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Der Sommer, der Wind und die Sehnsucht

Der Sommer, der Wind und die Sehnsucht

Stefan Herok
Ein Beitrag von Stefan Herok, katholischer Pastoralreferent i.R. in der Pfarrei St. Bonifatius, Wiesbaden
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Guten Morgen und einen schönen Sonntag!

Am 21. Juni war die sogenannte Sommersonnenwende. Die Tage werden seitdem zwar schon wieder kürzer, aber der Sommer, der beginnt jetzt ja erst so richtig; besonders mit dem Ausblick auf Ferien und Urlaub irgendwann. Im Mittelpunkt meiner SonntagsGedanken steht heute ein (fast) alltägliches Naturphänomen, das doch auch ein ganz besonderes Schöpfungselement ist: der Wind! Für mich gehören der Sommer und der Wind ganz eng zusammen. Nein, nicht so sehr der Sturm. Der gehört mehr ins Frühjahr und in den Herbst.

Symbol der Sehnsucht

Warum der Wind, diese sanftere Luftbewegung zwischen Hauch und Brise für mich ganz besonders zum Sommer gehört? Weil er als Kraft so eng verknüpft erscheint mit dem vielfachen SehnsuchtsPotential, das der Sommer für uns bereithält: Freiheit und Freizeit, Erholung, Abenteuer, Liebe und Glück! Überall kann der Wind eine bewegende Rolle spielen. Damit auch – zumindest symbolisch - für fundamentalen Lebenssinn und schließlich sogar für religiöse Erfüllung. Davon will ich heute erzählen.

Allerdings kann der Wind leider auch – das dürfen wir nicht verschweigen – in all diesen Bereichen höchst zerstörerisch wirken. Diese Ambivalenz zwischen Segen und Fluch ist irgendwie allen großen Kräften eigen. Das gilt ja z.B. auch für das Wasser und für das Feuer.

Die unterschiedlichen Segler finden im sommerlichen Wind Freiheit und Abenteuer, ob zu Wasser mit Boot und Surfbrett oder in der Luft, mit Segelflugzeug und Gleitschirm. Ich kann es mir lebhaft vorstellen und habe faszinierende Berichte und Bilder vor Augen, wie fantastisch das Gefühl ist, sich dem Wind anzuvertrauen und zu überlassen. Einerlei, ob der Wind uns trägt oder antreibt…

Der Sommer und der Wind gehören zusammen

Der romantische UrlaubsAnblick alter Windmühlen ist inzwischen vielfach der gigantischen Erscheinung riesiger Windräder gewichen, die in mir - aus der Nähe betrachtet - gleichzeitig Bewunderung wie ein bisschen Furcht gegenüber modernster Technik wecken…

Nach zu kühlem Mai war es Ende Juni jetzt schon wieder so heiß, dass wir uns am zartesten, abkühlenden Windhauch erfreuen und in sanfter Brise Erholung suchen, auf der Haut, aber auch n der Lunge als frische Luft zum tief Durchatmen. „Zeit zum Aufatmen“ – ein tiefes Symbolwort für jede Art von Ferien. Ja, der Sommer und der Wind, sie gehören eng zusammen!

Alte Schlager erzählen vom „Sommerwind“, berühmte Popsongs vom „Wind of change“, dem „Wind des Wandels“, aber auch davon, dass das ganze Leben nur „aufgewirbelter Staub sein“: „Dust in the wind“… In einen weiteren WindSong hören wir mal kurz hinein:

Wo ich lande, weiß nur Gott

„Ich horche auf den Wind meiner Seele“, singt Cat Stevens und „wo ich damit lande, weiß nur Gott.“ Was mag das für ein Wind sein? Ein „Wind des positiven Wandels“ oder ein „Alles-ist-Staub-Wind“?

Ja, der Wind kann schon auch schnell zur Metapher für Verlust werden, wenn er schöne Dinge von uns fortreißt, uns die „raueren“ Seiten des Lebens zeigt und die Vergänglichkeit des Glücks. Die Sänger der Gruppe Kansas haben mit ihrem berühmten Song „Dust in the wind“ ein Motiv aus dem alttestamentlichen Buch Kohelet aufgegriffen: Alles Leben ist Windhauch und vergeht so schnell…

Aber die Bibel versteht den Wind gleichzeitig auch sehr positiv als ein „Fortbewegungsmittel Gottes“! Davon lesen wir im Psalm 104:

Gott – auf den Flügeln des Windes

HERR, mein Gott, überaus groß bist du! … Du nimmst dir die Wolken zum Wagen, du fährst einher auf den Flügeln des Windes. Du machst die Winde zu deinen Boten…“

Und in der biblischen Geschichte vom Propheten Elija (1 Kön 19,9-16) hören wir ebenfalls, wie Gott ihm – nicht im Sturm, nicht im Feuer oder Erdbeben, nein - im sanften Säuseln des Windes erscheint und einen prophetischen Auftrag erteilt…

Was für eine wunderbare Art von Gottesbegegnung. Manchmal, in meinem Garten oder im Wald, wenn ein leiser Windhauch die Blätter wispern, rauschen und flüstern lässt, dann lausche ich, ob der Himmel mir vielleicht etwas sagen will – es könnte ja Gott sein – im „Wind meiner Seele…“

„Wie eine Feder im Windhauch Gottes“

Eine meiner LieblingsHeiligen, Hildegard von Bingen, die zarte Powerfrau aus dem Rheingau des 12. Jahrhunderts, die große Gelehrte der „Grünkraft“ und der heilsamen Naturmittel, die Nonne, bei der Kaiser und Päpste Rat suchten, sie beschreibt ihre Lebensenergie ebenfalls im Rückgriff auf den Wind als göttliches Symbol:

Hildegard liebte es, von sich selbst als einer „Feder im Windhauch Gottes“ zu sprechen. Federleicht wollte sie sein, ganz vom Geist Gottes getragen und geführt. Damit ist nicht zielloses Umherschweifen oder hilfloses Hin- und Hergeworfensein in den Stürmen des Lebens gemeint, eben nicht „vom Winde verweht“, sondern die menschliche Beweglichkeit und Verfügbarkeit für den Willen Gottes: Er will uns tragen, uns Antrieb geben und Kraft für alles, was der Himmel durch uns Menschen auf der Erde wirken will.

So schreibt sie: „Ein Windhauch blies von einem hohen Berg und brachte mit seinem Wehen eine kleine Feder in Bewegung, die aus sich selbst keinerlei Fähigkeit zum Fliegen besaß, sondern diese nur durch den Wind empfing. Zweifellos veranlasste dies der allmächtige Gott, um zu zeigen, was er, durch ein Wesen, das aus sich selbst heraus nichts vermag, zu bewirken im Stande ist.“ (Hildegard von Bingen)

Frei von aller Schwere und vom Winde getragen

Das möchte ich Ihnen wünschen für diesen Sommer:

Der Wind möge Sie tragen, wohin ihre Sehnsucht auch immer fliegen mag.
Der Wind möge Sie auf- und durchatmen lassen, wovon auch immer Sie Erholung suchen.
Der Wind möge Ihren Geist, Ihren Mut und Ihre Entschlusskraft antreiben,
wofür auch immer Sie sich Aufbruch und eben „frischen Wind“ wünschen!

Schließlich inspiriert mich ein Bekannter mit seinen immer wieder faszinierenden SocialMediaPosts vom Gleitschirmfliegen. Wenn es so erhebend ist, sich dem Wind anzuvertrauen, in ihm zu schweben und sich von ihm tragen zu lassen, dann möchte ich uns allen „sommerliche Flugversuche“ wünschen als „Feder im Windhauch Gottes“: „Ich strecke meine Hände zu Gott aus“, singt Hildegard von Bingen, „dass er mich halte, so wie die Feder fliegt, frei von aller Schwere und vom Winde getragen.“ (Hildegard-Musik Virga)

Und dabei dann auf den „Wind unserer Seele“ hören…

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