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"Jesus hatte Mitleid mit ihm; er streckte die Hand aus, berührte ihn und sagte: Ich will – werde rein!“ (Markus 1,41)
Bild: Gerd Altmann/Pixabay

"Jesus hatte Mitleid mit ihm; er streckte die Hand aus, berührte ihn und sagte: Ich will – werde rein!“ (Markus 1,41)

Carsten Noll
Ein Beitrag von Carsten Noll, Katholischer Pfarrer und Administrator in der Pfarrei St. Michael, Hilders-Eckweisbach
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Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer!

Mit dem heutigen Fastnachtssonntag geht für viele Menschen in unserem Land die närrische Zeit ihrem Höhepunkt entgegen. Wie sieht es für Sie aus? Können Sie mit dem bunten Faschingstreiben etwas anfangen? Waren oder sind Sie vielleicht selbst aktiv dabei? Haben Sie gerne als Zuschauer an der ein oder anderen Fastnachtssitzung teilgenommen und gehen Sie auch zum Rosenmontagszug und feiern den Straßenkarneval kräftig mit? Oder können oder wollen Sie dem Ganzen gar nichts abgewinnen? Man kann etliches davon ja auch mit etwas Distanz genießen und sich die eine oder andere Sitzung im Fernsehen anschauen und sagen: Auch den Fastnachtsumzug kann ich am Fernsehen besser verfolgen.

Endlich wieder Miteinander

Ich habe in der vergangenen Woche schon an zwei Fastnachtssitzungen als Zuschauer teilnehmen dürfen. Als Pfarrer wird man in aller Regel direkt zu den Sitzungen in der Gemeinde eingeladen und dann ist es natürlich eine Ehrensache, dabei zu sein. Auch wenn ich an beiden Tagen terminlich ziemlich in Anspruch genommen war und mir am Abend vor dem Weggehen der Sinn mehr nach dem heimischen Sofa stand, habe ich mich dann doch köstlich amüsiert. Ich hatte viel Freude an den Darbietungen, die allesamt ganz großartig waren. Es tat gut, das eine oder andere Problem, das zurzeit in meinen Gedanken bindet, vorübergehend zu vergessen und einfach einmal aus Herzenslust über komische Inszenierungen und Witze zu lachen. Dazu kamen viele gute Begegnungen und auch kurze Gespräche und immer wieder zwischen den einzelnen Darbietungen gemeinsames Schunkeln und Singen. Dabei ist mir auch der Gedanke in den Sinn gekommen: Wer hätte vor drei Jahren auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie gedacht, dass wir wieder so ausgelassen Fasnacht feiern würden. Zumindest bei denen, die zum Feiern zusammenkommen, scheint die Angst, sich anzustecken, vergessen zu sein. Die Krankheit hat bei den meisten ihren Schrecken verloren. Auch wenn wir immer wieder über bestehende Folgen einer Infektion sprechen, ist Corona zu einer Krankheit von vielen geworden und nicht mehr das scheinbar einzige zu fürchtende Risiko im Leben. Auch hierüber führe ich das ein oder andere Gespräch mit Menschen, von denen ich weiß, dass sie vor noch nicht allzu langer Zeit im gegenseitigen Umgang vorsichtiger waren als manch andere. Hier überzeugt das Argument: „Man kann sich ja nicht ewig wegschließen. Wenn man nur für sich alleine und auf ständiger Distanz zur Gesellschaft bleibt, macht das Leben keine wirkliche Freude.“ So können wir für diese Fastnacht sicher festhalten, dass sich die Gesellschaft zur Fastnacht und natürlich auch in anderen Bereichen unseres alltäglichen Zusammenlebens ein Stück Gemeinschaftsgefühl zurückerobert hat.

Musik: Georg Friedrich Händel – Menuet – Wassermusik/Feuerwerksmusik

Fastnacht ist die Zeit, in der man, wenn man es möchte, frohe Gemeinschaft und die Überwindung mancher Grenzen erleben kann. Das für uns Menschen so wichtige Gefühl dazuzugehören, das gibt es an Fastnacht sozusagen für „kleine Münze“ und ohne große Anstrengung.

Von einem der Gemeinschaft wieder erleben darf

Für mich ist es eine schöne Fügung, dass ich im Gottesdienst heute ein Evangelium verkünden darf, das auch davon erzählt, wie für einen Menschen die Erfahrung ausgegrenzt zu sein, beseitigt wird. Der Evangelist Markus berichtet, wie ein Aussätziger zu Jesus kommt und diesen um Heilung bittet. In jener Zeit bedeutete Aussatz für den Menschen nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können und außerhalb der Städte und Ortschaften leben zu müssen. Ebenso durfte man nicht mehr am Gottesdienst teilnehmen. Ein Aussätziger war sozusagen von den Menschen und sogar von Gott verlassen. Das alttestamentliche Buch Levitikus hält fest, dass der Aussätzige eingerissene Kleider tragen sollte und das Kopfhaar ungekämmt lassen musste. Der Mensch musste, falls er in die Nähe anderer kam, schon von weitem rufen: „Unrein! Unrein!“

Seit dem Erleben von Quarantäne, Ausgangsverbot und Distanzregeln während der hinter uns liegenden Pandemie können wir uns in die Geschichte des Evangeliums vielleicht noch ein wenig besser einfühlen. Nicht wenige Menschen haben aus dieser Zeit heraus psychische Beeinträchtigungen davongetragen und manche Überempfindlichkeit ist entstanden. Wir haben eine Zeit hinter uns, in der man es fast als halben Anschlag interpretierte, wenn ein Mensch in der Nähe hüstelte oder niesen musste. Bei der Erzählung im Evangelium kann ich herauslesen, dass es für den Menschen hier nicht nur um die Heilung von einer körperlichen Erkrankung und ihren Symptomen geht, sondern um das Verhältnis, das der Erkrankte zur Gemeinschaft hat. Interessanterweise wird im Evangelium auch erwähnt, welche Gefühlsregungen Jesus während der Begegnung hat. Der Evangelist Markus erzählt, wie der Aussätzige zu Jesus kommt. Er fällt vor ihm auf die Knie und sagt: „Wenn du willst, kannst du mich reinmachen!" Dann heißt es weiter, dass Jesus Mitleid mit ihm hatte. Wenn man wörtlich aus dem Altgriechischen übersetzt, müsste es sogar heißen: Jesus wurde „in seinen Eingeweiden ergriffen“. Also es ging ihm wirklich an die Substanz. Und dann streckt Jesus die Hand aus und berührt den Kranken. Damit tat Jesus etwas, was absolut verboten war. Durch die bloße Berührung machte er sich selbst kultisch unrein und wäre damit zumindest vom Gottesdienst ausgeschlossen gewesen. Dann sagt Jesus: „Ich will - werde rein!" Und der Evangelist hält fest: „Sogleich verschwand der Aussatz und der Mann war rein.“ Normalerweise wissen wir Menschen, dass man da, wo die Gefahr einer Ansteckung besteht, auf Distanz geht und Berührungen vermeidet. Bei Jesus ist es ins Gegenteil verkehrt. Hier kommt „die Reinheit“ seiner Gottheit zum Vorschein. Man könnte sagen, Jesus infiziert den Menschen mit seiner Reinheit, holt ihn zurück in die Gemeinschaft.

Doch was nun folgt, verwundert etwas. Es heißt weiter, dass Jesus den Geheilten wegschickt und „streng anweist“, niemandem etwas von der Heilung zu erzählen. Auch hier ist der griechische Originaltext drastischer als die deutsche Übersetzung: Wörtlich heißt es übersetzt, dass Jesus den Kranken „anschnaubt“ oder „anfaucht“ und ihn „wegtreibt“ oder „hinauswirft“. Vielleicht konnte Jesus schon voraussehen, dass der ehemals Kranke sich nicht einfach diskret als „Gleicher unter Gleichen“ in die Gemeinschaft zurückbegibt, sondern sich mit seiner Heilungsgeschichte in den Vordergrund drängen und sich „interessant“ machen würde. Denn es heißt tatsächlich, dass er überall verkündete, was geschehen war. Infolgedessen konnte sich jetzt Jesus nur noch außerhalb der Städte und Ortschaften aufhalten. Vermutlich, weil er von den Menschen auf seine heilerischen Fähigkeiten reduziert wurde. Jesus sah seine Sendung darin, die Frohe Botschaft von der Liebe Gottes zu allen Menschen zu verkünden und von dorther die Menschen zur Umkehr und zum Umdenken aufzurufen.

Musik: Georg Friedrich Händel – Rigaudon – Wassermusik/Feuerwerksmusik

Das Evangelium berichtet davon, dass Jesus einen Aussätzigen heilt und dazu nach diesem die Hand ausstreckt und ihn berührt. Er möchte den Menschen wieder zurückführen in die Gemeinschaft aller Menschen und in die Gemeinschaft mit Gott. Mir fällt in diesem Zusammenhang eines der berühmtesten Kunstwerke der Renaissance ein, vielleicht kennen Sie es auch. Ich denke an ein Fresko Michelangelos in der Sixtinischen Kapellen im Vatikan, nämlich jenes, das darstellt, wie Gott den Menschen ins Leben ruft. Kurz genannt: Die Erschaffung des Adam. Das Bekannteste dieses Bildes sind die beiden Hände mit ihren ausgestreckten Zeigefingern kurz vor der Berührung. Etwas seltener sieht man das komplette Bild wiedergegeben. Hier liegt Adam als nackter Mensch auf dem Boden, auf seinem Ellenbogen leicht aufgerichtet, kraftvoll zwar, aber dennoch etwas schlaff und verträumt, da die göttliche Energie noch nicht in ihm ist. Ihm entgegen schwebt in einem großen wehenden Umhang der Schöpfergott, der sich nach seinem Geschöpf ausstreckt und es ins Leben führen möchte. Das für mich Interessante an diesem Bild, das vielleicht erst beim nochmaligen Betrachten wirklich auffällt, ist, wie Michelangelo Gott dargestellt hat. In dem großen Umhang Gottes finden sich viele unterschiedliche Gestalten. Man könnte die himmlischen Wesen als schmückendes Beiwerk abtun. Viel mehr aber bringen sie für mich zum Ausdruck, dass der liebende Gott in sich Gemeinschaft ist. Gott will Gemeinschaft. Und zwar nicht nur für sich selbst, sondern für jeden Menschen. Wenn ich diese theologische Betrachtungsweise versuche, in unseren ganz normalen Alltag hinein zu buchstabieren, muss es ein Hauptanliegen des glaubenden Menschen sein, immer wieder für die Gemeinschaft einzutreten und zu suchen, was diese fördert. Für die gegenwärtigen närrischen Tagen können wir feststellen, dass dies bei vielen Gelegenheiten für zahlreiche Menschen gelingt. Wünschenswert wäre es, wenn das Verlangen, dass alle dazugehören sollen, über die Fastnachts-Feierlichkeiten hinausreichen würde.

Gemeinschaft leben und verteidigen – im Hier und Jetzt

Neben der Fastnacht erleben wir derzeit aber noch eine andere große gemeinschaftlich Bewegung. Unzählige Menschen in unserem Land finden sich zusammen, um für die Demokratie und die Werte einer aufgeklärten und sozialen Gesellschaft einzutreten. Ein bewusstes Aufstehen gegen Gedankenspiele, hilfesuchende Menschen auszugrenzen und wegzuschicken. Ich finde es großartig, wie der bisher schweigenden Mehrheit unserer Gesellschaft bewusst wird, dass wir immer wieder am gemeinschaftlichen Zusammenhalt arbeiten müssen. Dies kann durch Demonstrationen zum Ausdruck gebracht werden, wichtig aber auch, dass wir ganz unterschiedliche Foren finden, auf denen wir den Mainstream auf die Probe stellen.

Musik: Georg Friedrich Händel – Menuet – Wassermusik/Feuerwerksmusik

Es ist immer wieder eine Herausforderung, die Gesellschaft zu einer Gemeinschaft zu formen, in der sich alle willkommen fühlen können und jeder zu seinem Recht kommen kann. Eine Gemeinschaft, in der sich keiner benachteiligt fühlen muss oder an den Rand gedrängt wird. So erleben wir gegenwärtig sicher auch eine sehr kritische Situation, in der sich hoffentlich zeigen wird, wie Demokratie im besten Sinne funktionieren kann und soll. Es ist nie gut, wenn nur die Trennung unterschiedlicher Lager stattfindet, denn dann sind im schlechtesten Fall wieder Menschen ausgegrenzt. Und das führt am Ende nur zu neuen Problemen. Die entscheidende Frage ist: Welche Wege gibt es, eine wirklich wohlwollende Haltung in den Köpfen und Herzen von Menschen hervorzubringen und eine Abkehr von menschenverachtenden Gedanken zu erreichen.

Wenn wir zum Evangelium zurückkehren, wie Jesus den Aussätzigen geheilt hat, dann fällt auf, dass es Jesu Gefühlsregung war, die ihn zum Handeln bewegte. Er war in den „Eingeweiden“, also im Innersten, von der Situation des Aussätzigen berührt. Es braucht also immer wieder Möglichkeiten der Begegnung und der gegenseitigen Mitteilung, in welcher Situation wir Menschen uns jeweils befinden. Berührung findet im Evangelium statt und dadurch Heilung. Nicht die Angst, mich mit dem Negativen anzustecken, darf vorherrschen. Vielmehr soll ich meine positive Energie nutzen, um den anderen zum Guten zu bewegen. Ich will mir gerne immer wieder überlegen, welch positive und gemeinschaftsfördernde Worte und Zeichen ich setzen kann, um den Wert einer Gemeinschaft aufzuzeigen, in der alle ihren Platz haben dürfen. Das fordert sicherlich manche Anstrengung, hier und da vielleicht auch Verzicht, aber am Ende wird dies eine Bereicherung für menschliches Zusammenleben sein.

Die Gemeinschaft erleben und ein Miteinander gemeinsam erfahren

Menschen ticken niemals gleich. Immer wird es auch jene geben, die für sich das Beste rausholen wollen und eben nicht an andere denken. Doch sollte ein solches Verhalten nicht das Modell für eine zukünftige Gesellschaft sein. Wir dürfen niemals vergessen, dass jede und jeder von uns einmal in die Situation kommen kann, auf Hilfe angewiesen zu sein. Wenn ich mir vorstelle, welche eine Gesellschaft ich dann vorfinden möchte, dann muss ich heute daran mitarbeiten, dass sie zu jenem Zeitpunkt existieren kann. Ich glaube, wir Menschen, jeder einzelne, haben tief in uns die Erkenntnis, dass es eine der besten menschlichen Eigenschaften ist, mit dem anderen mitfühlen zu können. Das macht für mich erst den Menschen zum Menschen. Wir dürfen nur nicht die Augen voreinander verschließen.

Hier habe ich ein interessantes Erlebnis im letzten Urlaub gehabt, den ich mit Freunden an der Nordsee verbringen durfte. Ein Freund aus der Gemeinde, der dabei war, ist zurzeit wegen einer Fußoperation auf einen Rollstuhl angewiesen. Glücklicherweise nicht dauerhaft, sondern nur bis er seinen Fuß wieder belasten kann. Ich habe ihn bei etlichen Wegen über den Deich und durch manche Fußgängerzone geschoben. Mir ist für mich aufgefallen, dass ich meine Umwelt im Hinblick auf „Barrierefreiheit“ ganz neu wahrgenommen habe. Gemerkt habe ich, wie schwer scheinbar kleinste Hindernisse zu überwinden sind. Ich werde diese Erfahrung so nicht vergessen.

Auf der anderen Seite habe ich bei unserem Unterwegssein erfahren, dass ich von vielen wildfremden Menschen anders angeschaut wurde, als ich es sonst kenne. Der Blick auf dieses Paar, der Mensch im Rollstuhl und der, der ihn schiebt, war für uns beide selbst eine Erinnerung an den Film "Ziemlich beste Freunde". Die Blicke der Menschen waren irgendwie anteilnehmend, aber auch anerkennend. Ich weiß nicht, was die Einzelnen dachten, ob sie erkannten, dass es hier um ein vorübergehendes Handicap geht und nicht um ein dauerhaftes Schicksal. Aber ganz automatisch hat sich für mich gezeigt, dass der Mensch ganz spontan berührt werden kann und als Mitmenschen erscheint.

Meinen Freund, den ich im Rollstuhl geschoben habe, hat für sich, bei allen Einschränkungen, die ihm bestimmt lästig waren, gelernt, eine neue Perspektive auf das Leben einzunehmen. Im wahrsten Sinne des Wortes …

Musik: Georg Friedrich Händel – Coro: Menuet – Wassermusik/Feuerwerksmusik

Musikauswahl: Regionalkantor Oskar Roithmeier, Marburg

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