Ihr Suchbegriff
Beitrag anhören:
Einstehen für die Demokratie
Bild: Pixabay

Einstehen für die Demokratie

Beate Hirt
Ein Beitrag von Beate Hirt, Senderbeauftragte der katholischen Kirche beim hr, Frankfurt
Beitrag anhören:

Was bin ich froh darüber: Seit zwei Wochen gehen so viele Menschen auf die Straße für Demokratie, Menschenwürde und Vielfalt! Die Bilder von den überfüllten Plätzen in Köln, München und auch bei uns in Frankfurt, Kassel oder Limburg haben mir richtig gutgetan! Wie viele andere bin ich mit einem mulmigen Gefühl in dieses Jahr gestartet: Was wird es bringen, wie werden die Wahlen bei uns in Deutschland ausgehen? Ich hab mir Sorgen gemacht um eine Gesellschaft, in der rechte Parolen und rechte Gewalt, auch der Antisemitismus, immer stärker werden. Und dann die geheimen Pläne dieses Treffens in Potsdam: Da wird tatsächlich darüber beraten, wie man Menschen mit Migrationsgeschichte oder mit missliebigen Ansichten massenhaft aus dem Land vertreiben kann.

Es muss etwas passieren!

Wie menschenverachtend und widerlich ist das! Es muss etwas passieren! Dachte ich. Und da war ich Gott sei Dank nicht die einzige. Es hat sich etwas getan in unserem Land in den letzten zwei Wochen. Auch, wenn viele Sorgen natürlich noch da sind: Ich bin erleichtert, dass sich Hunderttausende von Menschen, oft bei großer Kälte, auf die Straßen und Plätze begeben haben, um zu demonstrieren gegen Rechtsextremismus und für Demokratie. 

Da kamen mir fast die Tränen

Ich war mit dabei. Und als ich da auf dem Platz stand und mit Tausenden skandiert habe: „Alle zusammen gegen den Faschismus“, da kamen mir fast die Tränen. Weil ich plötzlich dachte: Das hat es damals eben nicht gegeben, in den zwanziger und dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts: Dass so viele Menschen zusammen auf die Straße gehen und sich gegen die Anfänge wehren. Sich dagegenstemmen, dass ihre Städte, ihr Land immer weiter nach rechts driften und womöglich von Rechtsextremen regiert werden. 

Ich werde diesen Besuch nie vergessen

Wenn damals die Menschen rechtzeitig auf die Straße gegangen wären – es hätte den Nationalsozialismus so vielleicht nicht gegeben. Es hätten auch nicht Millionen Menschen in den KZs sterben müssen. An diesem Wochenende muss ich daran besonders denken. Gestern, am 27. Januar, war der Gedenktag für die Shoa, die Massenvernichtung des europäischen Judentums. Am 27. Januar 1945 ist das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau befreit worden. Ich bin vor einigen Jahren in der Gedenkstätte dort gewesen, und ich werde diesen Besuch nie vergessen. An dem Ort zu stehen, an dem über eine Million Menschen in Gaskammern ermordet und in Öfen zu Asche verbrannt wurden - das hat mich vollkommen erschüttert. Es war der nationalsozialistische Faschismus, der diese Gaskammern gebaut hat. Und ich will mich dagegenstemmen, dass heute diese Gaskammern verharmlost werden und dass rechtsextremes Gedankengut wieder verbreitet wird. Wir wissen, was passiert, wenn man dem nicht rechtzeitig entgegentritt – und nicht eintritt für die Demokratie.

„Wer jetzt nicht aufsteht, der hat nichts verstanden"

Vom Fußballtrainer bis zum katholischen Bischof melden sich gerade viele zu Wort, die sich Sorgen machen um die Demokratie. „Wer jetzt nicht aufsteht, der hat nichts verstanden“, hat Christian Streich, der Fußballtrainer des SC Freiburg, in einer Pressekonferenz gesagt. „Jeder in diesem Land ist dazu aufgerufen, aufzustehen und im Familienkreis, in der Arbeit und sonst wo, sich ganz klar zu positionieren.“ So sagt er weiter in dem Video, das sich schnell verbreitet hat in den sozialen Medien. 

Sie haben Angst vor dem sozialen Abstieg

Und die katholischen Bischöfe in Ostdeutschland haben vor zehn Tagen ein gemeinsames Wort veröffentlicht, Anlass sind die Wahlen in diesem Jahr, zum Europäischen Parlament, zu den Landtagen von Brandenburg, Sachsen und Thüringen und auch die auf kommunaler Ebene. Die Bischöfe beschreiben die Lage so: „Viele Menschen verstehen politische Entscheidungen nicht mehr. Sie sind verunsichert, wütend und haben Angst vor dem sozialen Abstieg. Das darf uns nicht dazu bringen, uns von populistischen Aussagen und scheinbar einfachen Lösungen vereinnahmen zu lassen.“ 

Die unantastbare Würde ist zu achten

Die Bischöfe warnen dann ganz klar vor bestimmten Parteien, sie schreiben: „Spätestens die Schrecken der Weltkriege und die Gräueltaten des NS-Regimes haben uns gelehrt: Die unantastbare Würde des Menschen zu achten und zu schützen muss die oberste Richtschnur jedes staatlichen Handelns sein. Politische Parteien, die diesen Grundsatz in Frage stellen, können nach unserem Verständnis keine Alternative sein.“ Und weiter: „Wir Bischöfe bringen daher ganz klar zum Ausdruck, dass wir vor dem Hintergrund unseres eigenen Gewissens die Positionen extremer Parteien wie dem III. Weg, der Partei Heimat oder auch der AfD nicht akzeptieren können.“ 

Viele haben ihn sogar mitgemacht

Vielleicht erinnern sich die Bischöfe heute auch daran: Vor knapp 100 Jahren, als der Nationalsozialismus erstarkte, haben sich die Kirchen viel zu wenig gegen die drohende Gefahr ausgesprochen. Viele haben den Nationalsozialismus verharmlost oder sogar mitgemacht. Wenige haben gewarnt und sind von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet worden: Ich muss in diesen Tagen auch an Dietrich Bonhoeffer und Alfred Delp denken, große Theologen der evangelischen und katholischen Kirche, für mich sind sie beide Heilige. Noch in den letzten Tagen des NS-Regimes hat man sie hingerichtet, Delp am 2. Februar und Bonhoeffer am 9. April 1945. Alfred Delp hat in seinen Aufzeichnungen aus dem Gefängnis einmal geschrieben: Wir werden schuldig, „weil wir in einer bestimmten Zeit und geschichtlichen Stunde leben und geschehen lassen, was geschieht“ (Alfred Delp, Mit gefesselten Händen, S. 162). 

Ich will weiter dorthin gehen

Der Satz beschäftigt mich gerade sehr. Natürlich ist es leichter, nichts zu tun, zuhause zu bleiben, abzuwarten und die Dinge geschehen zu lassen. Aber selbst dieses Passivbleiben kann schon zur Schuld werden. Wenn ich merke: Wir haben eine geschichtliche Stunde, eine bestimmte Zeit, dann mache ich mich womöglich wirklich schuldig, vor den Menschen und vor meinem Gott, wenn ich nicht aktiv werde. 

Wie kann ich aktiv werden, was kann ich tun gegen Rechtsextremismus und für unsere Demokratie? Ich will auf jeden Fall weiter zu Demonstrationen gehen. Es werden sicher noch einige nötig sein und stattfinden in den nächsten Wochen und Monaten. Ich will auf die Straße gehen, um klar zu zeigen: Demokratie, Menschenwürde und Vielfalt sind mir wichtig. 

Gut, dass endlich etwas passiert

Bei der Demo vor zehn Tagen wurde mir noch mal klarer: Ich unterstütze damit auch die Menschen und Gruppen, die sich schon jetzt ganz konkret ausgeschlossen und bedroht fühlen von rechtspopulistischen Bewegungen. Die queere Community. Demoteilnehmerinnen und –teilnehmer mit Regenbogenfahnen haben gesagt: Gut, dass endlich etwas passiert. Gut, dass ihr da seid. Und auch an Jüdinnen und Juden muss ich natürlich denken. Wie furchtbar, dass sie sich wieder fürchten müssen, wenn sie mit Kippa und Davidsstern auf die Straße gehen. Ich will nicht in einem Land leben, in dem Menschen sich wegen ihrer Religion oder ihres Geschlechts Sorgen um ihre Sicherheit machen müssen. Ich will, dass wir ein vielfältiges und tolerantes Land sind. 

Ich wähle jetzt mal was anderes

Auch: ein gerechtes. Die große Unzufriedenheit in Deutschland hat ja auch damit zu tun, dass es viel zu viele Menschen gibt, die sich um ihr Existenzminium sorgen müssen. Die sich vergessen fühlen von Politik und Gesellschaft. Wenn ich lese: Vier von zehn Rentnerinnen und Rentnern haben ein Netto-Einkommen von weniger als 1.250 Euro im Monat, dann ahne ich, warum es Menschen gibt, die sagen: Ich wähle jetzt mal was anderes.

Alfred Delp, der katholische Widerstandskämpfer, hat 1944 darüber nachgedacht, was sich ändern muss, damit eine Katastrophe wie der Nationalsozialismus nicht wieder passiert. Und die erste Aufgabe formuliert er so: „Es geht nicht ohne ‚Existenzminimum‘ an gesichertem Raum, gesicherter Ordnung und Nahrung“ (Alfred Delp, Mit gefesselten Händen, S. 129). 

 

Auch dafür setze ich mich ein 

Für mich heute heißt das: Wir müssen die Einkommen der Armen und der Schwachen anheben, wir brauchen eine gerechte Gesellschaft, damit wir eine tolerante und demokratische Gesellschaft bleiben. Auch dafür will ich mich einsetzen.

Ich glaube wirklich: Wir leben in einer besonderen, vielleicht geschichtlichen Stunde. Und ich hoffe und bete, dass wir diese Stunde gut überstehen und gut nutzen können. Damit wir ein freies und demokratisches Land bleiben. 

Linktipp: www.bistum-erfurt.de/presse_archiv/nachrichtenarchiv/detail/eintreten-fuer-die-demokratie/

Weitere ThemenDas könnte Sie auch interessieren