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Wohnungslos
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Wohnungslos

Christine Findeis-Dorn
Ein Beitrag von Christine Findeis-Dorn, Supervisorin/Coach DGSv, Wiesbaden, katholisch
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Zitternd sitzt er auf der Bank – ein Mann wohl in den Dreißigern, dick eingepackt, mit einer Plastiktüte neben sich. Ich komme gerade vom Frisör und bummle noch ein wenig durch die Mainzer Altstadt, ausnahmsweise nicht in Eile. Friert er nur oder ist er krank, frage ich mich und spreche ihn an.

Mit mir spricht sonst niemand

„Ist alles in Ordnung mit Ihnen, brauchen Sie Hilfe?“ Er schaut mich an: „Nein, alles gut, nur ein bisschen kalt.“ „Darf ich Ihnen ein warmes Getränk spendieren, einen Kaffee oder Kakao?“ frage ich weiter. „Das überfordert mich jetzt“, antwortet er. „Mit mir spricht sonst niemand. Aber gern einen Kaffee. Mit Zucker bitte.“

Er hat ein ziemlich bewegtes Leben hinter sich

So beginnt unser Gespräch, mit Kaffee und einem Brötchen auf der kalten Bank, mit Blick auf den Dom St. Martin. In einer guten halben Stunde erfahre ich einiges aus dem Leben des jungen Mannes.

Er hat schon ein ziemlich bewegtes Leben hinter sich, mit vielen Höhen und Tiefen, Chancen und verpassten Gelegenheiten. Seit fünf Jahren ist er wohnungslos und schlägt sich durch, allein. „Warum versuchen Sie nicht, in einer Unterkunft für Wohnungslose einen Schlafplatz zu bekommen, wenigstens bei dieser Kälte?“ frage ich ihn. „Weil mir dort alles geklaut wird, auch meine Decke, und die brauche ich“, antwortet er, nicht bitter, fast sachlich.

Wenn ich hier sitze, bin ich in Frieden mit mir

Ich schlucke und verkneife mir weitere Ratschläge auf Hilfsangebote – die kennt er schon alle. Ich bin traurig und empört, dass in unserem Land Menschen auf der Straße leben müssen.

Dieser Mann erklärt mir: „Wissen Sie, wenn ich hier so sitze, dann bin ich in einem Frieden, den ich sonst nicht hatte. Ich glaube ja, dass Gott noch etwas mit mir vorhat.“

Der Kaffee ist leer, wir verabschieden uns. Die ganze Aktion hat mich ein paar Euro und eine halbe Stunde Zeit gekostet. „Mit mir spricht sonst niemand.“ Dieser Satz hallt in mir nach. Und wenigstens daran kann ich in Zukunft etwas ändern.

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