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Neue Namen für GOTT
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Neue Namen für GOTT

Beate Hirt
Ein Beitrag von Beate Hirt, Senderbeauftragte der katholischen Kirche beim hr, Frankfurt
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Ich bete regelmäßig, und da beschäftigt mich in letzter Zeit eine Frage, die vielleicht etwas ungewöhnlich klingen mag: Wie rede ich meinen Gott eigentlich an? Ich gestehe: Es ist ein bisschen, als müsste ich mir für jemanden einen neuen Kosenamen suchen, mit dem ich seit gut 50 Jahren zusammen bin. Bisher habe ich am Anfang meiner Gebete nämlich oft „Herr“ gesagt, manchmal auch: „Seigneur“, weil ich das Französische mag. In der Einheitsübersetzung der Bibel kommt der „Herr“ als Anrede und Namen für Gott auch ständig vor. Aber in letzter Zeit ist mir klarer geworden: Diese Anrede passt nicht für mich. Herrschaft, Hierarchie drückt sie aus, und natürlich Männlichkeit. 

Wie rede ich Gott eigentlich an?

Gott ist aber für mich nicht nur Mann oder Herr. Gott ist vielfältiger, hat auch weibliche Anteile. Von der Vielfalt Gottes erzählt in besonderer Weise das christliche Fest, das heute begangen wird: Dreifaltigkeitssonntag, auf Latein: Trinitatis. Christinnen und Christen glauben an den einen Gott in drei Personen: Üblicherweise werden sie Vater, Sohn und Heiliger Geist genannt. Der Heilige Geist wird in letzter Zeit aber auch als Heilige Geistkraft bezeichnet, denn das ursprüngliche hebräische Wort in der Bibel für den Geist ist eine Geist-in, ist weiblich, die Ruach. 

Barmherziger Vater oder liebende Mutter?

Der Dreifaltigkeitssonntag heute: Für mich ist er Anlass, in dieser Morgenfeier darüber nachzudenken: Wer ist Gott eigentlich? Wer ist Gott für mich? Und: Wie will ich Gott anreden? Vielleicht - hoffentlich - sind das auch Fragen, die Menschen interessieren, die selten oder gar nicht beten. Mir kommen diese Fragen auch, wenn ich Gott gerade richtig brauche. Ist Gott dann ein mächtiger Herr oder eine sanfte Geistkraft? Ein barmherziger Vater oder mehr eine liebende Mutter? Darum soll es heute in der Morgenfeier gehen. Musikalisch einsteigen möchte ich mit einer Lieblingsstelle aus dem „Deutschen Requiem“ von Johannes Brahms. Gott kommt darin vor als Mutter, die mich tröstet.

Musik 1: aus: „Ihr habt nun Traurigkeit“ aus dem Deutschen Requiem von Johannes Brahms (CD: Brahms, Ein Deutsches Requiem, Berliner Philharmoniker / Berliner Rundfunkchor, Simon Rattle, Track 5) 

Gott ist mehr sogar

„Ich will dich trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“ Dieser Satz im „Deutschen Requiem“ von Johannes Brahms stammt aus der Bibel, aus dem Propheten Jesaja (Jesaja 66,13). Es ist hier nicht nur wunderschöne Musik – für mich ist es auch ein wunderbares Bild von Gott. Gott ist nicht nur Vater. Auch wenn wir das oft so sagen, im „Vater unser“ vor allem, dem wichtigsten christlichen Gebet. Gott ist auch Mutter. Papst Johannes Paul I. hat es schon 1978 in einer Ansprache einmal so gesagt: „Gott ist Vater. Und mehr sogar, Gott ist Mutter.“ 

Gott ist und bleibt ein Geheimnis für uns

Trotzdem ist es noch sehr unüblich, Gott als Mutter anzureden. Man kann sich in der Theologie zwar schnell darauf verständigen: Gott ist ein Geheimnis, wir können nicht sagen, was Gott ist, und natürlich ist es falsch, einfach zu sagen: Gott ist ein Mann. Aber wenn Menschen umgekehrt Gott als Frau anreden, dann stößt das doch in der Regel auf Widerstand. Und ich gestehe: Auch mir geht „Mutter unser“ schwerer über die Lippen als „Vater unser“. 

Männlich und weiblich erschuf er sie

Dabei gibt es in der Bibel noch manche Stelle mehr, die dazu ermutigen könnte, Gott als Mutter und Frau anzureden. Schon in der Schöpfungsgeschichte ganz am Anfang der Bibel steht zum Beispiel: „Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie.“ (Genesis / 1 Mose 1,27) Das heißt umgekehrt: Wenn wir Menschen männlich und weiblich als Bild Gottes geschaffen sind, dann ist auch Gott männlich und weiblich. Ich finde es immer wieder faszinierend, dass das in einem Jahrtausende alten biblischen Text schon so zu lesen ist: Gott ist männlich und weiblich. 

Das Gleichnis von der suchenden Frau

Auch Jesus spricht von Gott nicht nur als Vater und Mann, sondern auch als Frau. Das ist mir vor kurzem noch mal deutlich geworden, als mein Neffe im Reliunterricht die Gleichnisse Jesu durchgenommen hat. Da fiel mir auf: Unmittelbar vor dem berühmten Gleichnis vom verlorenen Sohn und barmherzigen Vater erzählt Jesus von einer Frau, die ein verlorenes Geldstück sucht und schließlich wiederfindet und sich darüber sehr freut. Jesus vergleicht diese Frau mit Gott, der intensiv nach den verlorenen Menschen sucht und sich über die Maßen freut über alle diejenigen, die zu ihm zurückkehren. „Gleichnis von der suchenden Frau“ wird die Geschichte auch genannt (vgl. Lukas 15,8-10). 

Wie ein gestilltes Kind bei seiner Mutter, so ist meine Seele

Jesus kann mit solch einem weiblichen Gottesbild zurückgreifen auf seine – hebräische - Bibel, das Alte Testament. Mehrfach wird darin erzählt, dass die Menschen Gott als Mutter und Frau erleben. Beim Propheten Jesaja etwa spricht Gott von sich selbst als eine Mutter, die niemals ihr leibliches Kind vergessen könnte: „Doch Zion sagt: Der HERR hat mich verlassen, Gott hat mich vergessen. Kann denn eine Frau ihr Kindlein vergessen, ohne Erbarmen sein gegenüber ihrem leiblichen Sohn? Und selbst wenn sie ihn vergisst: Ich vergesse dich nicht!“ (Jesaja 49,14-15). Und im Psalm 131 spricht der Mensch: „Wie ein gestilltes Kind bei seiner Mutter, so ist meine Seele.“ (Psalm 131,2). Hans-Jürgen Hufeisen hat diesen biblischen Satz vertont. 

Musik 2: Hans-Jürgen Hufeisen; Still, still und ruhig ist mein Herz (CD: Gloria. Die Lieder von Hans-Jürgen Hufeisen, Vokalensemble Principal; Track 6) 

Immer öfter mal unsere Mutter im Gebet ansprechen

Gott ist wie eine Mutter, die uns in den Arm nimmt und zu essen gibt, so erzählt die Bibel. Und auch ich spreche Gott jetzt in meinen Gebeten immer öfter einmal so an: Du, unsere Mutter! Statt der üblichen Anreden wie „Vater“ oder „Herr“. 

Eine Gottheit, die sich unseren Bildern und Namen entzieht

Überhaupt: diese „Herr“-Anrede, die auch ich bisher oft benutzt habe: In der Bibel steht sie viel seltener, als man meint. An den meisten Stellen, an denen in meiner deutschen Übersetzung „Herr“ steht, schreibt das ursprüngliche Hebräisch gar nicht „Herr“, sondern da steht der geheimnisvolle Gottesname JHWH, von dem man gar nicht genau weiß: Was heißt er eigentlich und wie kann man ihn wiedergeben? Das hat durchaus Sinn und System: Denn es steht für eine Gottheit, die sich unseren Bildern und Namen entzieht. Gott ist eben nicht so einfach zu verstehen und zu benennen. Gott ist größer als unser Herz und unser Verstand. 

Der Gottesname in der Bibel: geheimnisvoll und unaussprechlich

Diesen geheimnisvollen, unaussprechlichen Gottesnamen der Bibel kann man deswegen auch ganz anders wiedergeben als mit „Herr“. Jüdinnen und Juden damals und heute sagen zum Beispiel „der oder die Ewige“ oder auch nur „Ha-Schem“, was hebräisch einfach „der Name“ bedeutet. 

Der Name Gottes variiert

Es gibt eine Bibel-Übersetzung ins Deutsche, die nicht immer „Herr“ schreibt, wo der Gottesname auftaucht, sondern – ganz im Sinne dieser geheimnisvollen vier Buchstaben – den Namen Gottes variiert. Da steht dann manchmal „die oder der Ewige“, ein andres Mal „Ha-Schem“, der Name. Oder auch, wie im Psalm 104: „der oder die Eine“. Die zeitgenössische Komponistin Jutta Bitsch hat den Psalm 104 in dieser Übersetzung der „Bibel in gerechter Sprache“ vertont. Hier ist ein Ausschnitt daraus:

Musik 3: Jutta Bitsch: Segne die Eine. Psalm 104 in der Übersetzung der „Bibel in gerechter Sprache“ (CD: Mit allen Augen. Schöpfungsoratorium von Jutta Bitsch, Canticum novum, Neue Philharmonie Westfalen, Michael Schmutte, Leitung; Track 1). 

Die Dreifaltigkeit – ein männlicher Dreierbund?

Gott ist „die Eine“ oder „die Ewige“: In der „Bibel in gerechter Sprache“ werden solche ungewohnten, neuen Namen für Gott benutzt. Und doch sind sie ganz im Sinne der alten Tradition und Bibel, davon bin ich überzeugt, denn: Die Bibel ist in der Beschreibung Gottes viel vielfältiger als wir das heute oft sind, auch in unseren Gottesdiensten. Die Formel, mit der Christinnen und Christen in der Regel ihre Gebete beginnen und beschließen, lautet: Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Das ist die Dreifaltigkeit, die heute am Dreifaltigkeitssonntag besonders begangen wird. Und sie klingt doch sehr nach einem männlichen Dreierbund. 

Frau Weisheit war schon dabei, als Gott die Welt erschuf

Aber selbst diese Dreifaltigkeit ist vielfältiger, als man auf den ersten Blick meinen mag. In den Texten zum heutigen Dreifaltigkeitssonntag taucht zum Beispiel die biblische Weisheit auf. Sie war schon dabei, so erzählt die Bibel, als Gott die Welt erschuf, „geliebtes Kind“ wird sie genannt (vgl. Sprichwörter 8,22-31) – so wie Jesus Christus „geliebter Sohn“ genannt wird, und auch er ist am Anfang, vor aller Zeit dabei. Die Frau Weisheit und Jesus Christus sind in der Bibel ganz nah beieinander. Die Dreifaltigkeit bekommt dadurch einen weiblichen Anteil. 

Ehre sei der Mutter und der Tocher und dem Allerheiligsten

Dann ist da noch der Heilige Geist, der im Hebräischen eine Geist-in ist, die Ruach. Und als Drittes: Gott-Vater, der von sich auch gelegentlich als Mutter spricht in der Bibel. Es klingt ungewohnt, aber man könnte die heilige Dreifaltigkeit durchaus auch so anreden: Gott, du Mutter und Tochter und heilige Geistin! Es gibt eine Vertonung des Psalms 23 von keinem Geringeren als dem brillanten Stimmkünstler Bobby McFerrin, in deren Schlussformel heißt es genau so: „Ehre sei der Mutter und der Tochter und der Allerheiligsten.“ Und zu Beginn des Psalms singt Bobby McFerrin: „Der Herr ist mein Hirte, ich habe alles, was ich brauche. Sie lässt mich ruhen an grünen Auen.“ 

Musik 4: Bobby McFerrin: The 23rd Psalm (CD: Bobby McFerrin, Medicine Music, Track 12). 

Wie und in wem habe ich Gott erlebt?

Bobby McFerrin hat diese ganz besondere Vertonung des Psalms 23 seiner Mutter gewidmet, und das weist mir eine Spur: Wenn wir von Gott als Mutter und Frau sprechen, dann hat das meistens damit zu tun, wie wir Mütter und Frauen erlebt haben. Sie sind uns Bild Gottes geworden, so, wie die Bibel das in der Schöpfungsgeschichte sagt: Wir Menschen sind Bild Gottes, männlich und weiblich. Mir geht es auch so, wenn ich nach neuen Gottesnamen und –anreden suche: Ich halte danach Ausschau, wie und in wem ich Gott erlebt habe. Mit wem ich ihn oder sie vergleichen kann. Deswegen passt für mich sowohl die Anrede „Vater“ als auch „Mutter“ sehr gut. Weil ich das Glück hatte, einen zärtlichen, liebevollen Vater zu haben und eine kraftvolle, beschützende Mutter. Beide haben mir von Kindesbeinen an etwas von dem vermittelt, was Gott ist. 

Gottes Vielfalt erkenne ich auch in der Natur wieder

Aber ich erfahre Gott nicht nur in Menschen. Ich spüre ihn auch in der Natur. In einem sanften Wind zum Beispiel, der mir über die Haut streift. Gottes Geist wird schon in der Bibel als Wind und Atem beschrieben: Der Geist weht, wo er will, heißt es. Und an einer Stelle in der Bibel spricht Gott aus einem sanften, leisen Säuseln heraus (1 Könige 19,13-14). Ein anderes Bild für den Geist Gottes und für Gott überhaupt ist das Feuer. An Pfingsten kommt der Geist in Feuerzungen auf die Menschen herab, und zu Mose spricht Gott aus dem brennenden Dornbusch. Auch ich erlebe Gott manchmal wie Feuer, das in mir brennt, das mich lebendig macht. Eine Begeisterung, die mich packt und von innen her erfüllt und antreibt. Manchmal ist Gott aber auch wie Wasser, wie eine Quelle, die meinen Durst stillt. In einem alten Lied über Gottes Geistkraft heißt es, sie sei „köstlich Labsal in der Not“, und sie wird herbeigebeten: „Dürrem gieße Leben ein.“ 

Du Feuer in mir, Du Wind und Atem

Auch aus diesen Natur- und Geist-Erfahrungen können für mich Anreden an Gott erwachsen: Du Gott, Wind und Atem! Du Feuer in mir! Du Glut, aus der ich lebe. Du Quelle, die mich kühlt und belebt! 

Viele Namen, denn Gott ist größer als wir denken können

Neue Namen für Gott: Ich probiere sie jetzt öfter aus. Sage beim Beten nicht mehr nur „Herr“, sondern nutze eben all diese Namen, die es auch noch gibt, männlich, weiblich, natürlich: „Ach, DU, Ewiger“, „DU, unsere Mutter!“ oder „Du, Feuer in mir!“ Ich merke: Einen neuen Namen für Gott zu finden, ist auch etwas anstrengend, weil es eben gegen die Gewohnheit geht. Aber es tut meinem Glauben gut. Weil ich mir bewusster darüber werde, wer Gott für mich ist. Wo und wie ich Gott erlebe. Und ich glaube tatsächlich: Es ist auch respektvoller und angemessener diesem meinem Gott gegenüber, wenn ich ihn und sie nicht auf das „Herr“ beschränke, einenge, sondern Gott mit verschiedenen Namen anrede und dadurch offen halte, was und wie Gott ist. Weil Gott eben immer schon größer ist, als ich denken kann. 

Wie brennen wir zu wissen, wer du bist

Ein Dichter, der dieses Suchen nach den Namen Gottes immer praktiziert hat, ist Huub Oosterhuis. Im April ist er in Amsterdam gestorben. Ich möchte schließen mit einem Lied von ihm. Darin nennt er Gott „Glut“, „Seelenfunken“, „Lichtblick“ und „Atemquell“. Und er schließt mit dem Satz: „Wie brennen wir zu wissen, wer du bist.“ 

Musik 5: Huub Oosterhuis, Was leichthin über dich geschrieben steht (CD: Atem meiner Lieder, Schola der Kleinen Kirche Osnabrück, Ltg. Ansgar Schönecker).

Literaturtipps:

- Katrin Brockmöller: Gott heißt weder „HERR“ noch „Ich bin da“!, in: Thomas Hieke / Konrad Huber (Hrsg.): Bibel falsch verstanden. Hartnäckige Fehldeutungen biblischer Texte erklärt. Stuttgart 2020, S. 82-89.

- Annette Jantzen: Gotteswort, weiblich. Wie heute zu Gott sprechen? Gebete, Psalmen und Lieder. Freiburg 2022.

- Huub Oosterhuis: Du Atem meiner Lieder. 100 Lieder und Gesänge. Freiburg 2009.

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