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Kann Jesus Politik?
Bild: Robert diam/Pixabay

Kann Jesus Politik?

Dr. Paul Lang
Ein Beitrag von Dr. Paul Lang, Diakon und Lehrer für Latein, Musik und Religion in Amöneburg
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Musikauswahl: Schul- und Kirchenmusiker Dr. Paul Lang, Amöneburg

Jesus wird einmal mit einer seltsamen Frage konfrontiert. Die Heilige Schrift berichtet darüber. Im Matthäus-Evangelium steht das:

»Die Pharisäer kamen zusammen. Sie überlegten, wie sie Jesus durch eine Frage in Bedrängnis bringen konnten. Sie schickten ihre Jünger zu Jesus, zusammen mit einigen Anhängern des Herodes. Die sagten zu ihm: Meister, wir wissen, dass du die Wahrheit sagst und wahrhaftig den Weg Gottes lehrst und auf niemanden Rücksicht nimmst, denn du siehst nicht auf die Person. Sag uns also: Was meinst du? Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu zahlen, oder nicht?

Jesus durchschaute ihre Absicht und sagte: »Warum wollt ihr mich auf die Probe stellen, ihr Scheinheiligen? Zeigt mir eine Münze, mit der ihr die Steuern bezahlt!« Sie gaben ihm einen Denar. Jesus fragte sie: »Wer ist auf dem Bild zu sehen, und wer wird in der Inschrift genannt?« Sie antworteten: »Der Kaiser.« Da sagte Jesus zu ihnen: »Dann gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!«

Eine eigenartige Szene. Die „Falle“, die Jesus gestellt wird, ist offensichtlich. Antwortet er: „Nein. Ihr müsst keine Steuern zahlen“, macht er sich strafbar. Dann stellt er sich gegen die staatliche Ordnung, die zu seiner Zeit in Israel herrscht: Das ist die römische Besatzungsmacht. Und ebenso der von Roms Gnaden über einen Teil Israels herrschende König Herodes Antipas. Er ist ein Sohn von Herodes dem Großen, der im Umfeld der Geburt Jesu in den Evangelien eine Rolle spielt. Antwortet Jesus: „Ja, zahlt Steuern!“, dann stellt er sich gegen die meisten seiner Landsleute und Glaubensgenossen. Es ist nicht populär, die ungeliebte Staatsmacht, die Besatzer, finanziell zu unterstützen. Steuern werden, wenn überhaupt, nur widerwillig bezahlt. Jesu Reaktion auf die offensichtlich bösartige Absicht der Fragenden überrascht: „Zeigt mir die Münze, mit der ihr die Steuern bezahlt!“ Die Fragesteller holen einen Denar hervor und halten ihn Jesus hin. Der römische Denar ist eine Silbermünze. Im römischen Reich ist der Denar über Jahrhunderte das wichtigste, zentrale Geldstück; etwa wie bei uns der Euro. Die Kaufkraft eines Denars zur Zeit Jesu berechnet die Wissenschaft immerhin auf etwa 10 € unserer Währung. Ein Denar trägt seit der römischen Kaiserzeit auf der einen Seite das Porträt des regierenden Kaisers, auf der Rückseite eine der Propaganda verpflichtete Darstellung zu dessen Ehren. Eine solche Münze also haben die Leute, die Jesus in dieses Dilemma treiben wollen, dabei.

Muss auch ich Steuern zahlen?

Dass die Gegner Jesu ein Zahlungsmittel des römischen Kaisers bei sich tragen, rückt sie in die Nähe Roms. Dass diese Münze nun nicht nur den Namen des Kaisers, sondern auch sein Bild trägt, disqualifiziert sie in den Augen gläubiger Juden endgültig: „Du sollst dir kein Bild von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde machen!“ Dieses Bilderverbot - es ist in den Zehn Geboten enthalten - hat Gültigkeit! Eine solche Münze zu besitzen und auch noch zu benutzen, ist in jüdischen Augen an sich schon grenzwertig. „Dann gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört!“ Das Dilemma ist gelöst. Jesus hat nicht nur sein Gesicht gewahrt. Klug und ohne seine Gegner über Gebühr zu verletzen, wendet er die vermeintliche Falle zu einer charmanten und klugen Darlegung, meine ich.

Musik: Sebastian Wolff OSB -  Trio „Lo, he comes with clouds descending“ - Jeremy Filsell an der Orgel der Abteikirche Buckfast (GB)

Religion und Politik - getrennte Welten?

„Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört“, sagt Jesus. Und dann fügt er seiner Aussage noch einen Satz hinzu: „Und gebt Gott, was Gott gehört!“ Kaiser und Gott - Staat und Religion, Politik und Kirche - zwei Welten. Ist das so? Oft stellt sich diese Frage.

Im römischen Reich, in der Kaiserzeit, war der Kaiser stets auch Pontifex maximus. Das heißt, er war als Kaiser zugleich der oberste Priester des ganzen Reiches. Die Verehrung der römischen Götter war religiöse Pflicht aller. Sie war nicht nur ein religiöses, sondern zugleich ein staatliches und ziviles Anliegen. Für Juden wie Christen war deshalb die römische Weltherrschaft schwer vereinbar mit dem Glauben an den e i n e n Gott, der keine anderen Götter neben sich duldet. Die Römer waren dabei erstaunlich tolerant. Sie akzeptierten über lange Zeit einen jüdischen Sonderweg: Sie ersparten den Bewohnern der Provinz Judaea und Juden im ganzen Reich religiöse Staatspflichten. Im Gegenzug dafür brachten die jüdischen Priester im Jerusalemer Tempel täglich ein Opfer für den römischen Kaiser dar.

Das Wort Jesu beim Blick auf die Steuermünze gehört wohl in diesen Zusammenhang. Jesus zeigt einen neuen Weg auf. Den haben die frühen Christen offenbar für sich gefunden: Der religiöse Mensch beobachtet und respektiert die Ordnungen und Gesetze, die im zivilen und staatlichen Bereich gelten. Sorgfältig aber achtet er darauf, dass der Staat seine Zuständigkeiten dabei nicht überschreitet. So konnte die Kooperation von Christen mit dem römischen Reich über weite Strecken gelingen. Zwischen Phasen blutiger Verfolgungen stehen deshalb auch lange Zeiten friedlicher Koexistenz, mehr noch: Christen engagieren sich im römischen Reich auf allen Ebenen.

Wenn ich heute das Wort „Steuern“ in Verbindung mit dem Evangelium höre, denke ich, zugegeben, vor allem an die Kirchensteuer. Sie steht für die enge Kooperation der großen Kirchen mit dem Staat in der Bundesrepublik Deutschland. Und sie steht für wechselseitige Interessen. Im Laufe von Jahrhunderten haben Staat und Kirchen sich bei uns eng miteinander verwoben. Krankenhäuser, Altenheime, Kindergärten, Pflegeeinrichtungen, Schulen und vieles andere stehen für gelingende Zusammenarbeit. Gewaltiges Engagement, großes Knowhow und viel ehrenamtliche Engagement bringen etliche Menschen aus religiöser Motivation hier ein. Davon profitieren Gesellschaft und Staat. Davon profitiert das Miteinander der Menschen, die in unserem Land leben. Dass der Staat im Gegenzug Steuern für die Kirchen einzieht, ist also durchaus in seinem eigenen Interesse. Eine ¾ Million Kirchenaustritte in Deutschland allein im Jahr 2022 macht da allerdings nachdenklich. Das solidarische Miteinander, das in der Vergangenheit bestand, wird auf Dauer nicht so bleiben. Es ist schon jetzt immer weniger belastbar.

Klagen? Mahnen? Ich weiß nicht. Tempora mutantur, Zeiten ändern sich. Manche fordern und prophezeien: Es ist Zeit für eine strikte Trennung von Staat und Kirche, von Politik und Religion. Haben sie Recht?

Die Frage an Jesus nach der Steuer und seine Antwort darauf zielen jedenfalls weiter. Und sie haben einen ganz anderen Fokus, scheint mir: „Darf ich, soll ich dem Kaiser, dem Staat, Steuern zahlen?“ Viele Theologen, Interpreten der Heiligen Schrift deuten die Frage so: Soll ich als Gläubiger, als Christ den Staat nicht nur respektieren und fördern, sondern soll ich mich in Politik einbringen?

Das katholische Kirchenrecht verbietet Bischöfen, Priestern und Diakonen die Übernahme politischer Ämter. Sie sollen nicht an der Ausübung weltlicher Gewalt teilnehmen. Für evangelische Pfarrer und Pfarrerinnen regelt ihr Dienstgesetz das ganz ähnlich. Gleichzeitig aber führen große Parteien in unserem Land selbstbewussst und selbstverpflichtend ein „C“ für christlich in ihrem Namen.

Musik: Jaques Bertier -  Dieu s’eleve parmi l’acclamation (Psalm 46) aus der Suite pour le Berger David (Querflöte und Orgel) -  Sylvain Pluyaut (Orgel), Pierre-Jean Yéme (Querflöte).

Weltmissionssonntag - Blick auf die Weltkirche

„Seid Ihr beide bereit, als christliche Eheleute Mitverantwortung in der Kirche und in der Welt zu übernehmen?“ Diese Frage gehört zum Ritus der Eheschließung in der katholischen Kirche. Mich bewegt bei Trauungen dieser Satz. Zwei, die ihr Leben als Christen bewusst gemeinsam leben wollen, die sollen nicht nur auf sich verwiesen sein. Sie werden ausdrücklich auf ihre Verantwortung für das Große und Ganze, für Kirche u n d Welt verwiesen. Der Trauritus erwartet auch hier ein ausdrückliches gemeinsames „Ja“. Ja, dazu sind wir bereit.

Christen sind von Anfang an in alle Welt ausgeströmt: Die Apostel, die Jünger, die Anhänger Jesu behielten das, was sie erlebt und erfahren hatten, nicht für sich. Es drängte sie, die befreiende Botschaft Jesu von der Überwindung des Todes, von der Liebe zu allen Menschen, ja allen Geschöpfen in die ganze Welt zu tragen.

Dieses Zeugnisgeben zählt Kirche neben dem Feiern von Gottesdiensten und der Sorge für den Nächsten zu ihren Grundvollzügen. „Geht zu allen Völkern, macht alle Menschen zu meinen Jüngern!“ Jesus gibt seinen Jüngern im Matthäus-Evangelium ausdrücklich diesen Auftrag.

Heute begeht die katholische Kirche weltweit den Weltmissions-Sonntag. Er ist Aufruf zur Solidarität. Kollekten, Geldsammlungen werden an diesem Tag in Kirchen weltweit, in allen Kontinenten abgehalten. Das gesammelte Geld wird dann den ärmsten Kirchenregionen, den 1.100 ärmsten Diözesen zugewendet. Damit wird dort Seelsorge und soziales Engagement ermöglicht.

Mitte der christlichen Botschaft ist die Liebe. Nächstenliebe, der Einsatz für andere. Die Sorge für Menschen am Rande, für Kranke, Alte, Hilfsbedürftige ist und bleibt zentrale Aufgabe und zentrales Anliegen der Anhänger Jesu. Wenn und weil das gilt, werden Christen, auch wenn ihre Zahl bei uns geringer zu werden scheint, sich weiter in caritativen Tätigkeiten einbringen. 

„Sonntag der Weltmission.“ Das deutsche Hilfswerk „missio“, das bei uns den Tag gestaltet, verweist in diesem Jahr besonders auf Christinnen und Christen in Syrien und im Libanon. „Missio“ ruft zu Solidarität mit den letzten noch verbliebenen Christen im Nahen Osten auf.

Tatsächlich lässt sich der Exodus der Christen dort nicht übersehen. Schätzungsweise haben in den letzten 12 Jahren mehr als 1 Million Christen Syrien verlassen; das ist mehr als die Hälfte aller Christen dort. Allein in der Umgebung von Gießen, wo ich wohne, sind in den letzten Jahren zahlreiche Kirchen und Gemeindehäuser orientalischer Christen entstanden, viele syrisch-orthodoxe. Längst haben sie keine Hoffnung mehr auf Rückkehr in ihre einstige Heimat. Eine äthiopisch-orthodoxe Gemeinde gibt es heute in Wiesbaden. Kopten, die uralte Gemeinschaft der ägyptischen Christen, haben allein in Deutschland in den letzten Jahren rund 50 Gemeinden und inzwischen zwei Klöster gegründet.

Der Blick auf die Weltkirche am diesjährigen Weltmissions-Sonntag ist ernüchtern. Das Christentum scheint eher auf dem Rückzug aus der Welt zu sein, als hinauszugehen. Manche gewinnen den Eindruck, die Ära des Christentums neige sich bei uns ihrem Ende zu.

Musik: Léon Boëllmann - Toccata aus der Suite gothique, op. 25 Nr. 4 für Orgel - Diane Bish an der Orgel des Ulmer Münsters

Ihr seid das Salz der Erde - nicht die Suppe!

„Ihr seid das Salz der Erde - nicht die Suppe!“ Das Wort vom Salz stammt von Jesus. Er hat es seinen Jüngern gesagt. Der provokante Zusatz von der Suppe stammt von Jonathan Düring. Das ist ein benediktinisch geprägter Theologe. Mit Realitätsbezug aus vielen Jahren Arbeit mit jungen Menschen in der Seelsorge einer kirchlichen Schule.

Salz entfaltet seine Wirkung in kleinen Brisen. Düring ist skeptisch gegenüber Mega-Events. So beeindruckend Weltjugendtage, volle Kirchen, große Zahlen auch sein mögen: Für das Wesen des Christentums sind sie nicht entscheidend. Das lernt man bei der Lektüre eines kleinen Büchleins mit diesem Titel, das Düring verfasst hat: „Ihr seid das Salz - nicht die Suppe!“

Im vergangenen Sommer war es. Da steht ein 11-Jähriger vor mir. Er möchte getauft werden. Er lebt weit weg von hier mit seinen Eltern. Die haben schon vor langer Zeit die Kirche verlassen. Seine Großeltern aber leben im Nachbarort. Und da hat er „Kirche“ kennengelernt und erlebt. Weil er noch nicht 12 ist, bitte ich die Eltern um Zustimmung. Die bekommen wir. Ich bin ein bisschen unsicher: Wie tauft man einen 11-Jährigen? Am Kirchenportal stelle ich ihm etwas abgewandelt die gleichen Fragen, die ich auch sonst an die Eltern und Paten eines Babys oder Kleinkindes richte. „Wie heißt Du? Was willst Du hier?“ „Ich will, dass Du mich taufst“, antwortet er. „Warum?“ „Ich will ein Freund von Jesus werden.“ „Was bedeutet das für dich?“ „Ich will gut sein zu allen Menschen.“ So habe ich eine Taufe noch nie erlebt. Bewegt und nachdenklich hat sie mich gemacht. Gefreut habe ich mich auch, klar.

Da mögen ja noch so viele aus der Kirche austreten oder den Weg gar nicht zu ihr finden. Wenn aber hin und wieder jemand so kommt? „Gut sein zu allen Menschen!“ Besser kann kein Theologe beschreiben, was die Aufgabe eines Christen ist. Das ist „Salz der Erde“, bin ich überzeugt. Nein: Mission - das ist nicht das Ringen um großen Erfolg, um große Zahlen. Die Botschaft Jesu in die Welt tragen, das heißt: Die Welt durchsetzen mit schmackhafter Güte, mit Ideen und Kreativität. Das heißt: Miteinander möglich machen - gerecht und friedlich. Überall, wo Menschen leben. Sie müssen nicht Christen sein. Das schließt ausdrücklich auch politisches Engagement ein: Die Botschaft Jesu ist zutiefst politisch. Ja, die Christen haben Verantwortung für die Welt: das hat gar nichts mit ihrer Anzahl oder dem Kirchensteueraufkommen zu tun.

Eine beeindruckende Vision der künftigen Kirche schildert der tschechische Priester und Soziologe Tomáš Halík. Er ist überzeugt: Das Christentum ist nicht am Ende. Ein „Mittagstief“ lähmt es. Danach, bald aber kann es die Kraft finden, der gesamten Menschheit universale Geschwisterlichkeit zu schenken. Endlich. Aufgabe der Christen ist es, künftig die menschliche Gesellschaft zu prägen, Weggemeinschaft mit den Menschen zu pflegen.

Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuern zu zahlen? Wir dürfen nicht nur im Staat mitwirken. Der Weltmissions-Sonntag fordert uns ausdrücklich dazu auf: „Ihr seid das Licht der Welt, das Salz der Erde.“ So viele Ideen gibt es, wie Christen aus ihrer Verantwortung gegenüber Gott die Welt gestalten. Was das alles sein kann? In einem Schulprojekt kamen ein paar Ideen zusammen. Viele aus dem Umweltbereich: Mehr-Generationen-Häuser, Car-Sharing, verantwortliche Mobilität, umweltgerechtes Leben, Reduzierung von Flächenversiegelung, Einsatz erneuerbarer Energien. Eine Welt, eine Menschheit - das ist Mission, Aufgabe der Jüngerinnen und Jünger Jesu. Der Weltmissions-Sonntag macht dazu Mut. Denker wie Tomáš Halík und Jonathan Düring liefern Visionen. Ich kann helfen sie zu verwirklichen zu ergänzen. Salz sein, da wo ich bin und lebe. Es ist Zeit den Mittagsschlaf zu beenden.

Musik: Bonifatius-Musical -  Ihr seid das Salz der Erde, das Licht der Welt - Dennis Marten und Peter Scholz

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