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Schenke mir ein hörendes Herz
GettyImages/Oksana Oliynyk

Schenke mir ein hörendes Herz

Ein Beitrag von Dr. Christine Lungershausen, Evangelische Pfarrerin, Eschborn
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In vielen Städten gab es in den letzten Monaten Kundgebungen für Demokratie und Vielfalt, gegen Hass und Rechtsextremismus. Auch in meiner Nachbarschaft hat die Evangelische Kirche gemeinsam mit der Katholischen, mit der Stadt und dem jüdischen Zentrum dazu aufgerufen. Auch muslimische Gruppierungen und politische Parteien waren dabei.

Welche Rolle Religion für das Zusammenleben haben kann

Ich frage mich: Welche positive Rolle kann Religion dabei spielen, sich für Demokratie und friedliches Zusammenleben einzusetzen? Denn natürlich gibt es auch zerstörerische religiöse Traditionen: Religiöser Einfluss kann Menschen manipulieren und Demokratie gefährden. Doch ich weiß genauso: Religion kann auch positiv etwas beitragen zur Demokratie.

Ein junger König hat einen Wunsch frei

Etwas Gutes und Wichtiges habe ich gefunden bei König Salomo, einem jungen Herrscher, von dem in der Bibel die Rede ist. Damals gab es Könige und Herrscher, keine Demokratie. Doch Salomo hat etwas in seinem Glauben erfahren, was heute der Demokratie helfen kann.  

Gutes vom Bösen unterscheiden können

Salomo tritt als junger Mann sein wichtiges Amt an. Dabei lasten hohe Erwartungen auf ihm. Da erscheint ihm im Traum Gott selbst und fordert ihn auf: Sprich eine Bitte aus, die ich Dir gewähren soll. Und der junge König Salomo wünscht sich: Verleih mir ein hörendes Herz, damit ich das Gute vom Bösen unterscheiden kann (nach 1 Könige 3,9). Er wünscht sich ein hörendes Herz. Er ahnt: Wenn ich zuhöre, werden nachher auch andere auf mich hören. Weise werde ich, wenn ich erst zuhöre. Und erst dann selbst spreche.

Übungsraum fürs Hören: Religion

Solches Hören ist nicht häufig zu finden. Wirklich zuhören erfordert Zeit. Eingeübt aber wird es in den Religionen. Religiöse Menschen versuchen zuzuhören. Hören ist wichtig im jüdisch-christlichen Glauben, ebenso wie in Islam und anderen Religionen. Es gibt es einen Grund der menschlichen Existenz, auf den ich hören kann. Gott hat die Menschen ins Leben gerufen. Und Menschen hören auf Gottes Ruf und antworten mit ihrem Leben.

Auch beim Diskutieren in der Politik: Erst mal zuhören

Ich glaube: Solche hörenden Herzen helfen heute auch dem Zusammenleben. Auch ganz nah auf Orts-Ebene. Bei uns diskutieren die Bürgerinnen und Bürger zum Beispiel über neue Fahrradwege. Jede hat da ihre Bedürfnisse und ihre Position, je nachdem, wie sie sich durch den Stadtraum bewegt. Für mich als Fahrradfahrerin gibt es keine durchgehenden Wege, das nervt mich, es ist, als solle ich mich zeitweise in Luft auslösen. In meinem Ärger hilft es mir, der Seniorin zuzuhören, die sich einen sicheren Gehweg wünscht – ohne dass ich da als Radfahrerin über ihre Wege flitze.

Respekt vor denen, die nicht laut sind

Zuhören ist dabei etwas Anderes, als jemanden überzeugen zu wollen. Wenn ich zuhöre, kann auch rauskommen: Ich werde überzeugt. Ich folge der Meinung, die ich gerade gehört habe. Weil mich die besseren Argumente überzeugt haben. Oder ich denke mich in Menschen hinein, die nicht lautstark an der Debatte teilnehmen: Ein Vater mit Kinderwagen vielleicht oder die Frau vom Paketdienst, die für ihren Lieferwagen keine Halteplätze findet. Ein hörendes Herz könnte auch auf die hören, die keine laute Mehrheit in einer Diskussion haben. Für das Zusammenleben mit Respekt ist das ein wichtiger Beitrag von religiöser Tradition: Sie lehrt, wie wir mit hörendem Herzen zuhören.

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