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Zuhören und Erzählen helfen – auch Gottes Stimme zu hören
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Zuhören und Erzählen helfen – auch Gottes Stimme zu hören

Ein Beitrag von Martin Berker, Katholischer Pfarrer, Pfarrei Sankt Josef in Neu-Isenburg
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„Haben Sie Erfahrungen?“, „Welche Erfahrungen bringen Sie mit?“ – solche Fragen

gehören zu jedem Bewerbungsgespräch. Und alle, die sich um eine Stelle bewerben, müssen auch mit der Frage rechnen, wo sie Erfahrungen gesammelt haben. Wer viel zugehört, gesehen und ausprobiert hat, ist im Vorteil – und in vielen Berufen sammelt man Praxiserfahrung durch genaues Zuschauen und Zuhören.Menschen mit Erfahrungen vertraue ich besonders, zum Beispiel bei der Suche nach einem guten Arzt, einer versierten IT-Fachfrau, einer einfühlsamen Seelsor­gerin oder einem qualifizierten Erzieher. Erfahrene Men­schen haben eben mehr Ideen, kommen auf ungewöhnliche Lösungsmög­lichkeiten, können besser einordnen oder abschätzen. Mir helfen Erfahrungen anderer oft, Lösungen zu finden und Entscheidungen zu fällen. 

 

Erfahrungen sammeln mit Gott 

Heute hören wir in allen katholischen Gottesdiensten eine Lesung aus dem 1. Samuelbuch. Sie erzählt von einem, der Erfahrung hat, und von einem anderen, der Erfahrungen sammelt - in diesem Fall Erfah­rungen mit Gott. Samuel wächst gerade in seine Rolle beim Tempeldienst hinein. Er ist jung, unsicher und unerfahren. Seine Bezugsperson ist Eli, der alte Priester. Eli führt Samuel in priesterliche und seelsorgliche Aufgaben ein. Sicher ruft der Ältere den Jungen im Lauf eines Tages öfter zu sich, um ihm etwas aufzu­tragen. Als sich Samuel gerufen hört, geht er deshalb zu Eli. Es stellt sich allerdings heraus: Eli hat den Samuel gar nicht gerufen. Eli erklärt sich das einfach: Samuel hat wohl geträumt. Als sich die Geschichte wiederholt, kommt Eli wegen seiner geistlichen Erfahrung zu dem Schluss: Hier ist Gott im Spiel. Dieses Wissen gibt Eli dem Samuel weiter. So kann Samuel seine nächsten Schritte im geistlichen Leben gehen, dank Elis Erfahrung. Und eines Tages wird Samuel selbst zu einer Autorität, die aus dem religiösen Leben Israels nicht wegzudenken ist. 

 

Musik 1: Sainte Colombe, Prélude

Gottes Wort fällt nicht vom Himmel

Die Samuel-Erzählung lässt mich aufmerksam werden: Wie blickt Gott auf die Menschen? Bleiben wir zunächst bei Samuel. Samuel wird von Gott direkt angesprochen. Doch wer von Gott angesprochen wird, ist sich oft nicht gleich im Klaren darüber: War das jetzt wirklich eine Stimme Gottes? Er braucht den Rat und die Begleitung von jemandem, der oder die erfahren ist in geistlichen Dingen, um sein Erlebnis deuten zu können. Samuel hat in Eli einen solchen geistli­chen Lehrer und Begleiter. Dieser kann ihm hier weiterhelfen. 

 

Es ist eine spirituelle Geschichte

Dann sagt mir diese Geschichte auch: Gottes Wort fällt nicht einfach vom Him­mel. Gott ruft dann, wenn die Voraussetzungen so sind, dass er auch gehört wird. In dieser Geschichte sind das Stille, Ruhe, Für-sich-Sein. Ich kenne das so: Es gibt eine innere Unruhe – mit der Ahnung: Ein weiterer Schritt nach vorne steht an im Leben, aber es ist noch unklar, welcher Schritt das ist. Hinter diesem Gefühl, so die Samu­el-Geschichte, steht letztlich Gott. Er ruft den Menschen, nicht dort stehen zu bleiben, wo er gerade ist, sondern sich weiterzuentwickeln. Dazu gibt Gott auch Hilfen, z. B. eine Vertrauensperson, an die sich der oder die Gerufene wenden kann. Das Beispiel von Samuel und Eli ist eine spirituelle Geschichte. Ich kann sie für mich leicht anwenden, wenn es um mein Wachsen im Glauben oder um geistliche Begleitung geht. 

Die Stimme...ist Gottes Stimme

Doch nicht nur: Die Samuel-Geschichte kann auch bei grundsätzlichen Entscheidungen helfen. Vielleicht stehen eine Ausbildung oder berufliche Veränderung an, eine Partnerwahl, ein Wohnungswechsel. Da können Fragen helfen: Wo fühle ich mich hin­gezogen? Welcher Gedanke kommt mir immer wieder und ist deshalb wichtig? Mit wem kann ich darüber sprechen, wo mir Rat holen? Gott möchte mir den Weg zeigen, der für mich gut ist. Er tut es, indem er mich in meinem In­neren anspricht und mir Menschen schickt, die mir helfen, mein inneres Erleben zu deuten. Samuel hätte ohne Elis Rat nicht erkannt: Die Stimme, die ich gehört habe, ist Gottes Stimme. 

Musik 2: Andreas Hammerschmidt, O Domine, quia ego servus tuus sum          

Rede, Herr, dein Diener hört.“ 

Wie war das genau, als Samuel gerufen wurde? Als der göttliche Ruf an ihn ergeht, kommt er damit zunächst nicht zurecht. Er kann das alles nicht richtig einordnen. Er läuft zu Eli, einmal, zweimal, dreimal. Auch dieser versteht zunächst nicht, worum es geht. Eli nimmt an, Samuel habe nur geträumt. Deshalb schickt er ihn zurück: „Geh wieder schlafen!“ Erst als der junge Samuel zum dritten Mal kommt, wird Eli hellhörig. Seine lange Erfahrung meldet sich. Er gibt dem jungen Samuel einen wichtigen Hinweis. „Wenn er dich wieder ruft, dann antworte: ‚Rede, Herr, dein Diener hört.‘“ (1 Sam 3, 9b) 

 

Kann ihm einen ent­scheidenden Hinweis geben

Diese Szene finde ich eindrucksvoll. Eli ist alt geworden. Er weiß, dass seine Zeit abgelaufen ist. Dennoch kann er noch etwas ganz Wichtiges tun, etwas Entscheidendes. Der ältere Priester kann seine Erfahrung mit Gott weiterschenken. Er kann Menschen für Gott hellhörig machen. Er kann Menschen zu Gott und zu seinem Wort hinführen. Elis lange Lebens- und Glaubenserfahrung sagt ihm: Hier - bei Samuel - ist Gott am Wirken. Darin zeigt sich die Größe des Eli. Er kreist nicht wehleidig um sich selbst. Er ist hellhörig für Gott und für sein Wirken. Und so kann er dem jungen Samuel einen ent­scheidenden Hinweis geben. Eli zeigt ihm auf, wie Gott in sein Leben eintreten kann. Er hilft Samuel, sich für Gottes Wirken zu öffnen. Er rät ihm zu hören. 

Mein Leben als ein Geschenk, als eine Gabe entdecken

 „Hören“ ist ein wichtiges, ein zentrales Wort in der Bibel. Gläubige Jüdinnen und Juden beten täglich die Worte: „Höre, Israel ...!“ Sie bringen mit diesem Bekenntnis zum Ausdruck: Ich persönlich, wir alle, wir leben nicht aus uns selbst. Wir leben, weil der lebendige und barmherzige Gott uns Leben gibt. Leben ist eine Gabe, die wir empfangen haben. Die Haltung des Hörens bedeutet also auch: Mein Leben als ein Geschenk, mein Leben als eine Gabe entdecken. Ein Hörender, eine Hörende zu sein bedeutet für mich als gläubigen Menschen: mich öffnen für Gott, den Quell meines Lebens.

Die Erzählung von der Berufung Samuels spielt in einer Umbruchszeit. Im Volk Israel geht es ziemlich drunter und drüber; Schwierigkeiten gibt es mehr als genug. Die Verantwortlichen sind überfordert. Mit Samuel, dem Hörenden, kann Gott in der Zeit der Krise und des Niedergangs etwas Neues wirken. Wer ein hörendes Herz hat, mit dem oder der fängt etwas Neues an.

Das erlebe ich immer wieder

Hörend zu sein, ein Ohr für Andere zu haben, wie wich­tig ist das doch im Zusammenleben von uns Menschen! Wenn ich nicht mehr auf andere höre und wir uns nichts mehr zu sagen haben, dann ist es nicht gut um uns als Familie, als Freunde, als Gesellschaft bestellt. In meiner Arbeit als Seelsorger und Priester kann ich Menschen oft mehr durch Hinhören helfen, durch aufmerksames Zuhören, als durch Worte und gescheite Erklärungen. Vielleicht suchen Menschen gerade in unseren so unruhigen Tagen jemanden, der oder die ein Ohr für sie hat, ihnen einfach zuhört. Wie ein Gemälde eine Leinwand braucht, damit die Farben zum Leuchten kom­men, wie ein Saiteninstrument den Klangkörper benötigt, damit der Ton erklin­gen kann, so braucht ein Wort das Schweigen, das Zuhören. Hörende können neue Lebensräume öffnen für sich und andere. Sie leben und dienen dem Leben, als Mütter und Väter, Lehrerinnen und Erzieher, als Nachbarn oder Ehrenamtliche. Als Hörender werde ich selbst reich beschenkt, das erlebe ich immer wieder.

Musik 3:  Francis Poulenc, O mes trés chers frères (aus: Quatre petites prières de Saint François d’Assise)

Bereit werden für Gott - das muss ich einüben

Offen werden für Gottes Ruf - das ist gar nicht so einfach. Es setzt vo­raus, dass ich hören will. Es setzt voraus: Ich lasse Unvorhergesehenes in meinem Leben zu und gehe mutig damit um, bin sozusagen in „Rufbereitschaft“. Dies braucht jedoch ein wenig Erfah­rung. Wie bei allen Beziehungen braucht es Zeit, um mit Gott vertraut zu werden. Meine Erfahrung ist: Vertrautsein mit Gott fällt nicht vom Himmel, es wächst allmählich. Mich für Gott öffnen, Stück für Stück und immer mehr, das kann und muss ich einüben. 

Zur Gottsuche gehört Ausdauer. Mir hat oft geholfen, wenn mir ältere Menschen mit ihrer Erfahrung zur Seite ste­hen, auch ältere Christinnen und Christen im Glauben. Falls ich aber selbst der Ältere bin, dann sollte ich aufmerksam hinhören: Welche Fragen haben diese jüngeren Menschen, was fordert sie heraus? Und auch: Was bedeutet ihnen Gott? Ich möchte nicht mein Wissen aufdrängen; das tut Eli ja auch nicht. Er deutet nicht den Willen Gottes für Samuel; denn er weiß, das ist nicht seine Aufgabe.

Ich brauche Rückmeldung und Ideen 

Schön ist es, wenn ältere und jüngere Menschen in der Gesellschaft wie in der Kirche ihre Erfah­rungen austauschen und teilen können. So lernen sie voneinander. Samuel hätte ohne Eli vielleicht nie erkannt, dass es die Stimme Gottes war, die ihn gerufen hat. Eli wiederum wird durch Samuel aus seiner Routine gerissen. Durch ihn findet er zu einer neuen Offenheit, denn trotz aller Erfahrung mit Gott sind Elis Antennen vielleicht ein wenig eingerostet. Auch das kenne ich als nicht mehr ganz junger Pfarrer – ich brauche Rückmeldung und Ideen von Jüngeren. 

Viele Ehrenamtliche sind in diesen Zeiten frustriert. Der Glaube bedeutet ihnen etwas, sie engagieren sich in der Gemeinde und tragen Gottesdienste mit. Sie wissen aber nicht, wie es weitergehen soll mit der Kirche. Ich höre häufig die Fragen: War nicht früher mehr Leben in der Gemeinde? Gab es nicht mehr Christen, Seelsor­ger und andere, die etwas Besonderes ausstrahlten und Menschen anziehen konnten? Vielleicht fehlt es an einer Kultur des Hörens, wie sie Eli dem Samuel nahebringt - einer Kultur, die der alt gewordene Priester durch den jungen Samuel neu lernt. 

Gott spricht oft durch Menschen

Einander wieder zuhören: Das wäre ein erster Schritt, damit die verschiedenen Kräfte in der Kirche und in der Gesellschaft voneinander lernen und pro­fitieren können. So könnten alle neue Antennen entwickeln für das, was Gott mit ihnen persönlich vorhat, aber auch mit uns als seiner Kirche. Nicht nur aufeinander, sondern wieder stärker auf Gott hören: Das wäre ein weiterer, ganz wichtiger Schritt. Damals brauchte Gott einen Propheten. Die Stämme Israels hatten das Land in Besitz genommen und waren sesshaft geworden. Eine neue Zeit verlangte neue Antworten und auch eine neue Art, den Glauben zu leben. Das ist heute nicht anders.

Gott spricht oft durch Menschen. Damals machte er den jungen Samuel zu seinem Werkzeug. Wie spricht Gott heute zu uns - zu den Älteren und den Jüngeren, zu den ehrenamtlich Engagierten und den Haupt­amtlichen, zur Basis und zu den Amtsträgern der Kirche und der Politik.  Wenn Ältere genau hinhören, was Jüngere bewegt, dann können sich neue Ideen entwickeln und neue Energien ent­falten. Verhärtete Strukturen können aufbrechen, wenn kritische Anfragen ernst genommen werden, wenn Insider auch die hören, die sich am Rand fühlen. Wenn wir Wohlsituierten die Stimme der Armen in der Welt hören, könnten alle gemeinsam ein Stück weiterkommen. Dann wird auch die schwach gewordene Botschaft der Kirche neue Kraft entfalten. 

Eine Gabe, die ich mir nur wünschen kann

Gott hat den Samuel beharrlich gerufen, so lange bis Samuel bereit war für sein Wort. Vielleicht ruft Gott auch heute beharrlich und auf eine Art und Weise, die ich zunächst nicht erfassen kann.  Ich vertraue darauf: Gott lässt nicht nach in seinem Bemühen, Kontakt mit mir aufzunehmen. Und dann kann ich auch neue Wege für mich finden, meine Aufgaben klarer übernehmen, ob in einem Beruf, in der Familie oder in einem Engagement. 

Musik 4:  Francis Poulenc, Seigneur, je vous en prie (aus: Quatre petites prières de Saint François d’Assise)

Was für ein Segen, wenn Reden und Zuhören in Balance sind; Samuel wird dies ein Leben lang praktizieren. Dass er hören kann – auf Gott und auf die Erfordernisse der Zeit, das macht ihn groß. Auch weil er dann so klar redet, dass es vielen zu Herzen geht. Auf Gott hörend, redet er so klar, dass er sein Volk durch Höhen und Tiefen begleiten kann - als Priester, Richter und Prophet. Eine Gabe, die ich mir und vielen anderen nur wünschen kann, in der Kirche, in der Familie, in Gesellschaft und gerade auch in der Politik. 

Gottes Ruf und wir

Als Christ verstehe ich mich als Mensch, der sich von Gottes Wort ansprechen lässt. Ich versuche deshalb, dieses Wort zu leben – so ist zumindest mein Anspruch. Im täglichen Ei­nerlei, durch Reibereien, Meinungsverschiedenheiten oder manchen Ärger geht dieser Anspruch oft unter. Fronten oder Beziehun­gen verhärten sich. Die Samuel-Erzählung sagt mir: Ob das Wort Gottes, ob das Wort meiner Mitmenschen mich erreicht – beides hängt davon ab, ob und wie ich zuhöre. Und ganz besonders kann Gottes Stimme vernehmbar werden, wenn Alt und Jung aufeinander hören. 

 

In einem Lied heißt es: 

Herr, gib uns Mut zu hören auf das, was du uns sagst. 

Wir danken dir, dass du es mit uns wagst.

Herr, gib uns Mut zum Glauben an dich, den einen Herrn.

Wir danken dir, denn du bist uns nicht fern. (Gotteslob 448) 

 

Musik 5: Johann Sebastian Bach (arr: Leopold Stokowski), Fuge in G minor, BWV 578

(Musikauswahl: Regionalkantorin Regina Engel, Neu-Isenburg)

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