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Sehnsucht nach ‚Mehr‘
Bild: Pixabay / Roswitha Casimir

Sehnsucht nach ‚Mehr‘

Hermann Trusheim
Ein Beitrag von Hermann Trusheim, Evangelischer Schulpfarrer, Hanau
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Ich muss gestehen, ich gehe sehr gern ins ‚Männerkaufhaus‘. Das ist eine freundlich-ironische Bezeichnung für Baumärkte.

Immer, wenn ich was brauche, Werkzeug, Gartengerät, Schrauben oder Haken, führt mich mein Weg zum Männerkaufhaus. Und natürlich stöbere ich da auch gerne herum, wer weiß, was ich noch unbedingt brauche.

Überraschung im Baumarkt

Diesmal überrascht mich im Eingangsbereich des Baumarktes meiner Wahl allerdings ein Anblick, bei dem mir fast meine Einkaufsliste aus der Hand fällt. Da sind Mitarbeiter dabei, eine überlebensgroße Sitzstatue in einem Swimmingpool zu installieren. Mit mildem Blick schaut mich ein Buddha an, um ihn herum blühendes Pflanzenleben, plätscherndes Wasser. Ja, und Fische kommen auch noch ins Bassin, die stehen schon in einem Aquarium parat.

Eine Buddhafigur in einem Swimmingpool

‚Was bedeutet das denn?‘ frage ich einen Mitarbeiter. ‚Das mögen die Leute jetzt so.‘ erklärt er: ‚So ein Buddha ist ein toller Hingucker, und er macht einfach mehr aus dem Garten und der gibt ein gutes Gefühl‘ sagt ein anderer. Vielleicht sieht der Mitarbeiter in mir einen potentiellen Käufer.

Der Preis des Buddhas ist allerdings ähnlich gewaltig wie die Statue selbst. Aber hinten im Regal gibt’s auch kleinere Ausgaben und man hat die Wahl zwischen der schlanken indischen Version, die wahrscheinlich Yoga macht und einem lachenden, wohlbeleibten chinesischen Glücksbuddha.

‚Die Buddhapopulation wächst‘

Ich kaufe nicht. Ein wenig irritiert verlasse ich das Männerkaufhaus. Ein Buddha als Gartenhelfer für gute Laune und gute Ernte? 

Und tatsächlich, wenn ich mit unserem Hund durch unser Viertel gehe, stelle ich fest: die Buddha-Population wächst. Besonders gern stehen sie in vollständig grau bekiesten Anlagen, manche bezeichnen sie als ‚Vorgärten des Grauens‘. 

Manche verstehen Buddhismus als Religion, andere als Philosophie. Buddha wird als Vorbild oder als Gott verehrt. Der Buddha aus dem Baumarkt ist ein Deko-Objekt.  

Was sagen Buddhisten zu diesem Umgang mit ihren Symbolen?

Ich frage mich, was Buddhisten wohl von dieser Verwendung Buddhas, diesem Umgang mit ihrer Religion und Philosophie halten: Werden so ihre religiösen Symbole missbraucht, und Buddha verkommt zum Konsumgut? 

Und mir kommt in den Sinn: Wie wäre das wohl, wenn es demnächst im Baumarkt Kreuze für den Garten gäbe? Schlicht evangelisch oder in der katholischen Version mit Jesusfigur … Ein Verkaufsschlager? Oder bliebe der Heiland im Regal liegen, weil kaum noch jemand was mit Jesus anfangen kann? Gäbe es eine gewisse Scheu, damit vielleicht seinen Glauben zu bekennen? Oder würde es einen Sturm der Entrüstung auslösen, ein solches Glaubenssymbol zu verhökern?

Menschen sehnen sich nach ‚mehr‘

Mal abgesehen von den Fragen nach Geschmack, Schicklichkeit oder Kommerzialisierung religiöser Symbole – Ich entdecke: Menschen umgeben sich, noch immer oder wieder ganz neu - bewusst oder unbewusst - mit Zeichen, die für eine höhere Macht stehen. Mit der Sehnsucht nach ‚Mehr‘. 

Auch der Buddha aus dem Baumarkt steht für mich dafür. Für die Suche nach ‚mehr‘. Nach einem ‚Mehr‘, das über Gartengestaltung, die Komposition meines ganz persönlichen Garten Eden, hinausgeht. Es geht um mehr als nur einen schönen Anblick beim Buddha im Garten. 

Schleichermachers Definition von Religion

Der Philosoph und Theologe Friedrich Schleiermacher verwendete vor 200 Jahren für Religion den Ausdruck ‚sich gebunden wissen an eine höhere Macht‘. Ich glaube, damit hat er heute noch recht.  

‚Sich gebunden wissen an eine höhere Macht‘, das beschreibt mehr ein Gefühl als ein Wissen um welche Macht es sich da handelt. Aber beides gehört zur Religion, gehört zum Glauben dazu. Aber ich möchte die Macht kennen, an die ich mich binde.

‚Sich gebunden wissen an eine höhere Macht‘

‚Sich gebunden wissen an eine höhere Macht‘, das bedeutete eben auch, um ein weiteres Mal Schleiermacher zu zitieren, ‚das Gefühl einer schlechthinnigen Abhängigkeit‘. Das ist natürlich ein wenig altertümliches Deutsch, aber es wird klar: Es kommt darauf an, ob mir die höhere Macht, an die ich mich gebunden weiß und von der ich abhängig bin, wohl gesonnen ist. Und ob ich weiß, um wen es sich bei dieser höheren Macht handelt. 

Wer sich auf die Suche nach dem ‚Mehr‘ begibt – bewusst, unbewusst – beim Anblick einer Buddhastatue oder eines der Kreuze, die in vielen Gemarkungen am Feldrand stehen, der und die entdeckt das Gefühl: da gibt es eine höhere Macht. Und zuweilen auch die Abhängigkeit - oder besser die Bedeutung der Beziehung zwischen mir und dieser Macht.

Wie die Bibel Gott beschreibt

Die Bibel beschreibt Gott als den, der es gut meint: Mit der Schöpfung, mit mir, von Anfang an. ‚Und siehe, es war gut‘, lautet Gottes Kommentar zur Schöpfung, und zur Erschaffung des Menschen sagt Gott sogar: ‚Es war sehr gut‘. - Ich bin gut gemeint und Gott meint es gut mit mir. 

Sehnsucht nach Mehr – für mich ist Gott dieses ‚Mehr‘. Ich finde, das Erntedankfest ist eine schöne Gelegenheit, zu entdecken, dass dieser Gott es gut mit der Schöpfung und mit mir meint.

Das Erntedankfest erinnert an den ‚Segen von oben‘

Ich bin auf einem Bauernhof groß geworden. Die Abhängigkeit des Ernteerfolges von Sonne, Wind und Regen gehört zu meinen unmittelbaren Erfahrungen. Und die Unverfügbarkeit über das Wetter. Es braucht mehr als das eigene Pflügen, Säen und all‘ die anderen Arbeiten, die in Garten und Feld nötig sind. Es braucht dies ‚Mehr‘, den sprichwörtlichen ’Segen von oben‘. Darum haben wir Gott gebeten und dafür haben wir Gott gedankt. 

Ich lebe inzwischen nicht mehr auf einem Bauernhof. Ich habe einen kleinen Garten mit Hochbeeten in der Stadt. Genug zum Säen und Ernten und Arbeiten. Und ich bin gern Draußen in der Natur. 

Das Zeichen des Regenbogens

Ich bin fasziniert von der Schöpfung und in Sorge um ihren Erhalt. Mir hilft das Zeichen des Regenbogens, das Gott nach der Noah-Geschichte gegeben hat. Damit meine Hoffnung bleibt und die Gewissheit, dass Gott es mit der Schöpfung und mit mir gut meint. Ich freue mich über jeden Regenbogen, den ich erblicke. Manchmal entdecke ich sogar doppelte Regenbögen, die finde ich ganz besonders toll.

Wo ich noch die Macht entdecke, an die ich mich gebunden fühle

Die höhere Macht, an die ich mich gebunden fühle, wird für mich gerade in den Liedern im Erntedankgottesdienst deutlich: ‚Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land, doch Wachstum und Gedeihen liegt in des Himmels Hand. 

Mir genügt der Regenbogen, ich verzichte auf den Buddha aus dem Baumarkt als Erntehelfer. Und wenn ich einem Buddha im Vorgarten begegne, lächle ich ihm zu und denke mir meinen Teil.

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