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Ein besonderer Trost
Bild: medio.tv / Schauderna

Ein besonderer Trost

Carmen Jelinek
Ein Beitrag von Carmen Jelinek, Evangelische Dekanin, Kirchenkreis Kaufungen
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Unter den vielen weißen Köpfen im Seniorenheim entdecke ich einen mit einer großen rosa Strähne. Er gehört einer über achtzigjährigen Bewohnerin. Ich wundere mich, warum sie sich für diese Farbe entschieden hat. Ganz schön mutig. Als ich sie näher kennenlerne, erzählt sie mir von ihrem Schlaganfall und oft sei ihr zum Weinen zumute. Das mag an der Krankheit liegen.

Trauer über das Zurückgelassene

Aber sie ist auch oft traurig darüber, dass ihr bisheriges Leben einfach wie abgeschnitten ist. Sie erzählt von ihrem schönen Haus, dem Garten, dass sie so gern gekocht und gebacken hat. All das musste sie zurücklassen wegen ihrer Erkrankung. 

„Mit einem Mal musste ich wegen jeder Kleinigkeit um Hilfe bitten. Das war schwer und ist es auch noch."  

Ihre rosa Haarsträhne  

Irgendwann traue ich mich, sie auf ihre rosa Haarsträhne anzusprechen. „Gefällt sie Ihnen?“ fragt sie mich zurück. 

„Ja, sie ist etwas Besonderes“ antworte ich.
„Meine Enkelin hat sie mir gemacht. Früher habe ich mir selbst manchmal eine verrückte Strähne gefärbt. Nicht ganz so ausgefallen!“ 

Die Haarsträhne stimmt sie fröhlich

„Ein bisschen schrill, oder? Ich komme mir damit manchmal wie ein Paradiesvogel vor. Was soll’s! Das gefällt mir sogar. Ich schaue mich an, und das stimmt mich fröhlich. Ich fühle mich gleich viel jünger und denke, welchen Spaß ich schon in meinem Leben hatte. Für einen Augenblick vergesse ich die Krankheit.“ 

Ich antworte: „Mir gefällt, dass diese einzigartige rosa Strähne Sie an Ihre Lebensfreude erinnert.“ 

„Ja, ich brauche die Farbe, sagt sie. Sie erinnert mich daran, niemals zu verzagen oder aufzugeben.“

Die Haarsträhne schenkt einen neuen Blick

Mich beeindruckt, dass ihr eine rosa Haarsträhne Trost spendet. Diese Strähne hebt die Krankheit der Frau nicht auf, aber sie lässt das Leiden daran für Augenblicke vergessen. Sie schenkt einen anderen Blick, eine neue Perspektive. 

In den nächsten Tagen kommt die Frau auch mit anderen Menschen zusammen, die das bisschen Farbe lustig finden und erzählen, was sie schon alles ausprobiert haben, um etwas aufzufallen oder sich von ihrer Stimmung abzulenken. Gute Gespräche entwickeln sich.

Blickwechsel können zeitweise trösten

Beim nächsten Besuch fällt mir auf, wie getröstet sie wirkt. Erhobenen Hauptes sitzt sie jetzt oft am Eingang der Einrichtung. Irgendwie spürt sie, was Menschen, die hier ankommen, brauchen.

Ich habe gelernt: Trösten bedeutet nicht einem anderen den Schmerz und die Trauer wegzureden. Beides hat sein Recht. 

Aber ein Wechsel der Blickrichtung und eine Ablenkung von den dunklen Farben des Lebens schenken zeitweise Trost. 

Es gibt Möglichkeiten, nicht nur auf den Schmerz zuschauen. Auch für uns in ähnlich schmerzlichen Situationen. Nach ihnen möchte ich Ausschau halten für mich und andere. 

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