ARD Himmelfahrtsgottesdienst
Predigt und Glaubenszeugnisse von Frère Alois, Julia Piretzis, Sandra Hofmann und Ambote Luzolo
zum Ökumenischer Gottesdienst zu Christi Himmelfahrt 2021 und zum 3. Ökumenischen Kirchentag aus Frankfurt am Main
Der Hessische Rundfunk überträgt für das Erste aus Frankfurt am Main live einen Ökumenischen Gottesdienst zu Christi Himmelfahrt am Donnerstag, den 13. Mai 2021 von 10.00 - 11.00 Uhr. Alle Informationen zum Gottesdienst und zu den Mitwirkenden finden Sie hier.
Predigt von Frère Alois, Prior der Gemeinschaft von Taizé
Es gilt das gesprochene Wort
Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
Wir feiern heute Himmelfahrt. Gott hat Jesus bei sich aufgenommen. Das klingt nach einem guten Ende. Aber die Jünger und Jüngerinnen fühlen sich von Jesus verlassen. Sie sind enttäuscht. Ihre Erwartungen an Jesus haben sich nicht erfüllt.
Ein unerwartetes Licht
Erst allmählich begreifen sie: Auch, wenn sie Jesus nicht mehr sehen – er ist wirklich unter ihnen. Damit tut sich ein neuer Horizont auf. Mit der Auferweckung Jesu hat sich Gott auf die Seite der Gedemütigten gestellt. Die Liebe Gottes ist stärker als Hass, Gewalt und Tod. Die Armen der Erde können aufstehen und jubeln. Ein unerwartetes Licht erstrahlt.
Licht in der Versöhnungskirche in Taizé
Zu diesem Fest kommen zu uns nach Taizé in Burgund in normalen Zeiten an die zweitausend Jugendliche. In unserer Versöhnungskirche singen wir und geben uns mit kleinen Kerzen das Licht der Auferstehung weiter.
Wo ist Gott jetzt?
Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder, auch wenn sie heute alleine vor dem Bildschirm sitzen, der Glaube an die Auferstehung Jesu verbindet uns. Doch vielleicht geht es Ihnen wie mir, ich denke in diesem Moment auch an Menschen, denen dieser Glaube nicht leichtfällt. Oft stellen mir Jugendliche in Taizé Fragen wie: „Was bedeutet es für mich, dass Jesus von den Toten auferstanden ist? Warum greift Gott nicht ein, wenn Menschen leiden, und wenn alles zerbricht, was mir Sicherheit gibt?“ Solche Fragen werden in der Pandemie noch stärker.
Ein neuer Aufbruch
Unser Glaube gibt uns keine einfachen Antworten. Aber er lädt ein zu vertrauen, dass Christus auch in schweren Zeiten bei uns ist. Das gibt mir die Hoffnung, dass wir aus der Erfahrung der Pandemie lernen. Wir wollen geschwisterlich zusammenleben, auf eine neue Weise miteinander teilen und noch entschiedener für unsere Erde Sorge tragen. Die Zeit ist da für einen neuen Aufbruch.
Missbrauch hat Vertrauen zerstört
Als Kirchen wollen wir dazu beitragen. Doch viele sagen zu Recht: Eure Botschaft der Liebe ist unglaubwürdig! Missbrauch hat viel Vertrauen zerstört. Und es braucht Mut, um Licht in dieses Dunkel zu bringen.
Strukturveränderungen sind nötig
Auch wir Brüder in Taizé stehen vor dieser Herausforderung. In Gesprächen mit Überlebenden von Missbrauch ist uns klargeworden: Heilung ist nur möglich, wenn wir zugeben, was geschehen ist. Wenn wir Verantwortung übernehmen und alles daransetzen, dass die Stimmen der Opfer gehört werden, dass die Opfer auch juristisch Recht bekommen und in Zukunft niemand mehr solches Leid erfährt. Dazu ist in unseren Kirchen eine tiefe Erneuerung notwendig. Strukturveränderungen sind unerlässlich.
Auch geistlich neu werden
Um in der Gesellschaft und in unseren Kirchen neu aufzubrechen, braucht es ebenso eine tiefe geistliche Erneuerung. Dazu möchte ich jetzt gleich nach der Musik etwas sagen.
Musik SoulTrain, Ltg. Peter Hamburger
Auf der Suche nach dem, was trägt
Viele Jugendliche suchen ein geistliches Leben, das sie trägt. Sie erleben in Taizé, wie wichtig es ist, immer wieder innezuhalten. Und es stimmt: Wo ich auch gerade bin, ich kann mich in jedem Augenblick Christus zuwenden. Der Auferstandene ist immer da.
Zweifeln macht hellhörig
Zweifel können bleiben. Der Glaube ist nicht so sehr ein Besitz von Gewissheiten; er ist zuallererst ein Unterwegssein in Hoffnung. Er macht uns offen für andere. Hellhöriger für die Menschen und Ereignisse in unserer Umgebung und in der Welt.
Jetzt auf die Zeit nach der Pandemie vorbereiten
Die Pandemie erlegt uns schmerzliche Grenzen auf, aber wir können uns schon jetzt darauf vorbereiten, in Zukunft offener auf andere Menschen zuzugehen. Auch auf Menschen, die wir spontan nicht ansprechen würden: zum Beispiel Migranten, die vielleicht ganz in der Nähe wohnen. Gerade haben wir gehört, wie Julia, Sandra und Ambote das in ihrem Leben verwirklichen – offen auf andere zuzugehen. Das ermutigt uns.
Gemeinsam essen
Vor kurzem besuchte uns in Taizé eine Pfarrerin aus der Umgebung. Sie erzählte, wie sie in der Zeit vor dem letzten Lockdown ihren Gemeindemitgliedern vorschlagen hatte, sich einmal in der Woche in kleinen Gruppen zu einem einfachen Essen zu treffen und dabei über ihr Leben und den Glauben zu sprechen.
Kirche ist Weggemeinschaft
Das ist nichts Spektakuläres. Vielleicht würde der eine oder die andere von Ihnen auch gerne so etwas tun, sobald das wieder möglich ist. Kirche ist lebendige Gemeinschaft. Sie lebt im gemeinsamen Gottesdienst und im Miteinanderteilen des Alltags. Sie ist Weggemeinschaft.
Skandal der Spaltung überwinden
Eine solche Weggemeinschaft können wir in unseren Kirchengemeinden und in kleinen Gruppen leben. Diese Weggemeinschaft gewinnt, wenn sich Christen und Christinnen aus verschiedenen Konfessionen zusammentun. Eine geistliche Erneuerung unserer Kirchen kommt nur gemeinsam voran. Wir können die Vielfalt unter uns Christen als Geschenk annehmen. Was nicht ausschließt, dass wir manchmal einander einfach geduldig ertragen müssen. Auf keinen Fall dürfen wir uns mit dem Skandal unserer Spaltungen abfinden! Unsere Kirchen können noch nicht alle Glaubensschätze miteinander teilen. Aber Christus ist nicht geteilt. Er ist unsere Einheit. Nur wenn wir öfter im gemeinsamen Gebet zusammenkommen, können wir unsere Einheit in Vielfalt auch glaubhaft leben.
Christinnen und Christen kommen gemeinsam voran
Das ist möglich. In Taizé kommen Tag für Tag Menschen verschiedener Konfessionen, Sprachen, Länder und Kulturen vor Gott zusammen. Wenn wir gemeinsam auf die Schrift hören, Gott loben und einen langen Moment Stille halten, macht uns der Heilige Geist bereits zu einer lebendigen Gemeinschaft.
Wo die Liebe ist, da ist Gott
Wir singen gern diese alten Worte: „Ubi caritas et amor, Deus ibi est.“ – „Wo die Liebe ist, da ist Gott.“ So vieles, was Menschen für andere tun, ist ein lebendiges Zeichen der Liebe Gottes. Schauen wir hin! Auch in unseren manchmal so schweren Tagen ist das Reich Gottes schon unter uns. Amen.
Drei Frankfurter Frauen erzählen von ihren Erfahrungen
Sarah Vecera
Jesus sagt an Himmelfahrt: Erzählt den Menschen von mir! Erzählt von Gottes Liebe zu den Menschen. Wir kommen seit über einem Jahr immer wieder an unsere eigenen Grenzen. Mir tut es da gut, Hoffnungsgeschichten zu hören. Von Menschen, die mir erzählen, wo sie in all den Herausforderungen im Leben trotzdem ein Stück Himmel gesehen haben. Wo sie Gottes Liebe gespürt haben und erlebt haben, wie sich Himmel und Erde berühren.
Drei Frauen aus Frankfurt haben in ihrem Beruf und Ehrenamt erlebt, wie sie Grenzen überwinden können. Sie erzählen uns jetzt von ihren Erfahrungen. Von Momenten, in denen der Himmel die Erde berührt.
Julia Piretzis
Ich bin Seelsorgerin. Hier an der Jugend-Kultur-Kirche in Frankfurt am Main. Ich begegne jungen Menschen online. Sie schreiben mir Emails, anonym und sicher. Und ich antworte ihnen. Gemeinsam schauen wir: Was braucht es, damit es dir gerade gut geht.
Da ist ein junger Mensch, der sehr traurig ist über ein verstorbenes Haustier. Eine andere, die wütend und enttäuscht ist wegen eines Streits mit der besten Freundin. Probleme in der Schule.
Oder die Familie macht Kummer. Streit mit Eltern oder Geschwistern. Vielleicht auch die Trennung der Eltern. Oder die Sorge, was wird aus meiner Zukunft. Bin ich okay, so wie ich bin. Wie finde ich meinen Platz in einer Welt, die gerade in einer Pandemie steckt.
Manche Probleme gehen an die Grenze des Lebens. Manchmal schreiben mir Menschen von selbst verletzendem Verhalten. Auch Suizid kommt zur Sprache. Es macht einen Unterschied, ob ich da bin oder nicht. Manchmal braucht es nur ein Wort. Wenn jemand wieder neuen Mut fasst, freu ich mich.
Ein anderes Mal hilft es schon, sich die Sorgen von der Seele zu schreiben. Zu wissen: Da ist jemand, die liest es und hat ein offenes Ohr. Die gemeinsam mit einem überlegt. Auch im Netz gilt: Ich sehe ich dich und ich höre dir zu. Ich gehe mit dir. Niemand muss allein gehen. Wir gehen ein Stück des Wegs gemeinsam.
Sandra Hofmann
Ich arbeite als Krankenpflegerin auf der COVID-Station im Frankfurter Markus-Krankenhaus. Die Pandemie zwingt uns alle, Abstand zu halten. Auf Distanz zu gehen. Auf der COVID-Station erleben wir diese Distanz besonders schmerzlich. Unsere Patientinnen und Patienten sind sehr einsam. Sie dürfen keinen Besuch bekommen aus der Familie oder dem Freundeskreis. Viele sehnen sich nach Nähe.
An einem hektischen Arbeitstag auf unserer Station bin blieb ich für einen Moment stehengeblieben und hab innegehalten. Ich habe‘ mich umgeschaut und mich gefragt: Was bringt uns dazu, was motiviert uns, um hier in diesem Wahnsinn durchzuhalten? In dem Moment kam meine Kollegin auf mich zu. Über ihrer Maske konnte ich ihre lachenden Augen sehen. Sie kicherte. Sie kam gerade aus einem Patientenzimmer. Aus dem war herzliches Lachen zu hören. Die Patienten haben sich und meinen Kolleginnen ihre täglichen Witze erzählt. Neben Trübsal und Stress ist eben auch Lachen bei uns an der Tagesordnung. Ja, das ist es! Dieses Lachen motiviert mich durchzuhalten. In diesen Momenten aus Freude und Heiterkeit spüre ich: Wir können unseren Patienten Nähe geben. Wir können für einen kurzen Moment die Einsamkeit durchbrechen. Trotz aller Distanz. Auch durch Schutzkleidung und Masken hindurch schenken wir ihnen Hoffnung, nach vorne zu blicken.
Ambote Luzolo
Als ich als Studentin nach Deutschland kam, hab‘ ich zum ersten Mal erlebt, wie es ist, fremd zu sein. Plötzlich war für mich alles neu und unbekannt: die Menschen, die Kultur und die Sprache. Ich hab‘ mich einsam gefühlt. Ich hab‘ die Blicke der anderen auf mir gespürt, immer und überall.
Es wurde auch nicht besser, als ich das erste Mal einen Gottesdienst in Deutschland besucht habe. Es war ganz anders, als ich es aus meiner Heimat kannte: der Gesang war weniger fröhlich und nach dem Gottesdienst sind alle Leute direkt nach Hause geeilt. Ich wollte nie wieder hin! In der Kirche, an dem Ort, an dem ich mich doch eigentlich zuhause fühlen sollte, hab ich mich noch fremder gefühlt als wo anders. Ich war so traurig darüber, dass ich einige Jahre nicht mehr in die Kirche gegangen bin.
Mit der Zeit hab ich dann die Kultur kennengelernt und durch mein Studium auch die Sprache beherrscht. Ich konnte mich mit anderen Leuten austauschen. Ich hab Fragen gestellt und Antworten bekommen.
Heute bin ich Kirchenälteste, also Teil der Gemeindeleitung einer reformierten Gemeinde hier in Frankfurt. Ich setze mich dafür ein, dass auch Menschen aus anderen Kulturen sich bei uns willkommen fühlen. Dass wir die Vielfalt als Bereicherung erleben und merken: gemeinsam, mit Gottes Wort, können wir ein Haus werden. Mit wachen Augen und offenen Herzen für die Menschen um uns herum.