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Nie wieder ist jetzt
Bildquelle Pixabay

Nie wieder ist jetzt

Pia Baumann
Ein Beitrag von Pia Baumann, Evangelische Pfarrerin, Frankfurt
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Anmoderation: In dieser Woche, am 9. November 2023, haben Städte, Schulen, Kirchengemeinden und viele Initiativen der Reichsprogromnacht vor 85 Jahren gedacht. Mit Reden, Schweigeminuten und Gebeten wurden an die entsetzliche Verfolgung und Ermordung von Millionen jüdischen Menschen in Nazi-Deutschland gedacht. Warum das Gedenken wichtig ist gerade jetzt, sagt Pfarrerin Pia Baumann im hr1 Zuspruch.

"Das darf doch nicht sein!", hat meine Tochter gesagt. Dieser Satz geht mir nicht aus dem Kopf. Meine Tochter geht auf ein Gymnasium in Frankfurt. Am Donnerstag haben Lehrer und Schülerinnen ihren Unterricht unterbrochen und sich gemeinsam an die Reichspogromnacht am 9. November 1938 erinnert. Sie haben darüber gesprochen, was damals passiert ist: Jüdische Geschäfte wurden zerstört. Synagogen angezündet. Juden und Jüdinnen wurden gequält, verhaftet, ermordet.

183 Mädchen mussten die Schule verlassen

Bei der Schweigeminute war es sehr still im Klassenzimmer. Zum Schluss haben sie Blumen im Schulhof abgelegt. Dort gibt es ein Denkmal. Mit den Namen von 183 Mädchen. "Stell dir vor", erzählt meine Tochter, "all diese Mädchen mussten damals unsere Schule verlassen. Weil sie jüdisch waren. Hat denn niemand was dagegen gesagt? Das darf doch nicht sein."

Nie wieder sollen jüdische Kinder und Eltern Angst haben müssen

Das darf nicht sein, denke ich; und es darf erst recht nicht sein, dass heute wieder Kinder und Eltern Angst haben vor antisemitischen Anfeindungen und Gewalt. Jüdische Eltern sorgen sich um ihre Kinder. Sie haben Angst, sie in die Schule oder in den Sportverein zu schicken. Sie sagen ihnen: "Lass deine Kette mit dem Davidstern zu Hause."[1] Das darf nicht sein, doch so ist es. Hier und heute in Deutschland. 85 Jahre nach der Reichspogromnacht.

Hier und heute den Mund aufmachen

Ich finde, das ist entsetzlich. Aber ich will in diesem Gefühl nicht verharren. Ich will etwas sagen. Ich will darüber reden. Zum Beispiel mit meiner Tochter. Über die 183 Mädchen, deren Namen auf ihren Schulhof zu lesen sind. Ich möchte rausfinden, was ist mit den Mädchen passiert? Und ich will mit meiner Tochter überlegen, was wir hier und heute sagen können, damit andere Kinder und ihre Eltern keine Angst haben müssen.

Ein Foto von Helmut Fricke konnten Sie bis 22.12.23 sehen (aus Rechte-Gründen nur sechs Wochen): Es zeigte das Gedenken von Frankfurter Bürgerinnen und Bürgern am 9.11.2023 in Frankfurt am Main. Es ist eine Projektion an der Fassade des Hochbunkers aus dem Weltkrieg. Sie erinnert am Standort der ehemaligen Frankfurter Hauptsynagoge an die Zerstörung anlässlich des 85. Jahrestags der Pogromnacht. Die Stadt erinnert mit der virtuellen Rekonstruktion an die Zerstörung vor 85 Jahren.  Im Oktober 2023 entdeckte man antisemitischen Schmierereien. Zur Zeit erinnern Namen am Gebäuden an die jüdischen Geiseln im Gaza-Streifen in den Händen der Terror-Organisation Hamas.

Die Gedenkstätte können Sie besichtigen, Infos hier

 


[1] Robert Habeck zu Israel und Antisemitismus, www.youtube.com/watch

 

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