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Sie müssen loslassen
Bild: Pixabay / Gerd Altmann

Sie müssen loslassen

Jens Haupt
Ein Beitrag von Jens Haupt, Evangelischer Pfarrer, Kassel
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Es gibt so Weisheiten, die man überall liest und hört. Und denen man sich nicht entziehen kann: Sie müssen loslassen! Egal, ob es der verlorene Job ist, die Hoffnung, je das Traumgewicht zu erreichen, die Freundin, die ins Ausland gezogen ist oder das geliebte, verstorbene Haustier. 

Keine Weisheit, eher ein Ratschlag

Sie müssen loslassen! Wobei, eine Weisheit ist es eher nicht. Es ist vielmehr oft ein gut gemeinter Ratschlag, den wir um die Ohren gehauen bekommen. Von Menschen, die eigentlich helfen wollen. Klar: Loslassen muss man im Leben immer wieder. Wir sind erwachsen geworden und haben Kindergarten, Schule, Ausbildung oder Uni hinter uns gelassen. Wir haben neue Erfahrungen gemacht, neue Freundschaften geschlossen und manche zurückgelassen. Viele sind umgezogen und haben neue Lebenswelten entdeckt. Am Ende war es auch ein Loslassen des Alten und des Gewohnten. Am Ende - und nicht am Anfang.

„Carls Buch“ von der Schriftstellerin Naja Maria Aidt

Wir müssen loslassen -, die dänische Schriftstellerin Naja Marie Aidt hat in „Carls Buch“ beschrieben, wie schwer es ihr gefallen ist, ihren gerade erwachsen gewordenen Sohn Carl sterben zu sehen. Da ging es nicht um loslassen, sondern um festhalten und umarmen. Bis zuletzt. Und auch darüber hinaus. Naja Marie Aidt muss sich der Frage stellen: Können wir Organspenden zustimmen? Ihre Familie hat lange darüber nachgedacht und zugestimmt. Nur das Herz, das sollte Carl behalten. 

Wie jemanden begraben und gleichzeitig in sich lebendig halten 

Sie hat sich gefragt: Wie kann ich ihn begraben und gleichzeitig sein Leben in mir lebendig halten? Sie schreibt: „Seine Zeit und sein Leben sind in mir bewahrt“. So hat sie ihre Beziehung zu ihrem toten Sohn Carl beschrieben. Sie hat ihn verabschiedet. Das ist etwas anderes als „Loslassen“. Viele Menschen sprechen mit ihren Toten, halten so die Erinnerungen wach, auch den Schmerz. „Hat der Tod dir etwas genommen, dann gib es zurück.“ 

Verabschieden und zurückgeben

So der Untertitel des Buches von Naja Marie Aidt. Für mich ist das eine sehr einfühlsame Beschreibung dessen, was bei einem so großen Verlust eigentlich dran ist. Nicht einfach die Hand öffnen und loslassen. - Verabschieden und zurückgeben, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Im christlichen Glauben sagen wir es so: Zurückgeben aus unserer Hand in die Hand Gottes.

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