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Wählen gehen: für Menschlichkeit und Solidarität
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Wählen gehen: für Menschlichkeit und Solidarität

Anke Jarzina
Ein Beitrag von Anke Jarzina, Katholische Pastoralreferentin in der Pfarrei St. Peter und Paul in Wiesbaden
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Letzte Woche war wieder so ein Wahnsinnstag in der Familie: Erst kommt unsere Große mit einer 5 in Mathe heim. Dann hat der kleine Bruder keinen Bock mehr auf Fußball und die miese Stimmung in der Mannschaft. Und obendrein hat der Hund noch Magen-Darm. Was war ich gestresst! An so Tagen würd ich am liebsten auf eine einsame Insel verschwinden. Meistens sind das nur Momente, bevor mir klar wird: Ach, das ist Jammern auf hohem Niveau. Eigentlich geht’s mir gut, ich bin ganz schön privilegiert – auch wenn nicht immer alles rund läuft.

Schluss mit Jammern auf hohem Niveau

Ich hatte bisher wirklich viel Glück im Leben: Ich habe eine Familie, einen Beruf, ein Dach über dem Kopf. Die Sorgen, die ich mir oft mache und die mich so stressen, sind klein im Vergleich zu dem, was andere Menschen auf dieser Welt aushalten und ertragen müssen. Ich lebe im Wohlstand: Es gibt genug zu essen und zu trinken – manchmal mehr, als ich überhaupt verzehren kann. Ich habe freien Zugang zu Bildung und zu Informationen aller Art. Ich darf verreisen, wohin ich will. Ich darf offen meine Meinung sagen - sogar dann, wenn ich gegen „die da oben“ bin. Ich muss nicht um mein Leben fürchten, weil ich anders, krank oder alt bin. Und ich muss auch nicht aus meinem Land fliehen vor Krieg oder brutalen, menschenunwürdigen Lebensbedingungen. Und außerdem: Ich darf mitbestimmen und, wenn ich will, sogar mitregieren. Als Frau! Das war vor ein paar Jahrzehnten noch undenkbar.

Ich lebe in einem freien, demokratischen, wohlhabenden Land

Auch, wenn es nicht immer sorgenfrei verläuft: Ich führe ein freies und glückliches Leben. Vor allem auch deshalb, weil ich in einem freien, demokratischen und wohlhabenden Land lebe.

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Vieles davon nehme ich oft als selbstverständlich hin

Ja, ich bin frei und meistens mit allem versorgt, was ich zum Leben brauche. Aber Hand aufs Herz: Vieles davon nehme ich oft als selbstverständlich hin. Dadurch fühl ich mich manchmal nicht so glücklich, wie ich eigentlich sein könnte. Dann werden die Alltagssorgen riesengroß und überschatten das viele Gute, das mein Leben ausmacht.

Mutige Menschen haben sich früher für Freiheit und Gleichheit eingesetzt

Heute ist Wahl in Hessen, Landtagswahl. Ich hab mir gedacht: Ich nehme diese Wahl zum Anlass, mir klar zu machen: Nichts ist selbstverständlich! Ich bin privilegiert – und zwar nicht, weil ich mir das verdient hätte. Ich wurde zufällig hineingeboren in diese Privilegien. Für meine Freiheit und meinen Wohlstand haben Menschen ihre Lebenszeit und Lebensenergie eingesetzt. Sie haben dafür gekämpft, dass ich – auch als Bürgerin und Frau - mitbestimmen darf, wie und von wem mein Land regiert wird. Das war nicht immer so. Mutige Menschen haben sich in der Vergangenheit immer wieder für Freiheit, für Gleichheit und für die Rechte derjenigen eingesetzt, die bisher übersehen, überhört wurden. Davor hab ich großen Respekt – und bin echt dankbar. Und deshalb gehe ich heute auch wählen.

Wer wählt, übernimmt Verantwortung für die Zukunft des Landes

Ich finde die Aktion der katholischen und evangelischen Kirchen in Hessen richtig gut: Sie haben einen gemeinsamen Aufruf zur Landtagswahl formuliert, in dem es heißt „Die Möglichkeit, frei zu wählen, ist ein kostbares demokratisches Gut. Wer wählen geht, übernimmt Verantwortung für die Gesellschaft und die Zukunft des Landes".

Die Kirchen bitten darum, nach christlichen Kriterien zu wählen

In dem Aufruf geht es aber nicht nur darum, dass ich wähle. Es geht auch darum, was ich wähle. Die Kirchen bitten nämlich - Zitat - „alle Christinnen und Christen herzlich darum, die Äußerungen am christlichen Menschenbild zu prüfen." Das ist mal eine Aussage, finde ich! Es wird natürlich nicht für eine bestimmte Partei geworben. Sondern: Die Kirchen bitten mich zu prüfen, genau hinzuschauen – und mich eben nicht von Parteinamen oder Wahlslogans blenden zu lassen.

Die Menschenwürde gemäß dem christlichen Menschenbild wahren

Der Maßstab dafür soll das „christliche Menschenbild“ sein. Aber was ist das eigentlich? Christinnen und Christen glauben: Alle Menschen dieser Erde sind Geschöpfe Gottes. Deshalb ist jede und jeder einzelne wertvoll und hat eine bedingungslose – also von äußeren Bedingungen unabhängige - Würde. Egal, wie alt jemand ist, ob krank oder gesund, welchen sozialen Status oder welche Fähigkeiten ein Mensch hat. Diese Menschenwürde ist – nach christlichem Verständnis – unbedingt zu achten und kann durch nichts und niemanden genommen werden. „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ – Das ist ja auch der erste und damit wichtigste Satz in unserem Grundgesetz. Wenn sich meine Wahlentscheidung also an dem „christlichen Menschenbild“ orientiert, was bedeutet das konkret? Im Aufruf der Kirchen steht es, da heißt es nämlich: „Dafür ist Menschlichkeit statt Fremdenhass, Weltoffenheit statt Nationalismus und Solidarität statt Diskriminierung grundlegend".

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Jesus hat sich eingesetzt für die Armen und Schwachen

Menschlichkeit, Weltoffenheit und Solidarität. Das sind die Werte, die ich leben möchte. Denn ich glaube: Das waren auch die Werte, für die Jesus gelebt hat. Aus seiner tiefen Verbindung mit Gott heraus gab es für ihn nichts Wichtigeres, als sich auf seine Mitmenschen einzulassen – sogar und vor allem auf die, mit denen kein anderer zu tun haben wollte. Jesus hat immer Partei ergriffen für die Armen, Schwachen, für diejenigen, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt und ausgegrenzt worden sind – weil auch sie eine unbedingte, von Gott geschenkte Würde haben. Etliche Geschichten in der Bibel handeln davon. Seine Solidarität mit den Armen, Fremden, Kranken und Gefangenen geht sogar so weit, dass er sagt: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder (oder für eine meiner geringsten Schwestern) getan habt, das habt ihr für mich getan.“ (Die Bibel, Matthäusevangelium, Kapitel 25, Vers 40).

Ich kann mich in meinem kleinen Umfeld für Schwache stark machen

Das ist schon krass: Wenn ich mich wirklich als Nachfolgerin Jesu verstehe, als Christin, dann bedeutet das: Ich muss mich für fremde, diskriminierte und ausgegrenzte Menschen einsetzen. Das klingt ganz schön radikal, aber ich finde: Ich kann mich auch im Kleinen ganz konkret für die stark machen, die auf irgendeine Weise „schwach“ sind. Zum Beispiel: Ich verschenke Dinge, die ich nicht mehr brauche, an andere. Ich setze mich für Klimagerechtigkeit und Naturschutz ein. Ich nehme mir Zeit für meine Tochter und lerne so lange mit ihr für Mathe, bis sie es versteht. Ich mache den Mund auf, wenn ich merke, dass jemand ausgegrenzt oder „gedisst“ wird.

Ich wähle heute gegen Fremdenhass, Diskriminierung, Nationalismus

Ich mache mich stark für die, die schwach sind. Deshalb gehe ich heute wählen: gegen Fremdenhass, Diskriminierung und Nationalismus – für Menschlichkeit, Weltoffenheit und Solidarität. Ich denke: Das hätte Jesus auch getan.

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