliche Majestät sei in der Höhe und nicht in der Tiefe! Ganz geknickt war der kleine Engel aus der hintersten Reihe – doch hatte er einfach nicht anders singen können.
Können wir die Empörung der Engel teilen? "Ehre sei Gott in der Tiefe", hatte der kleine Engel gesungen; das tanzte gewiss sehr aus der Reihe, war gar nicht das, was die anderen Engel sangen – aber hatte er damit wirklich so unrecht?

Musik: J. S. Bach - Gloria in excelsis Deo - Bach Edition Mass in B Minor – Hohe Messe

Nicht nur im Himmel soll man Gott suchen, sondern zuerst auf Erden

Der Reformator Martin Luther könnte den Satz unterschreiben, denn er soll einmal gesagt haben: „Wer Gott finden will, der fange nicht oben im Himmel an, der fange unten im Stall, bei der Krippe an.“ Also in einer zugigen Unterkunft für Menschen und ihre Tiere, auf dem Boden aus festgestampfter Erde, wo ein roh zusammengezimmertes Behältnis für Tierfutter steht, wo jetzt ein Neugeborenes drin liegt, in seiner irdischen Bedürftigkeit, wehrlos, verletzbar. So soll man sich Gott vorstellen! Nein, falsch, eben nicht mehr sich vorstellen, sondern man soll jede Vorstellung von ihm über den Haufen werfen. Denn mit einer solchen Menschwerdung hat Gott sich von unten her in das Leben der Menschen eingemischt. Geheimnis des Glaubens: Es hat Gott gefallen, uns auf eine Weise nahe zu sein, wie wir es selbst uns nicht hätten ausdenken können.

Ehre sei Gott in der Tiefe! Damit stellt der kleine Engel alles auf den Kopf – und ist von der Weihnachtsbotschaft nicht weit entfernt. Vielleicht näher als viele herrliche Engel, die Gott in der Höhe preisen. Gott - nicht im Himmel, sondern auf Erden! Gott – nicht oben, sondern unten. Gott – kein Allherrscher, sondern ein Kind, geboren in einem Stall, armselig, ohnmächtig, schutzbedürftig, der Pflege und Fürsorge von armen Menschen anvertraut. „Ehre sei Gott in der Tiefe“ – viel Mut brauchte es für den kleinen Engel, so etwas zu singen und hartnäckig dabei zu bleiben, gegen die Empörung der großen, mächtigen Engel!

Was für eine Botschaft – Gott kommt zu den Menschen in die „Tiefe“

Gott in der Tiefe zu verehren, das fällt uns schon schwer. Was bedeutet die „Tiefe“ eigentlich: Es bedeutet, zu akzeptieren, dass Gott ganz Mensch geworden ist. Einer von uns. Ja, dazu braucht es unsere Akzeptanz, denn wir stellen uns doch Gott lieber „göttlich“ vor, hoch erhaben, allmächtig! Die Legende um die Geburt des Christus im Stall bei armen Leuten ist nicht zufällig entstanden. Sie hat ihren tiefen Sinn und Berechtigung. Wir sind gewohnt, das Verehrungswürdige oben zu denken, das ist unsere eingewurzelte Empfindung.

Da können wir die ordentlichen, rechtschaffenen Engel begreifen – sie, die Tag und Nacht den Herren loben! Lobet den Herren, den mächtigen König der Ehren! Heißt es in einem anderen, uns vertrauten Kirchenlied. Diesen, mächtigen König der Ehren – unten soll er sein, gar nicht erhaben, zum Anfassen, gar schutzbedürftig? Unten, das heißt auf der Erde, nicht im Himmel, sondern bei uns, in unserem Alltag, wo es gewöhnlich, banal und trist sein kann, unten, wo auch die kleinen Leute wohnen mit ihren Bedürfnissen und ihren Wünschen. Aber so war es Gottes Wille, sich in dem Gesichtchen des Arme-Leute-Kindes zu erkennen zu geben. Und was er als würdig erachtet, mit seiner Gegenwart verklärt und verwandelt – das können wir doch nicht verachten?

Musik: J. S. Bach - Et incarnatus est - Bach Edition Mass in B Minor – Hohe Messe

Der aufgeklärte Verstand sagt, dass die Weihnachtsgeschichte reine Legendenbildung um die Geburt Jesu sei. Ja - und doch ist die Geburtsgeschichte Jesu ein tief stimmiges Bild für etwas, das uns jedes Jahr neu ergreifen und uns liebevoll zeigen will, wessen wir bedürftig sind. Sie lehrt uns, dass Gott im eigentlichen alltäglichen Leben gesucht und gefunden sein will. Gott in der Tiefe verehren heißt, sein Königreich hier, jetzt zwischen uns entstehen zu lassen – sei es auch nur einen Lichtstrahl lang, sei es auch nur für die Dauer eines Augenblicks. Denn er ist Mensch geworden, weil er innige Gemeinschaft mit uns wollte. „Die Sehnsucht Gottes ist der Mensch“, sagte Angelus Silesius. Wenn wir die Weihnachtsgeschichte hören, sollen wir jedes Jahr neu bedenken, wie nah sich Gott mit uns verbunden hat.

Gott zulassen, ihn einladen in das Hier und Jetzt

Innehalten und gewahr sein sollen wir. Hier und Jetzt „an ihn glauben“ – und daran glauben, dass er auch mit mir unterwegs ist, und auch in mir geboren sein will. Wenn wir Gott oben lassen, thronend, fern von uns, unerreichbar, spüren wir nur seine Abwesenheit. Wir beklagen, dass er nicht eingreift, obwohl doch so viel schreiendes Unrecht geschieht. Die Kehrseite davon ist zumeist, dass Gott für mich der Herr ist, der gibt, nimmt, zuteilt, straft, unerreichbar bleibt, über den Heerscharen thront, König, Fürst, Vater, Herr … Die Theologie der vergangenen Jahrzehnte hat versucht, dieses einseitige Gottesbild zu korrigieren, weg vom strengen, zürnenden Gott, der alles sieht und gar Spaß und Lebensfreude missbilligt. Gott liebt dich, Gott befürwortet dich so wie du bist. Das wird in jüngster Zeit oft von der Kanzel verkündet, und wir sind alle froh darum.

Musik: J. S. Bach - Er ist auf Erden kommen arm / Wer will die Liebe recht erhöhn - Weihnachts-Oratorium

Aber – wie ist das mit Gott selbst? Gott will ja vielleicht auch geliebt werden. Er, der uns ständig Beziehung anbietet. Er ist vielleicht manchmal auch schwach und braucht unseren Schutz. Und braucht es, dass wir ihm Raum gewähren!
Das glaube ich. Besonders an Weihnachten, wo uns als Hilfe, als Bild dieses Kind gegeben ist, das sich uns ausgeliefert hat und etwas vom starken frischen sprudelnden Leben in unsere Mattigkeit bringen will. Das Kind, das in uns geboren sein will, von uns geliebt sein will. Das Licht, das durch uns leuchten will, die Liebe, die durch uns verkörpert sein will.
Diese Welt und diese Menschen sind Gott nicht egal. Er kommt uns ganz nahe. Der Retter ist geboren. „Ehre sei Gott in der Höhe! Gott sei Dank!“, rufen die Engel. Und sie sagen, welche Folge das für uns hat: „Friede auf Erden den Menschen.“ Das ist das Geschenk von Weihnachten.

Sein Friede ist unser Geschenk

Gott bringt uns Frieden. Und diesen Frieden brauchen wir in dieser Zeit so dringend, angesichts Ukraine, Naher Osten und vielen anderen Teilen der Welt. Durch Jesus haben wir Frieden mit Gott. Wir bekommen die Voraussetzung dafür, in Frieden mit uns selbst und mit anderen zu leben. Und er gibt manchmal einen übernatürlichen Frieden, selbst wenn die äußeren Umstände voller Unruhe, Streit oder Angst sind. Gott ist zur Welt gekommen, um Frieden zu bringen. Als erwachsener Mensch sagt Jesus zu seinen Freunden: Eines Tages, am Ende dieser Welt, werde ich wiederkommen und alles neu machen. Dann wird endgültig Frieden sein. Habt keine Angst: von jetzt bis zu diesem Zeitpunkt in Zukunft, bin ich schon bei euch. Das ist die Botschaft, die der Engel den Hirten und uns heute überbringt. Er steht wie ein DHL-Mann an der Türe und streckt uns dieses Päckchen entgegen: „Hier, schöne Grüße von Gott. Fürchtet euch nicht. Gott ist bei euch. Er schenkt euch Frieden. Trotz unruhiger Zeiten und mitten in ihnen.“ Ist diese Botschaft bei den Menschen schon angekommen? In diesen Tagen ist sie wieder Wirklichkeit geworden in Menschen, die sich für das Göttliche öffnen. Gesegnete Weihnachten.

Musik: J. S. Bach - Et in terra pax - Bach Edition Mass in B Minor – Hohe Messe

Musikauswahl: Regionalkantor Thomas Pieper, Kassel

 

 

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