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Von Schafen und Hirten
Bild: Beate Hirt

Von Schafen und Hirten

Beate Hirt
Ein Beitrag von Beate Hirt, Senderbeauftragte der katholischen Kirche beim hr, Frankfurt
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Jetzt im Frühling kann man sie manchmal wieder auf den Wiesen sehen: Schafsherden mit jungen Lämmern. Und diese Lämmer: Die stehen für mich wie kaum etwas anderes für die Freude am Frühling und am neu erwachenden Leben. Sie sausen und hüpfen manchmal wie verrückt über das frische Gras, vollführen richtige Luftsprünge! Ich kann mich an so etwas kaum satt sehen.

Nachname "Hirt" und die Schafe

Ich liebe Schafe und Lämmer. Das hat natürlich auch mit meinem Namen zu tun: Ich heiße Hirt mit Nachnamen. Und über die Jahrzehnte hab ich diesen Namen immer mehr liebgewonnen. Das wissen auch Freundinnen und Freunde und schenken mir Postkarten mit Schafen oder Stoffschafe in allen Größen und Varianten. In meiner Wohnung gibt es mittlerweile schon eine ziemlich große Herde davon.

Gläubige wollen nicht wie dumme Schafe behandelt werden

Auch die Bilder und Geschichten der Bibel über Schafe und Hirten sind mir immer stärker ans Herz gewachsen. Obwohl sie ja auch nicht ganz unproblematisch sind. Manche finden sie einfach zu kitschig, zu viel Schäferromantik. Andere mögen das Bild vom Hirten und den Schafen nicht, weil darin für sie ein Machtgefälle steckt: Der Hirte, der zeigt, wo es lang geht – und die Schafe, die hinterher trotten und ein bisschen als die Dummen dastehen. In der Kirche nennen sich Pfarrer, Pastoren und Bischöfe Hirten – der Bischofsstab ähnelt einem Hirtenstab, es gibt so genannte „Hirtenworte“. Und natürlich gab und gibt es Hirten, die ihre Macht missbrauchen. Wenn die Gläubigen in der katholischen Kirche heute mehr Macht und Mitbestimmung einfordern, hat das auch damit zu tun, dass sie nicht mehr wie dumme Schafe behandelt werden wollen.

Viele Menschen schätzen die biblischen Hirten-Texte

Aber obwohl das Bild vom Hirten und den Schafen also nicht ganz unproblematisch ist: Ich mag es. Und viele weitere Menschen schätzen die biblischen Hirten-Texte. Allen voran natürlich Psalm 23. „Der Herr ist mein Hirt. Nichts wird mir fehlen.“ Es gibt immer noch ziemlich viele Menschen, die das auswendig können. Oder die den Psalm als Kind von ihrer Mutter vorgebetet bekamen. Es ist ein Text, der trösten und ermutigen kann: „Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil.“ „Denn du bist bei mir.“ Für mich ist das die schönste Botschaft dieses Gottes der Bibel: Gott ist da, an meiner Seite. In meiner Nähe. Psalm 23, der berühmteste Hirtentext der Bibel, ist unzählige Male vertont worden. Auch in unterschiedlichen Sprachen. Hier kommt eine auf Tschechisch. Aus den biblischen Liedern von Antonin Dvorak.

Musik 1: Antonin Dvorak, Psalm 23, Gott ist mein Hirte (CD: Love and Longing, Magdalena Kozená, Berliner Philharmoniker, Simon Rattle).

Der bekannte Psalm 23 schenkt Trost und Vertrauen ins Leben

Psalm 23. Viele Menschen kennen ihn, vor allem in der Übersetzung von Martin Luther. „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser.“ Bis heute wird dieses alte biblische Lied vor allem an den Übergängen des Lebens gesungen, dann, wenn es ganz besonders um Vertrauen und Trost geht – bei Taufen zum Beispiel und noch öfter: bei Beerdigungen. Auch ich habe oft erlebt, wie dieser Psalm 23 bei einer Trauerfeier tröstlich wirkt. Wie er, mitten in Trauer und Abschiednehmen, Vertrauen ins Leben schenkt.

Jesus, der gute Hirt, versorgt und beschützt seine Schafe

In dem Psalm wird eben auch rasch deutlich: Das Bild von Hirt und Schaf ist nicht einfach nur friedlich und romantisch. Da gibt es das finstre Tal, die dunklen Zeiten. Das Leben hält nicht immer nur frisches Gras und freundliche Stimmung bereit. Es ist manchmal ganz schön düster und gefährlich. Der biblische Hirte weiß das. Er steht mir zur Seite, gerade in dunklen Zeiten. Sein Stock und Stab trösten mich – auch das ist ja wenig romantisch. Stock und Stab: Damit verteidigt der Hirte seine Schafe, gegen wilde Tiere zum Beispiel. Gegen Feinde und Bedrohungen, wie es sie auch heute in jedem Leben gibt. Der Hirt steht ein für seine Herde, er riskiert dabei sogar sein Leben. Im Neuen Testament setzt sich Jesus mit diesem göttlichen Hirten gleich: „Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben hin für seine Schafe.“ (Johannes 10,11) Der Hirte – im Alten wie im Neuen Testament – ist ganz und gar fürsorglich. Er ist da für die Menschen, gerade in Zeiten von Trauer und Not. In den berühmten Worten von Psalm 23 wird das so ausgedrückt: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.“ Heinrich Schütz ist einer von vielen weiteren Komponisten, der diesen Psalm vertont hat – diesmal im Deutsch des Martin Luther.

Musik 2: Heinrich Schütz, Psalm 23, SWV 33 (CD:  Heinrich Schütz, Psalmen Davids, Kammerchor Stuttgart, Track 12, 0.00 bis 1.47).

Doch es gibt nicht nur gute Hirten

In der Bibel gibt es aber nicht nur den guten Hirten, wie er in Psalm 23 geschildert wird. Es gibt auch schlechte Hirten. Bei den alttestamentlichen Propheten werden sie scharf kritisiert. Da heißt es zum Beispiel beim Propheten Ezechiel: „Weh den Hirten Israels! Die schwachen Tiere stärkt ihr nicht, die verletzten verbindet ihr nicht, die verscheuchten holt ihr nicht zurück, und die starken misshandelt ihr.“ Gleich dreimal heißt es von ihnen: Sie weiden nur sich selbst (vgl. Ezechiel 34,2–8). Und auch Jesus spricht im Neuen Testament Weh-Rufe über solche schlechten Hirten: „Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr verschließt den Menschen das Himmelreich.“ (Matthäus 23,13) Ungewöhnlich harte Worte Jesu sind das.

Manche menschlichen Hirten sorgen nur für sich selbst

Wenn nicht Gott der Hirte ist, sondern die Menschen zu Hirten werden: Dann ist es mit der Fürsorge und Selbstlosigkeit manchmal schnell vorbei. Mancher religiöse oder politische Führer oder Chef denkt damals wie heute mehr an sich als an andere. Es geht um die eigene Karriere oder Bequemlichkeit – und weniger um das, was andere brauchen und suchen. Solche schlechten Hirten gab und gibt es immer wieder. Und manchmal verteidigen sie sich dadurch, dass sie auf die Schafe schimpfen und sie kleinmachen, statt sich an die eigene Hirtennase zu fassen. In der Bibel aber ist nie von schlechten Schafen die Rede, sondern immer nur von schlechten Hirten.

Der kleine Hirtenjunge wird König – nicht die Älteren

Trotzdem: Es gibt sie ja damals wie heute auch unter den Menschen, die guten Hirten und Hirtinnen. In der Familie, in der Firma, in der Kirche. Menschen, die für andere sorgen. Die nicht nur auf sich schauen, sondern auf andere. Menschen, die mir zur Seite stehen, wenn ich durchs finstere Tal muss. Die mich verteidigen und trösten, wenn es mir schlecht geht. Oft sind diese guten Hirtinnen und Hirten übrigens nicht diejenigen, die auf den ersten Blick besonders stark und klug und beeindruckend aussehen. Heute wie damals. Die Bibel erzählt: Einst hat man unter den Söhnen Isais einen neuen König gesucht. Aber die Älteren und Stattlicheren sollten es nicht werden. Den jüngsten Sohn wählt Gott aus – er hütete gerade Schafe auf der Weide. Der kleine Hirtenjunge wird König – König David. Als Hirtenjunge weiß er, worauf es ankommt beim Hirten-Sein. Und er orientiert sich in seinem Hirtenamt immer wieder am göttlichen Hirten. In Artur Honeggers Oratorium „König David“ singt David: „L´Eternel est mon berger“, „Der Ewige ist mein Hirte“.

Musik 3: Arthur Honegger, L´Eternel est mon Berger, aus: Arthur Honegger, Le Roi David (Track 2, 1.40 min).

Der gute Hirte sorgt für die Sicherheit und Zukunft der Schafe

Der gute Hirte der Bibel ist ein Vorbild für Fürsorge: Er kümmert sich mit Leib und Seele um seine Schafe. Aber in gewisser Weise ist er damit auch ein Vorbild für Vorsorge: Denn er sorgt sich auch um die Zukunft seiner Herde. Ihm geht es nicht um schnellen Profit, so wie den schlechten Hirten aus dem Alten Testament. Die holen nur aus den Schafen heraus, was zu holen ist. Der Prophet Ezechiel klagt: „Ihr trinkt die Milch, nehmt die Wolle für eure Kleidung und schlachtet die fetten Tiere; aber die Herde führt ihr nicht auf die Weide.“ (Ezechiel 34,3) Der gute Hirte ist anders: Er hat im Blick, dass es den Tieren gut geht. Auch morgen noch. Er schützt und pflegt seine Herde. Er verteidigt ihre Sicherheit, mit Stock und Stab, und wenn eines der Tiere verloren geht, sucht er es (vgl. Ezechiel 34,11-12). Der gute Hirte ist auf Erhalt und Bewahrung aus, auf Sicherheit, auf Zukunft.

Rasch verdientes Geld ist oft attraktiver als nachhaltiges Wirtschaften

Es klingt vielleicht etwas ungewöhnlich, aber: Für mich ist der gute Hirte damit auch ein Vorbild in Sachen Nachhaltigkeit und Schöpfungsbewahrung. Auch bei der Nachhaltigkeit ging es ja ursprünglich um kluges und langfristiges Wirtschaften: Nachhaltige Forstwirtschaft will Waldflächen so nutzen und betreuen, dass ihre biologische Vielfalt und Produktivität auch in Zukunft gesichert sind. Kurzfristiges, wenig nachhaltiges Wirtschaften bedeutet im Falle der Forstwirtschaft bis heute: Ich holze ohne Rücksicht Wald ab, um damit rasch Geld zu verdienen und selbst zu Reichtum zu kommen. Und bis heute ist das ja ein Hautproblem in allen Bereichen des weltweiten Wirtschaftens: Rasch verdientes Geld ist attraktiver als nachhaltiges, bewahrendes Wirtschaften. Deshalb werden zum Beispiel immer noch tausende Hektar Regenwald vernichtet. Und Tiere in riesigen Ställen vor allem als Produkt gesehen, weniger als Lebewesen.

Der gute Hirt ist mein Vorbild für nachhaltiges Leben

Der gute Hirte mit seiner Fürsorge und Vorsorge inspiriert mich dazu, selbst nachhaltig zu leben. Indem ich mich zum Beispiel so ernähre und kleide, dass es Tieren möglichst wenig schadet. Oder dass Wälder erhalten bleiben. Ich will, dass mein persönliches Verhalten dazu beiträgt, dass die Schöpfung bewahrt wird.

Die Hirten gehören zu den ersten, die Jesus auf der Erde willkommen heißen

Die Hirten: Auch in der Bibel sind sie schon Vorbilder und Vorreiter. Im Neuen Testament haben sie eine prominente Position: Sie sind die ersten, die – neben Maria und Josef – den Retter und Hirten Jesus Christus auf dieser Erde willkommen heißen, im Stall von Bethlehem. Im „Weihnachtsoratorium“ von Johann Sebastian Bach hört sich die Musik zu diesen Hirten so an:

Musik 4: aus: Johann Sebastian Bach: Sinfonia aus dem Weihnachtsoratorium (CD: Johann Sebastian Bach, Weihnachts-Oratorium, Gächinger Kantorei, Bach-Collegium Stuttgart, Helmuth Rilling, LC 06047, Track 10).

Unter den ersten Hirten waren auch Frauen

Man weiß es nicht ganz genau, aber es darf stark vermutet werden: Die Hirten damals auf den Feldern bei Betlehem waren nicht alle nur Männer. Es dürften auch Frauen dabei gewesen sein. So, wie das auch im Weihnachtslied klingt: „Kommet ihr Hirten, ihr Männer und Frau‘n!“ Das Lied ist bei uns in der Familie Hirt natürlich besonders beliebt. Schon in der Bibel gibt es auch Hirtinnen. Rahel zum Beispiel war eine, die Frau Jakobs. Sie wird im ersten Buch der Bibel so vorgestellt: „Während Jakob sich noch mit den Leuten am Brunnen unterhielt, war Rahel mit der Herde, die ihrem Vater gehörte, eingetroffen; denn sie war eine Hirtin.“ (Genesis 29,9) Frauen waren ja schon zuzeiten des Alten Testaments längst nicht so schwach, wie man sie sich zu späteren Zeiten gerne vorstellte. Sie konnten sehr wohl für eine große Herde sorgen, sie gegen wilde Tiere verteidigen und einzelne Schafe suchen, tragen und verbinden. All das, was ein Hirt oder eine Hirtin an anstrengender Arbeit allein auf der Weide leisten musste.

Die Bibel macht klar: Frauen sind macht- und kraftvoll

Überhaupt traut die Bibel - und auch Gott selbst - den Frauen immer wieder schwierige und entscheidende Aufgaben zu. Ganze biblische Bücher erzählen davon, Rut, Ester oder Judit. Die Bibel macht klar: Frauen sind genauso macht- und kraftvoll wie Männer. Und sie haben deshalb natürlich auch genug Kraft und Stärke, um Hirtin zu sein.

Der Hirte verteidigt seine Herde wie eine Mutter ihre Kinder

Frauen haben aber auch genug Behutsamkeit und Zärtlichkeit fürs Hirtinnen-Sein. Denn diese im klassischen Sinne eher weiblichen Eigenschaften: Sie gehören zum Hirten oder zur Hirtin der Bibel ganz selbstverständlich dazu. Der gute Hirte in Psalm 23 deckt den Tisch und sorgt für reichlich Essen und Trinken, wie es traditionell eher Frauen und Mütter tun. Beim Propheten Jesaja wird erzählt, wie sich der Hirt zärtlich gerade auch um Jung- und Mutterschafe kümmert: „Die Lämmer trägt er auf dem Arm, die Mutterschafe führt er behutsam.“ (Jesaja 40,11). Und genauso sorgt er sich um die Schwachen und Verletzten. Das verlorene Schaf nimmt er auf die Schultern, heißt es an einer Stelle (vgl. Lukas 15,5). Und diese weibliche Zärtlichkeit, sie ist ja wiederum gar nicht so weit weg von weiblicher Stärke: Der Hirte verteidigt seine Herde wie eine Mutter ihre Kinder. Von Gott selbst heißt es einmal bei den alttestamentlichen Propheten: „Ich will sie anfallen wie eine Bärin, der ihre Jungen genommen sind.“ (Hosea 13,8)

Das faszinierende Bild von Hirten mit der Zügen einer Hirtin

Der Hirte: Er hat von Anfang an auch die Züge einer Hirtin. Vielleicht fasziniert das Bild auch deswegen schon seit so langer Zeit. Mancher spricht im Psalm 23 sogar ausdrücklich von „ihr“ und nicht vom „ihm“. Bobby McFerrin etwa in seiner ungewöhnlichen Vertonung des Psalm 23. Der Song ist seiner Mutter gewidmet. Hier kommt zum Schluss dieses zeitgenössische, wunderbar klangvolle Stück über eine gute Hirtin.

Musik 5: Bobby McFerrin, The 23rd Psalm (CD: Bobby McFerrin, Medicine Music, Track 12).

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