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Was mir Kraft gibt
GettyImages/Kamonwan Wankaew

Was mir Kraft gibt

Ralf Schweinsberg
Ein Beitrag von Ralf Schweinsberg, Pastor der evangelisch-methodistischen Kirche in Gründau-Rothenbergen
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"Was gibt dir Kraft in deinem Leben?" Diese Frage hat mich überrascht. Auf einer Fortbildung sollte jeder für sich aufschreiben, was die eigenen Energiequellen sind.

Ich sitze lange vor einem leeren Blatt. Natürlich fallen mir viele schöne Bilder und Formulierungen ein. Ich denke an meine Familie, gute Freunde, die Natur, in der ich gern unterwegs bin, an meinen Glauben an Gott. All das gibt mir viel Kraft in meinem Leben.

"Was Kraft ist, merke ich besonders, wenn sie mir fehlt"

Und all das habe ich dann auch auf mein Blatt geschrieben. Trotzdem denke ich seitdem immer wieder über diese Frage nach. Familie, Freunde, Natur, Gott - sind mir wichtig. Aber wie genau geben sie mir denn Kraft? Wie kann ich diese Kraft spüren oder messen?

Ich habe die Erfahrung gemacht: Kraft kann ich am besten beschreiben, wenn ich kraftlos bin, wenn ich keine Energie mehr habe. Dann merke ich, was mir fehlt.

Vergiftete Luft

So war das vor zwei Jahren. Damals ging es mir richtig schlecht. Ich hatte große Probleme mit zwei Menschen aus meinem Umfeld. Eigentlich sollten wir gut zusammenarbeiten, aber das ging nicht. Die Luft zwischen uns war vergiftet, und ich hatte das Gefühl: Egal, was ich sage oder tue, es wird immer nur missverstanden.

Alle meine Äußerungen werden als Angriff oder Verletzung empfunden. Das machte mir sehr zu schaffen. Oft lag ich nachts wach und die Gedanken zogen endlose Kreise. Ich fand einfach keinen Ausweg aus der Situation.

Konflikt als Test

Zeitweise hatte ich das Gefühl, meine beiden Kontrahenten sind wie ein Test für mich, ein Test, wieviel Kraft ich habe, mit diesem Ärger umzugehen. Offensichtlich habe ich zu wenig Kraft. Wir kamen miteinander auf keinen grünen Zeig.

Mehrfach haben wir versucht, uns zu versöhnen. Leider hielt das nie lange. Denn wir haben uns gegenseitig immer wieder verletzt mit Worten und mit unserem Verhalten. Sicher habe ich auch dazu beigetragen.

Die Kraft zum Loslassen fehlt

Dieser Konflikt machte mich mehr und mehr fertig. Er verfolgte mich auf Schritt und Tritt. Eigentlich wollte ich das alles nur noch hinter mir lassen, diesen ständigen Ärger mit den beiden.

Und dann war da noch dieses merkwürdige und scheinbar so wohlige Gefühl im Bauch, das man bekommt, wenn man sich von allen ungerecht behandelt fühlt.

Ich wollte alles loslassen, aber auch dafür fehlte mir die Kraft.

MUSIK

Loslassen kann unwahrscheinlich schwer sein. Der Konflikt mit zwei Menschen aus meiner Umgebung hatte mich schon so viel Energie und Nerven gekostet.

Aber ihn loszulassen und loszuwerden, habe ich nicht geschafft. Ich hatte das Gefühl, das kostet noch mehr Kraft, Kraft, die ich nicht habe.

In einer schlaflosen Nacht

Irgendwann mitten in einer schlaflosen Nacht habe ich Gott um Hilfe gebeten. Ich habe gebetet: Gott, gib mir die Kraft, den beiden zu vergeben, wo sie mich verletzt haben. Und vergib mir, wo ich sie verletzt habe.

Ich spürte schon in diesem Moment, wie mir dieses Gebet gut tat. Es fühlte sich richtig an, Gott darum zu bitten. Ich hatte die Hoffnung, das Vertrauen, dass Gott mir helfen wird.

In den folgenden Tagen wiederholte ich das Gebet. Mehr und mehr löste sich das bedrückende Gefühl. Ich konnte wieder freier atmen, denken und – Gott sein Dank – auch schlafen.

Der Groll war weg

Als ich meinen beiden Kontrahenten das nächste Mal begegnet bin, hatte ich zum ersten Mal seit langem keinen Groll in mir. Auf den ersten Blick war alles so wie immer. Aber ich hatte mich verändert. Die negativen Gedanken, die mir normalerweise durch den Kopf schossen, sie waren nicht mehr da oder zumindest sehr gedämpft.

Heute würde ich sagen: Einem Menschen vergeben zu können, der mich verletzt hat, das gibt mir viel Kraft. Je mehr ich meine Wut über ihn loslasse, desto mehr wächst in mir neue Kraft.

Das Gebet hat mir geholfen, aus meinen negativen Gedanken und Gefühlen herauszukommen. Ich habe mich dadurch verändert. Und auch mein Gebet hat sich geändert. Ich habe zu Gott gebetet: Danke, dass du mir geholfen hast umzudenken, dass ich deine Kraft gespürt habe, als meine am Ende war.

MUSIK

"Was gibt dir Kraft in deinem Leben?" Das war die Frage, die ich auf einer Fortbildung für mich selbst beantworten und auf einem Blatt aufschreiben sollte. Damals habe ich unter anderem aufgeschrieben: mein Glaube an Gott.

Heute würde ich konkreter beschreiben, wie mein Glaube wirkt. In dem Konflikt mit zwei Menschen aus meiner Umgebung hat mir das Beten neue Kraft gegeben.

Mir selbst fehlte die Energie, aus dem Argwohn und Groll herauszufinden. Das Beten hat mir geholfen. Ich habe gemerkt: Ich brauche die Kraft zur Versöhnung von woanders her.

Wendepunkt

Dieser scheinbare Endpunkt wurde für mich zum Wendepunkt. Denn durch das Gebet habe ich meine Gedanken auf etwas Anderes gerichtet: Nicht immer nur auf mich und wie mir meine Kontrahenten zusetzen. Sondern auf Gott. Ich drehte mich auf einmal nicht mehr ständig im Kreis, sondern konnte loslassen und neu anfangen.

Die Hoffnung darauf, dass Gott Veränderung bewirken kann, hat mich innerlich ruhiger gemacht. Es war die Hoffnung: Es gibt eine Lösung auch für diesen Konflikt. Es gibt eine Lösung, auch wenn ich sie nicht sehen kann. Ich bin erschöpft, aber Gottes Möglichkeiten sind noch lange nicht am Ende.

Negative Gefühle müssen mich nicht beherrschen

Ich habe diese Hoffnung neu entdeckt, dass auch scheinbar ausweglose Situationen sich zum Guten wenden können. Dass ich selbst mich verändern kann. Meine negativen Gedanken und Gefühle müssen mich nicht beherrschen. Es gibt einen Ausweg. Diese Hoffnung gibt mir Kraft in meinem Leben.

In der Bibel erlebt ein Mann namens Paulus, dass er immer wieder an die Grenzen seiner Kraft kommt. Paulus macht zwar einen starken Eindruck auf andere und fasziniert viele Menschen. Aber sein Körper macht ihm zu schaffen.

Ein Satz gegen Pessimismus

In der Bibel wird nicht ganz klar, was Paulus hat. Aber er fühlt sich oft schwach. Er betet zu Gott, bittet ihn um Gesundheit und neue Kraft. Er beschreibt in einem Brief, wie Gott zu ihm gesagt hat: "Meine Gnade ist alles, was du brauchst! Denn gerade wenn du schwach bist, wirkt meine Kraft ganz besonders an dir."  (2. Korinther 12,9)

Für mich ist das ein Satz gegen den Pessimismus, der aufkommt, wenn ich mich ohnmächtig fühle. Das kann in persönlichen Konflikten sein. Aber auch bei den großen Problemen, von denen es zurzeit viele gibt und die die Zukunft ungewiss machen. Da erlebe ich bei mir und bei anderen den Pessimismus und das Achselzucken: "Was sollen wir denn machen? Wir können ja nicht die ganze Welt retten!"

Tun, was ich tun kann

Stimmt, das können wir nicht. Aber im Gefühl von Ohnmacht und im Pessimismus stecken bleiben können wir auch nicht. Mir hilft die Hoffnung: Es gibt Gottes Kraft in dieser Welt. Sie wirkt besonders da, wo wir auch Schwäche zulassen. Das stärkt mich zu tun, was ich tun kann.

Ich muss nicht immer stark sein. Manchmal geben mir andere neue Kraft: gute Freunde, meine Familie, ein Spaziergang durch den Wald. Dann erlebe ich, dass ich nicht alleine bin. Ich vertraue darauf, dass Gott da ist. Ich kann mich an ihn wenden. Ich kann zu ihm beten und habe die Hoffnung: Was mir zu schaffen macht, muss nicht so bleiben. Die Situation kann sich ändern. Ich kann mich ändern.

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