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"In meinem Geldbeutel steckt ein ganzes Leben"
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"In meinem Geldbeutel steckt ein ganzes Leben"

Jens Haupt
Ein Beitrag von Jens Haupt, Evangelischer Pfarrer, Kassel
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Sonntags brauche ich es nicht so oft, mein Portemonnaie. Da liegt es sichtbar auf der Kommode und kommt höchstens mit, wenn ich Brötchen hole oder Essen gehe. Oder in die Kirche für meine Spende in den Klingelbeutel.

In einem Portemonnaie stecken viele wichtige und unwichtige Dinge

Mein Portemonnaie ist eigentlich zu dick. So dick, dass ich es nicht wie früher in die hintere Hosentasche stecken kann, ohne unmöglich auszusehen. Mit der Zeit sammelt sich in einem Geldbeutel so manches an. Am wenigsten ist es Geld, das es anschwellen lässt. Es sind die anderen wichtigen oder unwichtigen Dinge, die ich mit mir herumtrage. Es ist Sonntag und ich nehme mir die Zeit, mal nachzusehen, was da alles drinsteckt. Was wichtig ist und was unwichtig. Es sagt etwas über meinen Alltag, was ich im Portemonnaie mit mir rumtrage. Und was mir wertvoll ist im Leben, für was ich mein Geld einsetze. Über meine Werte.

An der Kasse muss es schnell gehen

Ich sehe Papiere, die aus dem Geldscheinfach rausgucken, unordentlich reingestopft. Quittungen, hektisch gedrückt, weil es an der Kasse schnell gehen musste. Ich räume meine Sachen aufs Band, verstaue sie dann rasch zurück in den Einkaufswagen, die Karte aufs Lesegerät, die Geheimnummer und dann der Kassenzettel: Ja, Danke, nehme ich mit. Dabei schaue ich da fast nie drauf. Ich vertraue einfach, dass es stimmt. Nur schnell den Platz freimachen für den nächsten Kunden. Ordentlich einpacken muss ich woanders. Ich habe mich an diese Hektik gewöhnt und bin ein Teil davon.

Tief durchatmen und sich in Geduld üben

Wenn ein älterer Herr vor mir mühsam das Kleingeld herauskramt, um Cent genau zu zahlen… Ich atme dann tief durch und denke an meinen eigenen alten Vater, der noch nicht einmal mehr zählen konnte, sondern das Portemonnaie mit dem Kleingeld einfach der Verkäuferin hinhielt, damit sie den fälligen Betrag herausnimmt. Und ich atme nochmal tief durch und frage mich, wann ich wohl so an einer Kasse stehe und man hinter mir ungeduldig tief Luft holt. Gerate ich dann so durcheinander wie der ältere Herr vor mir? Nur statt mit Kleingeld mit den vielen Karten und den Geheimzahlen, die man braucht?

Werde ich im Alter an der Kasse auch so lange brauchen?

Das verbirgt sich hinter den Kassenbelegen in meinem Geldbeutel: Etwas von meiner Haltung zu anderen. Wie ich auf Menschen reagiere, die nicht schnell mitkommen oder nicht mehr. Ich frage mich, wie es mir selbst mal im Alter gehen wird. Ich hoffe, mir begegnen Menschen mit Geduld und warmem Herzen. Und ich schaue weiter, was noch alles in meinem Geldbeutel steckt.

Quittungen und andere Zettel

Hinter den Kassenbelegen aus dem Supermarkt sind in meinem Geldbeutel noch andere Zettel. Sie sind wichtig, weil ich sie noch brauchen könnte. Die einen sind Quittungen, die ich aufhebe wegen der Garantie. Ich darf damit Dinge umtauschen oder zurückgeben. Ich kann mich darauf verlassen, nicht übers Ohr gehauen zu werden. Ich kaufe und vertraue darauf, dass es das Geld wert ist, das ich ausgegeben habe. Es ist so alltäglich, so selbstverständlich geworden, dass es beim Kaufen und Verkaufen ehrlich zugeht. Es könnte ja auch ganz anders sein, denke ich manchmal.

In meinem Geldbeutel steckt viel alltägliches Leben, das mich mit anderen verbindet

Andere wichtige Zettelchen sind Abholscheine. Ich habe Dinge weggegeben, die repariert oder die gereinigt werden. Oder ich hole Sachen damit ab, die ich im Geschäft bestellt habe. Andere Menschen sorgen dafür, dass ich die Dinge bekomme, die mir wichtig sind. Der Abholschein aus der Reinigung für den Anzug, den ich zum nächsten Familienfest anziehen will. Die alten Schuhe, die neu besohlt werden. Welche Wege bin ich mit ihnen schon gegangen? Auch wenn ihr Leder runzlig geworden ist, ich hänge an ihnen und möchte sie repariert wiederhaben. Und das Rezept für meine Medikamente aus der Apotheke. Wie es mir wohl ginge, wenn ich sie nicht mehr bekäme? Allein diese Zettelchen machen mich dankbar für die vielen Menschen, die mir das Leben erleichtern, für mich arbeiten, manche auch heute am Sonntag. In meinem Geldbeutel steckt viel alltägliches Leben, das mich mit anderen verbindet.

Geld für meine Arbeit

Und in meinem Geldbeutel steckt natürlich auch Geld. Münzen und Scheine. Geld, für das ich gearbeitet habe. Manchmal genervt, wenn mich bei der Arbeit jemand ärgert oder ausbremst. Dann habe ich das Gefühl, für das Geld schwer geschuftet zu haben. Es gibt aber auch Zeiten, in denen ich sehr froh bin, dass das Geld auf mein Konto kommt, auch wenn ich mal nicht in Hochform bin oder krank werde. Ich überlege: Was tut mir gut in meiner Arbeit? Warum bin ich dabei? Es sind zwar auch die Geldscheine im Portemonnaie, aber nicht nur. Es sind meine Kolleginnen und Kollegen, auch der Chef und natürlich einige Menschen, die mir bei der Arbeit begegnen. Und dass ich gern meine Arbeit erledige. Sie gibt mir einen Sinn.

Münzen für Trinkgeld

Ich habe in meinem Geldbeutel nach wie vor Münzen -  Bares fürs Trinkgeld. Meistens krame ich nach dem Trinkgeld und stelle mir beim Suchen die Frage: Was ist angemessen? Was ist peinlich? Ich weiß ja, dass in Cafés und Restaurants Trinkgeld erwartet wird. Und dass es notwendig ist für eine einigermaßen faire Entlohnung.

Bargeld hat etwas Persönliches

So manches Geldstück landet auch bei Menschen, die mich auf der Straße um ein paar Euro bitten oder mir eine Obdachlosenzeitung verkaufen wollen. Auch hier überlege ich: Was ist zu wenig, was ist zu viel? Bargeld hat etwas Persönliches. Man schaut den anderen an, wenn man gibt. Der eine bedankt sich, die andere schenkt vielleicht noch ein Lächeln oder ein „Schönen Tag noch“ dazu. Einfach so ein Geldstück hinwerfen und weitergehen – eher nicht so das Wahre. Für beide Seiten ist es schöner, wenn ein kurzer Kontakt entsteht.

"Für mich steckt im Portemonnaie viel Grund zur Dankbarkeit"

So liegt der Geldbeutel vor mir, mit Münzen, Zettelchen, Scheinen und Karten. Dinge meines Lebens und meines Alltags mitten in der Welt. Und das alles in so einem überschaubaren Gegenstand. Für mich steckt im Portemonnaie viel Grund zur Dankbarkeit. Ich kann damit für mich sorgen. Ich kann teilen, wenn ich will, ich kann sparen, wenn es geht und nötig wird. Geld nimmt den wenigsten Raum im Portemonnaie ein. Es ist mein Alltagsbegleiter. Ich muss es die meiste Zeit bei mir haben. Ich darf es nicht verlieren. Es steckt so viel Wichtiges darin. Heute am Sonntag ist es gut, mir Zeit zu nehmen, mein Leben anzuschauen in all den kleinen Dingen, die ich im Portemonnaie habe, nachdenklich und dankbar.

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