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Wolkengucken und verstehen
Pixabay/Zsolt Oravecz

Wolkengucken und verstehen

Ein Beitrag von Mirjam Jekel, Evangelische Theologin, Rüsselsheim
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Als Kind habe ich Wolken geliebt: dicke Quellwolken, zarte Schleierwolken, die orange oder rosa angestrahlten Wolken beim Sonnenuntergang – diese Vielfalt am Himmel! Oft habe ich nach oben geschaut, habe gestaunt und mich gefreut. Wolken sahen aus wie der perfekte Ort zum Leben, so weich und fluffig, leicht und zart. Als ich das erste Mal geflogen bin, dachte ich: Wow, noch toller! Als könnte man zwischen diesen Tälern herumhüpfen, sich gemütlich auf einen Wolkenhügel legen.

Atmosphärenphysik – ein großartiges Wissensfeld

Dann habe ich mehr über Wolken erfahren: Quellwolken heißen bei den Fachleuten Cumulus, Schleierwolken Cirrus. Wolken entstehen im Zusammenspiel von Land und Wasser, von Wind und verschiedenen Temperaturen. Atmosphärenphysik – ein großartiges Wissensfeld. Seitdem sind Wolken für mich nicht mehr einfach Traumgebilde aus Zuckerwatte, sondern erklärbare Phänomene.

Deshalb sind sie nicht weniger faszinierend – im Gegenteil! Erklären-können hat eine neue Ebene des Staunens eröffnet. Wenn ich jetzt Wolken am Himmel sehe, verstehe ich mehr davon, welche Luftmassen gerade unterwegs sind und was in der Atmosphäre passiert. Die Begeisterung bleibt, sie ist nur differenzierter geworden.

Über Glauben und Religion kann man sehr viel lernen

Ähnlich ist es für mich auch mit dem Glauben an Gott. Manche sagen: Glauben hat nichts mit Wissen oder Verstehen zu tun. Man glaubt – oder nicht. Aber es gibt sehr viel, was ich über Glauben und Religion lernen und verstehen kann. Zum Beispiel, wie die Bibel entstanden ist. Welche Ähnlichkeiten sie mit anderen heiligen Texten hat. Was war die historische Lebenssituation der Menschen zur Zeit der Bibel? Welche Erfahrungen haben sie mit ihrem Glauben gemacht und wie wirkt das bis heute nach?

Die Bibel ist nicht aus einem Guss, sondern nach und nach entstanden

Wer sich damit beschäftigt, lernt nachzuvollziehen, weshalb die Bibel nicht einheitlich formuliert ist, warum es Widersprüche in ihr gibt. Sie ist nicht aus einem Guss, sondern nach und nach entstanden. In ihr fließen verschiedene Strömungen zusammen. Aus mündlichen Überlieferungen wurden erst einzelne Bücher und schließlich das ganze große Buch Bibel. Wenn man in der Überzeugung aufgewachsen ist, dass die Bibel unfehlbar ist, dann kann einen das erschüttern. Aber wenn man sich darauf einlässt, dann lernt man den Glauben besser zu verstehen. Mein Glaube geht dabei nicht kaputt, er wird nur differenzierter.

Ich liebe Wolken noch immer und schaue sie wie früher mit Begeisterung an. Ähnlich ist es mit der Bibel und mit meinem Glauben. Je mehr ich davon verstehe, desto mehr staune ich, desto mehr stärkt es mein Vertrauen ins Leben.

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