Ihr Suchbegriff
Beitrag anhören:
Die Face-ID Gottes – Wo Gottes Blick uns trifft
Bild: Engin Akyurt auf Pixabay

Die Face-ID Gottes – Wo Gottes Blick uns trifft

Dr. Michael Müller
Ein Beitrag von Dr. Michael Müller, Pfarrer in der Pfarrei St. Jakobus, Hünfeld
Beitrag anhören:

Gesicht nicht erkannt. Zeigt das Display meines Smartphones. Face-ID, die automatische Gesichtserkennung, ist eine tolle Sache, wenn es denn funktioniert. Ich kann damit bezahlen oder den Urlaub buchen und Bewegungen auf dem Girokonto kontrollieren. Was früher nur James Bond mit einer von Mister Q entwickelten Zukunftstechnologie möglich war, ist heute jedermann zugänglich. In der Coronazeit, als ich mit einer Maske unterwegs war, sah ich ganz oft die Fehlermeldung: Gesicht nicht erkannt. Face ID bitte wiederholen. Das hat sich inzwischen verbessert. Mit künstlicher Intelligenz lernt das System inzwischen auch an Veränderungen. Eine Brille, eine Mütze, ein Bart und inzwischen selbst eine Schutzmaske sind heute kein Problem mehr.

Die Technik zur biometrischen Gesichtserkennung in unseren Smartphones gibt es erst seit wenigen Jahren. War es vorher schon möglich mit dem Fingerabdruck sein Mobiltelefon zu öffnen, reicht jetzt der Blick auf den Bildschirm, um das Gerät zu entsperren, Passwörter einzusetzen oder Zahlungen zu veranlassen. Die Technik ist faszinierend. Mit über 30.000 Infrarotpunkten wird das Gesicht des Nutzers erfasst. Ein zweiter Sensor fügt seine Daten hinzu und es wird ein dreidimensionales Abbild des Gesichtes erzeugt. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Fremder mit einem ähnlichen Gesicht den Zugang entsperren kann, liegt bei 1:1 Million.

Das Gesicht ist Ausdruck der Seele

Was das Smartphone mit Prozessoren und künstlicher Intelligenz tut, können wir Menschen schon lange. Wenn wir uns begrüßen, wenn wir miteinander sprechen, wenn wir uns mit jemanden freuen oder wenn wir mit ihm trauern, schauen wir dem anderen ins Gesicht. Manche Menschen können sich Gesichter sehr gut einprägen und wissen auch den Namen der Person. Ich gehöre leider nicht dazu. Gerade wenn man vielen Menschen begegnet, hilft dann der Satz: Ihr Gesicht kommt mir bekannt vor. Und im Gespräch findet man dann schnell zueinander.

Das Gesicht sagt uns Menschen mehr als 30.000 Infrarotpunkte. Ich finde das phänomenal. Vor allem Menschen, die wir lieben, mit denen wir vertraut sind, können wir nicht selten deren Gedanken an deren Gesicht, oder wie es sprichwörtlich heißt, von den Augen ablesen. Und unser Gesicht ist nicht nur Ausdruck unseres Gemütszustandes, sondern unseres ganzen Lebens. Je älter wir werden, umso mehr verändert sich unser Gesicht. Es ist fast so etwas wie das Lesebuch des Lebens. Wie wir gelebt haben, wie oft wir lachen oder weinen, ob unsere Tage froh oder traurig waren, zeichnet sich immer tiefer in unserem Gesicht ab. Tu Fu, einer der größten chinesischen Lyriker und Dichter, bringt dies schon im achten Jahrhundert treffend auf den Punkt, wenn er sagt: Das Gesicht ist Spiegelbild der Seele.

Musik: Musica et memoria - Claude Debussy “Feuilles mortes” aus “Préludes II”

Erst seit fünf oder sechs Jahren gibt es die Face-ID Technologie für Smartphones. In der Bibel ist Gesichtserkennung im übertragenen Sinne schon seit weit mehr als 2000 Jahren nichts Ungewöhnliches. In zahlreichen Geschichten und Erzählungen scheinen viele Gesichter auf. Und am Ende durchzieht eine große Frage die ganze Heilige Schrift: Welches Gesicht hat denn Gott? Diese Suche wird in einem der Psalmen thematisiert. Er legt Gott eine Aufforderung in den Mund: „Sucht mein Angesicht!“ Und der Beter antwortet: „Dein Angesicht, Herr, will ich suchen.“ Wer in das Gesicht des anderen schaut, erkennt und versteht ihn besser. Der Blick in das Gesicht eines anderen ist sogar ansteckend. Wenn mich zum Beispiel ein kleines Kind anlächelt, formt sich mein Mund fast unwillkürlich zu einem Lächeln. Und wenn ein anderer vor Müdigkeit gähnt, springt auch hier der Funke meist über. Gesichter bewegen, sie eröffnen Wege, schaffen neue Perspektiven. Das ist viel mehr als die Zukunftstechnologie, die eine App auf dem Smartphone öffnet.

Ein strahlendes Gesicht

Ein freundliches und strahlendes Gesicht kann Herzen öffnen und weit machen. Menschen mit einem solchen Gesicht kennen Sie vielleicht auch. Wenn sie in den Raum kommen, verbreitet sich eine positive Stimmung. Es wird hell. Von solch einem erhellenden Moment erzählt auch die Bibel. Als Mose nach einer Begegnung mit Gott vom Berg Sinai zurückkehrte, strahlte sein Gesicht Licht aus. Gottes Licht strahlte aus ihm. Das Phänomen war so ungewöhnlich, dass die Menschen sich fürchteten, in seine Nähe zu kommen und er sein Gesicht mit einem Schleier bedeckte. Was sich wie eine Gespenstergeschichte anhört, will eigentlich nur schlicht sagen: Gott hat ein freundliches Gesicht. Er schaut uns an und sein Blick lässt uns strahlen. Sein Blick ist ein Blick der Liebe. Gott schaut in Liebe auf mich. Sein Angesicht leuchtet über mir und meinem Leben. Der zitierte Psalm 27 beginnt mit einer Erfahrung: Der Herr ist mein Licht und Heil: Vor wem sollte ich mich fürchten? Der Herr ist die Kraft meines Lebens: Vor wem sollte mir bangen? Mein Herz denkt an dich suchet mein Angesicht! Dein Angesicht, Herr, will ich suchen.

Musik: Elgar – Enigma Variations - Variation XII Andante

Ein ganz besonderes Angesicht habe ich erst vorgestern gesehen. Am Freitagabend stand ich vor einem riesigen Gesicht, das fast den gesamten Boden der kleinen Kirche in Sargenzell bei Hünfeld bedeckt. Seit vielen Wochen hat ein Team von Ehrenamtlichen gearbeitet und den Früchteteppich gelegt. Seit über 30 Jahren eine gute Tradition. Aus Körner und Samen in den unterschiedlichsten Farben und Größen ist ein beeindruckendes Kunstwerk entstanden, das in diesem Jahr fast nur aus einem großen Gesicht besteht. An diesem Wochenende ist der Früchteteppich in der alten Kirche zum ersten Mal zu sehen. Jesus schaut den Betrachter an. Aber sein Gesicht ist sehr ungewöhnlich. Nicht nur, dass es bei genauem Hinsehen aus vielen Körnern und Früchten zusammengesetzt ist. Nein, es besteht auch aus unterschiedlichen Szenen und Motiven aus seinem Leben.

Gott zeigt sein Gesicht durch Jesus

Die Nase wird zur Weihnachtskrippe, ein Ohr zum Weg nach Golgotha, das andere zeigt eine Heilungsgeschichte. An der Schulter die Frau am Jakobsbrunnen, auf der anderen Seite das Wunder an Kanaan. Und im Bart Jesu tummeln sich ein Schaf und ein Esel. Beim Betrachten des Bildes kommt mir die Bitte aus dem Psalm in den Sinn: „Gott, zeige uns dein Angesicht.“ Die Botschaft der Bibel hat eine Antwort auf diese Bitte, eine Antwort, die der große Früchteteppich in Sargenzell ins Bild bringt: In Jesus von Nazareth zeigt Gott uns sein wahres Gesicht. Menschen, die in sein Gesicht geschaut haben, habe etwas erfahren von der Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes.

Musik: Von Barock bis Jazz (Zirkunow) - A.Skrjabin: Drei Präludien op. 16, Nr. 1 H-Dur

Das Gesicht Jesu fasziniert seit 2000 Jahren. Es gibt die Legende, dass Jesus auf seinem Leidensweg sein Gesicht in ein Tuch gedrückt hat. Dieses Tuch wurde ihm von einer Frau namens Veronika gereicht. Seitdem zieht sich die Frage nach dem wahren Gesicht Jesu durch die Geschichte der Christenheit. Zahlreiche Erzählungen ranken sich um dieses Tuch, dass Veronika, deren Name übersetzt „wahres Gesicht“ heißt, Jesus auf dem Kreuzweg hingehalten hat. Schon im Mittelalter gehörte das Zeigen dieses Tuches für Pilger in Rom zu den Sensationen ihrer Wallfahrt. Sensationell finde ich aber solche Schaufrömmigkeit nicht. Das Gesicht Jesu begegnet den Menschen nicht in alten Tüchern, so wertvoll und für viele wichtig sie auch sind. Ich meine, es ist vielmehr so, wie es die Künstlerin auf dem Früchteteppich in Sargenzell aufs Bild bringt.

Das Gesicht Jesu – Spiegel des Lebens

Im Gesicht Jesu spiegelt sich mein Leben, spiegelt sich die Welt und ihre Menschen, spiegelt sich das Leid und die Armut der ganzen Schöpfung. Jeden Tag schauen wir in viele Gesichter, manchmal in unzählige in der U-Bahn oder in der Einkaufsmeile, vielleicht auch bei der Online-Konferenz in vielen kleinen Kacheln auf dem Bildschirm. Das ist die Frohe Botschaft des Neuen Testamentes: Seit Jesus Mensch geworden ist, gestorben und auferstanden ist und zur Rechten Gottes sitzt, schaut er mich an. Er schaut mich an aus den vielen Gesichtern der Menschen dieser Erde. Ein bekanntes Lied singt vom Wirken der Hl. Elisabeth von Thüringen für die Armen und Kranken. Es spricht von den Begegnungen, die sie mit dem Angesicht Jesu hat. Dieser Jesus schaut jeden Menschen an, wenn wir das, was wir haben, mit den Armen teilen; wenn – wie es im Lied formuliert wird – das, was wir sprechen, für unsere Mitmenschen wie Musik erklingt; wenn das Leid der Armen uns anrührt, wenn wir die Not der Welt lindern; wenn die Hand, die wir halten, uns selbst hält, und das Kleid, das wir schenken, auch uns bedeckt. Wenn der Trost, den wir geben, uns weiterträgt. Und der Schmerz, den wir teilen, zur Hoffnung wird, wenn das Leid, das wir tragen, den Weg uns weist. Und der Tod, den wir sterben, vom Leben singt: Ja, dann schauen wir heute schon sein Angesicht, in der Liebe die alles umfängt, in der Liebe die alles umfängt. So heißt es im Liedtext. Wenn ein Mensch in Liebe auf den anderen schaut, ist es die Face-ID Jesu, die vielmehr öffnet als eine App auf meinem Smartphone. Denn in seinem Gesicht tut sich mir ein Stück Himmel auf.

Musik: Bach – 6 Brandenburg Concertos - J. S. Bach Concerto in A major für Oboe d’amore, Strings and Basso Continuo BWV 1055, Nr. 1 (without tempo indication)

Musikauswahl: Regionalkantor Christopher Löbens, Hünfeld

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren