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Zwischen Anspannung und Entspannung, das ist die Ambivalenz des Lebens oder die Mischung machts!
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Zwischen Anspannung und Entspannung, das ist die Ambivalenz des Lebens oder die Mischung machts!

Peter Göb
Ein Beitrag von Peter Göb, Katholischer Pfarrer in der Pfarrei Christus-Epheta Homberg/Efze
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Hast du deinen Sommerurlaub schon geplant? So wurde ich vor ein paar Tagen von einer Person aus meiner Gemeinde gefragt. Hinter der Frage stand keine Neugierde, sondern echtes Interesse und vielleicht auch der versteckte Hinweis an mich, dass ich Auszeiten, Urlaub und Erholung fest einplanen und im Kalender eintragen soll. Aber mir ist klar geworden, dass es an der Zeit ist, sich darum zu kümmern.

Zeiten der Erholung sind wichtig. Wer ständig unter Strom steht, wer von Termin zu Termin hetzt und alles mitnehmen und alles erleben will, der überfordert sich sehr schnell selbst. Der Schlaf kommt zu kurz, Gereiztheit und Müdigkeit steigern sich. Schlafstörungen und die Folgen daraus nehmen zu, ja die Auswirkungen können krank machen. Wir leben - so sagt es der Schlafmediziner Prof. Ingo Fietze1 - in einer „übermüdeten Gesellschaft“. Qualifizierten Umfragen zufolge schläft ein Drittel der berufstätigen Bevölkerung weniger als sechs Stunden pro Nacht. Fast die Hälfte der Befragten würde gerne länger schlafen, kann es aber nicht, weil die Anforderungen in Familie und Beruf gerade sehr hoch sind oder weil ihnen Fragen und Probleme den Schlaf rauben.

Jesus erkennt die Müdigkeit der Menschen

Das Phänomen der Müdigkeit ist nicht neu. In den katholischen Gottesdiensten wird heute eine Bibelstelle vorgetragen, in der Jesus die Müdigkeit und Erschöpfung der Menschen wahrnimmt. Er hat Mitleid mit den Menschen.

Im neunten Kapitel des Matthäusevangeliums heißt es:

„Als Jesus die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren müde und erschöpft, wie Schafe, die keinen Hirten haben.“ (Mt 9,36) Jesus nimmt die Lebenssituation der Menschen wahr. Für mich ist das ein wichtiger Hinweis. Jesus nimmt wahr, wie es mir geht und was mich bewegt.

In diesem Bibelwort erkenne ich die Einladung, mich von Jesus anschauen zu lassen. Ich darf mit meiner Lebenssituation, so wie sie gerade ist, bei ihm sein. Ich muss ihm nichts vorspielen, brauche keine Maske und keine Fassade, hinter der ich mich verstecke. Vor Gott kann ich mich ja gar nicht verstecken. Bei Jesus darf ich sein, wie ich bin. Mit allen Freuden und schönen Dingen, mit allen Belastungen, die ich zu tragen habe und mit allen Fragen, die mich umtreiben.

Musik: „Die beste Zeit im Jahr ist mein“ - Komponisten-Porträt - Rudolf Mauersberger

Jesus nimmt die Situation wahr und handelt. Er bittet um „Arbeiter für seinen Weinberg“. Er ruft die zu sich, die ihn bisher begleitet haben. Sie werden beim Namen genannt, von ihm ausgesandt und mit Vollmacht ausgestattet. Sie sollen zu den Menschen gehen und ihnen beistehen. In der Bibel heißt es dazu weiter: „Da rief Jesus die zwölf Jünger zu sich und gab ihnen die Vollmacht, die unreinen Geister auszutreiben und alle Krankheiten und Leiden zu heilen. Die Namen der zwölf Apostel sind: Petrus und sein Bruder Andreas, dann Jakobus, der Sohn des Zebedäus und sein Bruder Johannes, Philippus und Bartholomäus, Thomas und Matthäus der Zöllner, Jakobus der Sohn des Alphäus und Judas Thaddäus, Simon Kananäus und Judas Iskariot, der ihn ausgeliefert hat. Diese zwölf sandte Jesus aus und gebot ihnen: Geht und verkündet: … Das Himmelreich ist nahe! Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus.“

Jesus sendet die zwölf Apostel aus. Die Zwölfzahl erinnert an die zwölf Stämme Israels. Jesus hat das Volk als Ganzes im Blick und er schaut dennoch auf jeden einzelnen, denn die zwölf Apostel werden alle beim Namen genannt. Jesus kennt seine Jünger und er weiß auch um die jeweilige Lebensgeschichte der zwölf.

Er weiß um Johannes und Jakobus, die wegen ihres teilweise forschen Auftretens „Donnersöhne“ genannt werden. Er weiß um Petrus, der sich zwar zu Jesus bekennt, ihn später aber auch leugnet. Und selbst der spätere Verräter Judas wird ausgesandt. Jesus weiß also um die einzelnen Lebensgeschichten. Er kann mit den Stärken und vor allem auch mit den Schwächen derer umgehen, die er sendet.

Eine Botschaft, die noch heute gilt

Für mich ist diese Sendung der Zwölf eine Botschaft, die wir für heute deuten können. Heute sind wir gesandt. Heute sind unsere Namen wichtig. Heute ist wichtig, dass wir der Botschaft Jesu ein Gesicht geben. Dazu sendet uns Jesus aus, – trotz unserer Lebens- und Glaubensgeschichte – mag sie noch so unterschiedlich sein. Jesus sendet uns aus – zu den Menschen und in diese Zeit und Welt hinein.

Die Aussendung der Apostel durch Jesus ist mit einem mehrfachen Auftrag versehen. Er sagt ihnen: „Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus.“ Ein großer und vielschichtiger Auftrag, den Jesus den Jüngern zutraut. Der Auftrag Jesu an die Apostel damals gilt für uns heute. Heute sind wir gesandt, diesen großen Auftrag in unserem Alltag umzusetzen. Ein Versuch ist es auf jeden Fall wert. Aber wie kann das konkret aussehen.

Kranke heilen – das heißt für mich: Mich den Menschen zuwenden, sie annehmen mit dem, was sie haben, so wie sie sind. Auch mit allem Unvollkommenen. Der Auftrag, Kranke zu heilen, bedeutet, Menschen nicht bewerten, sondern ihnen in ihrer jeweiligen Situation zu helfen, ihnen beizustehen, sie anzunehmen.

Aussätzige rein machen. Ich deute es mit dem Auftrag, Menschen in die Gemeinschaft zu führen. Menschen, die sich ausgeschlossen fühlen, – auch in der Kirche und unseren Gemeinden – ehrlich zu sagen und zu zeigen, dass sie willkommen sind.

Nicht die Aussätzigen definieren ihre Stellung, sondern die sogenannten „Normalen“, sie definieren, wer Aussatz hat und wer nicht. Jesus denkt aber anders. Er versetzt sich in sein Gegenüber. Das heißt dann: Ich darf mich in die Situation des anderen hineinversetzen und wir dürfen Menschen nicht wegen eines Merkmals ausgrenzen und ausschließen.

Dämonen austreiben. Ich deute diesen Auftrag Jesu an die Jünger mit dem Auftrag an uns heute, Menschen in ihrer Zerrissenheit beizustehen. Dann, wenn Menschen aufgrund von vielen Meinungen und Möglichkeiten keine Orientierung mehr haben, wenn sie mit falschen Vorstellungen durchs Leben gehen, dann kann ich Orientierung geben und heilsam wirken.

Und schließlich: Tote auferwecken. Menschen können innerlich tot sein, leblos, gefühllos. Ich lese diesen Auftrag so, dass Jesus mir zutraut, Menschen auf ihre Routinen und innere Erstarrung aufmerksam zu machen und in ihnen Lebendigkeit zu wecken.

Musik: „Der Herr erstand vom Tod“ - Geistliche Chorwerke - Robert Jones/Christopher Tambling

Hinter dem mehrfachen Auftrag Jesu an die Apostel damals und uns heute sehe ich die Haltung, den Menschen wertschätzend zu begegnen und die Menschen auf ihre Würde hinweisen. Würde ist etwas, was ich habe, ganz gleich, wie ich lebe. Würde ist mir grundsätzlich geschenkt. Kein anderer Mensch kann mir Würde verleihen. Der Mensch hat sie, weil er Mensch ist.

Unser Glauben hat Wirkung und Aus-Wirkung

Das Evangelium, das heute in den katholischen Gottesdiensten vorgetragen wird, wird als „Aussendungsrede Jesu“ bezeichnet. Jesus nennt die zwölf Apostel beim Namen. Er sendet sie aus, er gibt ihnen eine Vollmacht und einen Auftrag. In der Apostelgeschichte wird konkret von den Taten der Jünger berichtet. Da ist dann die Rede von „Zeichen und Wundern“. Es sind vor allem Heilungen und Totenerweckungen, die das Wirken der Apostel kennzeichnen. „Zeichen und Wunder“ – mit dieser Formulierung erinnert Lukas, der die Apostelgeschichte verfasst hat, an die „Zeichen und Wunder“, die das Volk Israel bereits erfahren hat. Lukas schlägt damit sprachlich und inhaltlich eine Brücke in die Vergangenheit. Er schlägt aber auch eine Brücke in die Zukunft. Denn die Zeichen und Wunder geschehen durch die Jünger, die vom Geist erfüllt sind.

Und die Apostelgeschichte, die Geschichte der Bot*innen der Frohen Botschaft, ist nicht zu Ende. Sie ist nicht abgeschlossen. Sie geht weiter, sie wirkt sich aus – bis heute. Daran erinnert mich eine Aussage, die Bertolt Brecht zugeschrieben wird:

"Sage mir nicht, was du glaubst, sage mir was sich ändert, weil du glaubst." Sage mir nicht, was du glaubst, sage mir, was sich ändert, weil du glaubst. Da geht es um die Wirkung des Glaubens. Da geht es um Aus-wirkungen, also die Wirkungen nach außen.

Die Apostelgeschichte berichtet von den Auswirkungen, die der Glaube hat. Und sie nennt die Namen derer, die damals – neben den Aposteln - aufgebrochen sind: Paulus und Barnabas, Junia und Phöbe, Lydia und viele andere werden erwähnt. Sie haben sich den Auftrag Jesu und seine Botschaft zu eigen gemacht. Sie haben Kranke geheilt, Menschen von Dämonen befreit, Aussätzige rein gemacht. Sie haben andere von dem, was sie am Leben hindert und im Leben lähmt, gelöst.

Petrus sagt zu einem Gelähmten:

„Silber und Gold besitze ich nicht. Doch was ich habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi, des Nazoräers, steh auf und geh umher.“ (Apg 3,6) Petrus fasst den Gelähmten an der Hand, richtet ihn auf und der Gelähmte kann umhergehen. Ja, er sprang auf, er bekommt Kraft in seine Füße und Gelenke. (Apg 3,7f.)

Durch die Apostel damals geschahen diese Zeichen und Wunder. Menschen wurden aufgerichtet, mit Kraft erfüllt und sie konnten wieder voller Energie ihr Leben gestalten. Wo der gute Geist wirkt, wo Menschen sich einander zuwenden und an die Hand nehmen, da werden sie aufgerichtet. Da werden Menschen groß, da werden sie frei. Da schaffen sie es, das, was sie klein hält und niederdrückt, loszulassen und abzulegen.

Musik: Psalm 23: „Der Herr ist mein Hirte“ - Creator Spiritus - Thomas Gabriel

Was kann das für unsere Kirche bedeuten?

Die Heilungsgeschichten, die in der Apostelgeschichte berichtet werden, gelten nicht nur für Personen, sie gelten auch für ein Volk. Sie gelten dem Volk Gottes. Sie gelten heute der Kirche. So ist auch ihr gesagt: Steh auf, richte dich auf. Befreie dich aus deiner Lähmung, aus dem, was dich niederdrückt, klein macht. Steh auf, bewege Dich, werde beweglich und veränderbar.

Mir scheint, wir sind noch viel zu sehr in der Phase der Lähmung.
Wir lassen uns niederdrücken.
Wir lassen uns lähmen von eigenen Regeln und Vorschriften.
Wir lähmen uns durch Behördendeutsch und Binnensprache.
Wir reden in einer eigenen Sprache, mit Floskeln und Phrasen.

Für die Gestaltung der Zukunft aber braucht es Ideen und Mut, Motivation und Beweglichkeit. Mit Antworten aus der Vergangenheit kann ich weder die Gegenwart gestalten noch Weichen für die Zukunft stellen. Nicht in der Kirche, nicht in der Gesellschaft, nicht in der Politik mit all ihren Herausforderungen.Die Apostel waren mutig und beweglich. Die Apostel sind von Jesus ausgesandt worden und haben heilsam gewirkt. Sie haben ihre Sendung gelebt.

Heute sind wir es, die dem Glauben ein Gesicht, – unser Gesicht – geben können. Heute bin ich es, der Menschen aufrichten darf, der dort, wo ich lebe und wirke, anderen zu einem guten Leben verhelfen kann. Heute bin ich es, der dem Glauben mein Gesicht geben kann. Denn: „Sage mir nicht, was du glaubst, sage mir, was sich ändert, weil du glaubst.“ Und bei all dem darf und kann ich auch auf mich selbst achten. Auch mir ist ein Leben in Fülle verheißen – und zu dieser Fülle gehört eine gute Mischung zwischen Anspannung und Entspannung, zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen Anstrengung und Erholung und Urlaub.

Hast du deinen Sommerurlaub schon geplant? Die Frage, die mir gestellt wurde, löste vieles aus. Auch konkrete Pläne. Mein Urlaub wird mich wieder zu vertrauten Menschen und bekannten Orten in die Schweiz führen. Wann und wo werden Sie Ihren Sommerurlaub verbringen? Egal wo es sein wird, ich wünsche Ihnen schon jetzt eine erholsame Zeit.

Musik: „Laudate Dominum“ - Geistliche Chorwerke - Robert Jones/Christopher Tambling

Musikauswahl: Regionalkantor Armin Press, Hanau

 

1Fietze, Ingo. Die übermüdete Gesellschaft. Wie Schlafmangel uns alle krank macht. Hamburg 2018

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