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Mit Bart und Kleid
Bild: Gerd Altmann/Pixabay

Mit Bart und Kleid

Judith Vonderau
Ein Beitrag von Judith Vonderau, Katholische Autorin bei "kirche im hr", Bad Orb
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In meinem Theologiestudium ist mir in einer Vorlesung eine besondere Heilige begegnet. Sie ist aus zwei Gründen besonders. Zum einen, weil ihre Geschichte so ungewöhnlich ist. Und zum anderen, weil sie wieder aus dem Heiligenverzeichnis gestrichen wurde – und dabei doch Heilige geblieben ist.

Diese besondere Frau lebte im 2. Jahrhundert und heißt Wilgefortis. Wilgefortis bedeutet „starker Wille“ und dieser Name passt auch zu ihr, finde ich. Sie war überzeugte Christin und ihr christlicher Glaube war ihr so wichtig, dass er für sie Auswirkungen hatte in alle Lebensbereiche. Denn für sie war klar: Wenn sie heiratet, dann nur einen Christen. Ihr Vater aber hatte andere Pläne und präsentierte ihr einen Mann, der kein Christ war. Als Frau hatte Wilgefortis nicht viel mitzubestimmen, was ihre Heirat betraf. Um um ihrem Dilemma zu entkommen, wurde sie kreativ und fand eine ungewöhnliche Lösung: Sie bat Gott, sie körperlich zu entstellen. Denn dann würde sie kein Mann mehr heiraten wollen.

Ihr Plan ging auf, denn Wilgefortis wuchs ein Bart und die Hochzeit platzte. Was für Wilgefortis die Rettung bedeutete, war für ihren Vater mehr als ein Ärgernis. Er wurde so wütend, dass er seine Tochter zur Strafe kreuzigen ließ. Wilgefortis starb als Märtyrerin und wurde somit als Heilige verehrt.

Im Gegensatz die Gemeinsamkeiten entdecken

Doch hier begann erst die Irritation. Denn die Darstellungen der Heiligen Wilgefortis zeigen eine Gestalt am Kreuz – in Frauenkleidern und mit Bart. Wer die Geschichte dahinter nicht kannte, musste verwirrt sein. Der mutmaßliche Jesus am Kreuz ließ sich nur schwer mit Frauenkleidern in Einklang bringen. Und der Gegensatz von Kleid und Bart ebenso. Den Menschen schien es, als sei hier etwas grundlegend durcheinandergeraten. Weibliche und männliche Attribute wurden zusammen dargestellt, was doch eigentlich unmöglich war.

Ich glaube, dass immer dann, wenn wir von etwas irritiert sind, dahinter mehr für uns steckt. Denn die Irritation lässt uns innehalten. Und dann kann es anfangen, in uns zu arbeiten. Wir können anfangen zu hinterfragen und in Frage zu stellen.

Unsere Wahrnehmung ist von dem geprägt, was wir erwarten. In unserem Kopf gibt es eine Vorstellung davon, wie die Dinge sind. Und daraus schlussfolgern wir oft, dass sie auch nur so sein können. Die Heilige Wilgefortis zeigt, dass es auch anders sein kann: Hier lässt sich scheinbar Unvereinbares sehr gut miteinander vereinbaren. Aus dem einfachen Grund, dass die Dinge nicht immer so sind, wie die Menschen sie vorschnell einordnen.

Vielleicht braucht es manchmal genau diese Art von Irritation, um mich aus meinen bisherigen festgelegten Gedankengängen zu lösen und Neues entdecken zu können.

 

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