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Brot und Rosen
GettyImages/Siglinde Fischer

Brot und Rosen

Sabine Müller-Langsdorf
Ein Beitrag von Sabine Müller-Langsdorf, Evangelische Pfarrerin, Zentrum Oekumene, Frankfurt
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Die Faschingszeit ist vorüber, die Stadtreinigung in Mainz und anderswo ist den Fassnachts-Umzügen hinterhergezogen und hat alle Bonbonpapierchen und einiges mehr wieder eingesammelt. Das kleine Glück einer erhaschten Süßigkeit wird noch in mancher Anorak-Tasche eines Kindes kleben. Ich erinnere mich gut an die Freude, als Kind ein paar Bonbons am Straßenrand gefangen zu haben.

„Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“

Das Hoffen aufs Glück gehört wohl zu uns Menschen, auch jenseits der Faschingsbonbons. Es heißt ja auch ein Sprichwort: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“. Der Satz stammt aus einer Geschichte der Bibel. Ein paar Sätze aus ihr sollen heute diese Morgenfeier begleiten.  

Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde. Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. Und der Versucher trat herzu und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden. Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben: »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.« (Matthäus 4,1-4)

In der Wüste wird wichtig, was wirklich zählt

Vierzig Tage und vierzig Nächte Fasten in der Wüste. Das ist eine lange Zeit, ohne Brot, auch ohne Bonbons. Die Wüste ist wahrlich kein Faschingszug in bunten Klamotten. Sie ist ein weiter und karger Ort. In der Wüste sind Menschen wie Tiere auf das Elementare angewiesen: eine Kleidung, die Schutz vor Sonne, Hitze, Kälte und Sand gewährt. Wasser gegen den Durst. Die Kraft muss gut eingeteilt sein, mit dem Alleinsein will umgegangen werden, der rechte Weg ist immer neu auszuloten. In der Wüste wird wichtig, was wirklich zählt. Das kann wohltuend sein, und das kann entsetzlich schwer sein. 40 Tage mit sich selbst zu sein ist eine lange Zeit.

40 Tage sind eine lange Zeit

Die hat man noch nicht mal in einer Kur oder Reha. Ich erinnere die Nachricht einer Freundin, die eine Kur von vier Wochen verschrieben bekam. Vor dem Aufenthalt war sie skeptisch, was so eine lange Aus-Zeit bringen soll. „Ich komm doch schneller wieder auf die Beine. Ich werde gebraucht zuhause und an der Arbeit. Was soll eine so lange Zeit? Da werde ich ja trübsinnig.“

Mit sich selbst ins Reine kommen, kann ein Glück sein

Die Aus-Zeit schien ihr wie eine öde Wüste, die vor ihr liegt. Doch in der letzten Woche ihrer Kur schrieb sie mir: „Die vierte Woche ist ein großes Geschenk. Endlich spüre ich wieder das Glück in mir und ich habe sogar Energie, mit dem Laufen zu beginnen…“ Das Glück fühlen, mit sich selbst im Reinen sein. Wissen, wer man ist und sich selber spüren. Wüstenzeiten können also auch guttun. Sie geben Gelegenheit, sich auf sich selbst zu besinnen und das, was einem unbedingt wichtig ist.

Musik: Joshua Bell und Dave Grusin, Chovendo na Roseira

Jesus ging nach seiner Taufe in die Wüste

Jesus hat die Wüste genau deshalb aufgesucht. Um zu klären, was ihm wichtig ist. Nach der Erzählung im Matthäusevangelium ging Jesus nach seiner Taufe in die Wüste. Diese Taufe war kein Familienfest, wie wir es kennen. Jesus hatte sich im Fluss Jordan von Johannes taufen lassen. Ganz untergetaucht ist er im Wasser. Und danach hörte er eine Stimme aus dem Himmel, die sagte: „Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“

Der Geist Gottes führt ihn dahin

Was für eine Ansage! Er, ein Mensch, soll Gottes Sohn sein? Geliebtes Kind Gottes? Was heißt das? Will er die Ansage annehmen? Will er die Ansage annehmen? Um das zu klären, geht Jesus an einen ruhigen weiten Ort. Wo ihn nichts und niemand ablenkt. Die Bibel sagt: Der Geist Gottes führt ihn dahin. Gott ist also da. Auch in der Wüste. Darauf hat sich Jesus verlassen. Dieses Gottvertrauen wünsche ich mir, wenn ich mich allein fühle und mich aufmachen muss, um schwere Fragen zu klären. Und dann wünschte ich mir, so eine Liebeserklärung im Ohr zu haben: geliebtes Kind Gottes bist du. Jesus hat dieser Zusage getraut. Sie hat ihm Sinn und Ziel gegeben im Leben.

Beim Fasten gilt: „Weniger ist mehr“

Für Christinnen und Christen begründet die Geschichte von den vierzig Tagen Jesu in der Wüste eine vierzigtägige Fastenzeit. Sie beginnt mit dem Aschermittwoch und endet mit dem Osterfest. Manche Menschen verzichten in dieser Zeit auf Alkohol, Fleisch oder Süßigkeiten. Andere nehmen sich bewusst vor, weniger zu konsumieren: CO2, Klamottenkauf, Handykonsum. „Weniger ist mehr“ ist die Haltung des Fastens.

Jesus braucht Ruhe, um sich auf seinen Weg als "Sohn Gottes" vorzubreiten

Aber in der Geschichte von Jesus in der Wüste geht es um mehr als einen Verzicht. Es geht um den ganzen Menschen: Wer bin ich? Was macht mich aus? Was brauche ich zu einem guten Leben? Jesus will für sich klären, was es heißt, ein geliebtes Kind Gottes zu sein. 40 Tage lässt er in der Wüste das Essen beiseite.

Körperlich ausgezehrt und hungrig

Natürlich ist er dann körperlich ausgezehrt. Vielleicht sieht er vor lauter Hunger schon Brote in den Steinen, die in der Wüste liegen. Auf jeden Fall tritt ihm in diesem Moment der äußersten Schwäche der Teufel entgegen. Und sagt: „Wenn du Gottes Sohn bist, dann verwandle diese Steine in Brot.“

„Wenn du Gottes Sohn bist, dann verwandle diese Steine in Brot.“

Der Teufel ist ein biblisches Bild für das Böse. Ich finde, hier kommt der Teufel erst einmal ziemlich verständnisvoll daher. Er scheint zu wissen, wie es Jesus geht. Brot aus Steinen wäre eine feine Sache, vor allem, wenn man Hunger hat. Mit seinen Worten sagt der Teufel auch: “Du könntest es besser haben, jetzt gleich.“ Hokuspokus, und alles wird gut. Du bist doch der Sohn Gottes. Kann der nicht alles?

Eine verlockende Idee. Wie oft habe ich mir gewünscht, dass in schweren Zeiten genau das passiert. Hokuspokus, und alles ist gut. Aber Hokuspokus gibt es nicht und es nützt auch nichts, weder in der Wüste noch sonst wo im Leben.

Der Teufel verlockt Jesus vordergründig zu einem schnellen Taschenspielertrick. Dahinter steht die eigentliche Frage: „Wer bist du? Bist du Gottes Sohn?“ Darin steckt auch die Frage nach der Macht Gottes, nach der Macht der Menschen, nach den Verlockungen der Macht.

Jesus widersteht

Jesu Antwort auf des Teufels Anrede ist sprichwörtlich geworden. Er sagt: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“. Jesus stellt sich damit in die Reihe der Menschen. Jesus weiß um Hunger, Durst und mehr. Ganz Mensch ist dieser Gottessohn. Verletzlich und allein ringt er um das, was er für wahr hält. Für ihn gibt es keinen Gott, der zaubern kann. Der wäre nicht wahr. Eher ist da ein Gott, der nah ist, da ist, auch in der Wüste. Ein arabisches Sprichwort sagt: Die Wüste ist ein Garten, in dem Gott spazieren geht. 

Musik: Taksim  Makam (Montserrat Figueras)

Die Wüste ist ein Garten, in dem Gott nah ist. Jesus sagt in diesem seltsamen Garten: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Mit seiner Antwort an den Teufel definiert Jesus das Menschsein! Was uns Menschen ausmacht.

Menschen brauchen Nahrung, um zu überleben

Der Mensch lebt vom Brot. Wir brauchen Nahrung, um zu überleben. Um Brot gibt es Kriege, um Brot wird geschachert und gestritten. Das Brot und die Möglichkeit, es zu erwerben, ist eine Aufgabe der gesamten Weltgemeinschaft. Dass alle satt werden ist nicht unmöglich, aber es verlangt Mechanismen und Absprachen, die eine gerechte Verteilung gewährleisten. Darum gehört zu den größten Bemühungen der Weltgemeinschaft der Kampf gegen Hunger und Armut. Unter den nachhaltigen Entwicklungszielen der Vereinten Nationen steht an erster Stelle. „Brot für die Welt“ heißt das Hilfswerk der evangelischen Kirchen in Deutschland. Schwerpunkt der Arbeit ist die Sicherung von Ernährung. In Zeiten des Klimawandels und knapper werdender Ressourcen wird der Kampf gegen Hunger und Mangelernährung immer wichtiger.

Die Sehnsucht nach Glaube, Liebe Hoffnung

Und zugleich lebt der Mensch nicht vom Brot allein. Menschsein ist mehr als Essen und Trinken. Der Dichter Dostojewski hat das schön beschrieben. Er sagte: Das Geheimnis seines Lebens liegt darin: Wenn er gegessen und geschlafen hat, fragt er erst recht: Was nun? Zum Menschsein gehört eben auch die Neugier auf Wissen, das Verlangen nach Glück und gelingender Gemeinschaft. Die Sehnsucht nach Glaube, Liebe, Hoffnung.

Jeder Mensch ist wertvoll

Als Kind Gottes ist jeder Mensch wertvoll. Soll sich mit seinen Gaben entfalten können. Zeit und Raum haben zum Fragen und Träumen. Dafür braucht es Bildung und Gesundheit, ein Dach überm Kopf und sichere Verhältnisse. Jesus reduziert das Menschsein nicht aufs Materielle, auf Steine, die Brot werden sollen. Ihm geht es um ein erfülltes Leben. Brot muss da sein für alle, und mehr.

„Brot und Rosen“  - das Motto des Streikaufrufs der Textilarbeiterinnen 

Textilarbeiterinnen in den großen Fabriken der USA haben vor mehr als hundert Jahren einem Streikaufruf das Motto „Brot und Rosen“ gegeben. Sie forderten einen gerechten Lohn, also Brot. Darüber hinaus eine menschenwürdige Arbeits- und Lebensumgebung. Die Rosen.

"Interessiert mich die Bohne"

Auch dem katholische Werk Misereor geht es um Brot und mehr. Sein Motto der Fastenaktion heißt dieses Jahr: „Interessiert mich die Bohne“. Eine Bohne ist ziemlich klein und doch kraftvoll. Die Bohne ist eines der wichtigsten Nahrungsmittel zum Beispiel in Kolumbien. Misereor erzählt mit der Bohne Geschichten von kleinen Leuten, von Kleinbauern dort. Sie haben es geschafft, der Verlockung zu widerstehen, aus Steinen Brot machen zu wollen. Statt chemischer Überdüngung und Super-Saatgut haben sie mit langem Atem und guter Information eine besondere Anbauform gewählt. Sie bauen Bäume an zusammen mit Getreide und Saaten. Diese kombinierte Form nennt man Agroforst.

Die Vielfalt würdigen und schonend mit den Sorten umgehen

Was sie bringt, beschreibt einer der Bauern so: „Man kann die Ackerfläche mit Chemikalien traktieren, umgraben und versuchen, den maximalen Ertrag…herauszuholen – oder man kann sich davon befreien und versuchen, nur behutsam in die Fülle des Lebens einzugreifen, um das Gleichgewicht der Millionen von Mikroorganismen so wenig wie möglich zu stören.“  Diesen Weg hat er gewählt. Bewusst gegen das Marktdiktat. Ertragen musste die Familie die Ablehnung des Kaffeeverbands. Ertragen mussten sie auch das Getuschel der anderen Bäuerinnen und Bauern. Sie hielten den kombinierten Anbau von Getreide und Gehölz für ein Zeichen von Verwahrlosung des Landes. Inzwischen hat es aber überzeugt, die Vielfalt zu würdigen, schonend mit den Sorten umzugehen. Es hat 35 Jahre gebraucht, doch jetzt ist diese Region nicht mehr das Armenhaus Kolumbiens. Sondern es ist ein Bio-Netzwerk entstanden von dreitausend Familien, die mit dieser Anbauform erfolgreich wirtschaften.

Mit dem eigenen Einkauf fairer werden

Das Brot und die Bohne zeigen: eine gute Ernährung für alle braucht Vielfalt vom Acker bis auf den Teller. Sie braucht gerechtere Verteilung. "Interessiert mich die Bohne"... Mich regen die Fastenaktionen an, einmal auf den eigenen Teller und über den Tellerrand hinaus zu schauen: Was esse ich? Wie gesund ist das, was ich esse? Wo kommt mein Essen her? Wer produziert es und wer verdient was daran? Diese Fragen helfen. Ich bin mit meinem eigenen Essen und Einkaufen fairer – zu den Gütern der Erde und gegenüber der Arbeit von Menschen. Meine Entscheidung ist nicht egal.

Weil es um Entscheidendes geht, bleibt mir eine Frage zur Geschichte von Jesu Versuchung in der Wüste. Die Frage nach dem Teufel. Darum geht es nach der Musik.

Musik: B. Andres, Zimt (Cordula Poos, Harfe und Markus Reich, Percussion)

Wozu braucht es den Teufel?

Eine Frage zur Geschichte von der Versuchung Jesu in der Wüste bleibt mir am Ende: Warum der Teufel? Selbst im Kasperle-Theater ist er nicht mehr der Renner. Wozu braucht es diese Figur?

Mit dem Bild vom Teufel kann beschrieben werden, worum es in Entscheidungssituationen auch geht. Es gibt die Möglichkeit und Freiheit, die falsche Entscheidung zu treffen. Ich kann mich ablenken lassen von der Konzentration auf das Wesentliche.

Jesus wollte wissen, was die Zusage Gottes bedeutet

Für Jesus stand nicht an, einen Hokuspokus in der Wüste zu veranstalten. Er wollte wissen, was die Zusage Gottes bedeutet „Du bist mein geliebter Sohn“. Ihm hilft es, sich zu erinnern, woher er kommt. Sein ganzes Leben hat er mitgebracht in die Wüste. Er ist das Kind einer jüdischen Familie, im jüdischen Glauben aufgewachsen. Jesus ehrt und kennt die Gesetze und Regeln der Thora, den fünf Büchern Mose und der jüdischen Weisung. Viele dieser Worte werden ihm in der Stille der Wüste durch den Kopf gegangen sein. Es ist ein Satz aus der Thora, den Jesus zitiert, wenn er sagt: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von allem, was aus dem Munde Gottes geht“(5. Mose 8,3). Damit erinnert Jesus an das Mannawunder, das dem Volk Israel in der Wüste geschehen ist.

Auf Gott vertrauen

Das sagt: Die Idee des Teufels, Steine zu Brot zu verwandeln, ist unnötig. Gott hat lange davor Menschen in der Wüste nicht verhungern lassen. Gott hat sie aus der Sklaverei in ein Land geführt, in dem Milch und Honig fließt. In dieser jüdischen Tradition lebt Jesus und er vertraut darauf,  dass Gott aus der schlimmsten Lage Gutes erwachsen lassen kann.

Ich wünsche mir das jeden Tag neu: auf Gott vertrauen, ihn in meinen Wüstenzeiten gegenwärtig erfahren. Manchmal gelingt mir das nicht. Dann sind die Fragen oder auch die Zerstreuung zu groß.

Dinge brauchen Zeit, um gut zu werden

Doch manchmal erfahre ich Gottvertrauen. Ich spüre, ich brauche nicht viel, um froh zu sein. „Weniger ist mehr“, das bereichert mich dann. Ich merke, Dinge brauchen ihre Zeit, um gut zu werden. Wie die Kur bei meiner Freundin, der die Zeit erst zu lang war und die dann sagte: „Die vierte Woche ist ein großes Geschenk. Wie die Kleinbauern in Kolumbien mit ihrem langen Atem, sogar Jahrzehnte, die Landwirtschaft auf Vielfalt umzustellen.  

Sich in der Passionszeit auf das Wesentliche besinnen

Sieben Wochen Fasten- und Passionszeit sind eine Gelegenheit, sich auf das Wesentliche zu besinnen. Wer noch ein Bonbon vom Faschingszug in der Tasche hat, kann dieses kleine Glück jetzt auspacken und genießen, und so einen Vorgeschmack haben auf das große Glück, auf das wir hoffen: das Osterfest mit dem Sieg des Lebens über den Tod.

Musik: Kay Johannsen, Auf,auf mein Herz, mit Freuden

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