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Vom Advent zu Heiligabend
Bild: Pixabay

Vom Advent zu Heiligabend

Alexander Matschak
Ein Beitrag von Alexander Matschak, Medienkoordinator des Bistums Mainz
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Natürlich: Rituale müssen sein 

Spät ist es gestern Abend wieder geworden. Als meine Frau und ich endlich im Bett lagen, war es schon weit nach Mitternacht. Dafür ist im Wohnzimmer alles fertig. Der Christbaum ist geschmückt, die Räuchermännchen und die Krippe aufgestellt, die Geschenke verpackt und sortiert – Heiligabend kann also kommen. Und wie immer haben wir die Wohnzimmer-Tür abgeschlossen und die Jalousien runtergelassen. Durch die Glasscheibe in der Tür sieht man nur einen dunklen Raum. 

Seitdem unsere Kinder klein sind, machen wir das so. Und wie haben sie sich früher die Nase an der Glasscheibe plattgedrückt! Um irgendeinen Hinweis auf ein Geschenk zu erspähen. Keine Chance! Mittlerweile sind beide Teenager. Aber den Baum mit uns schmücken, das Wohnzimmer vorbereiten – das kommt für sie immer noch nicht in Frage. „Mama, Papa – das müsst Ihr doch machen. Es muss so sein wie jedes Jahr“, haben sie uns gesagt, als wir vor ein paar Tagen gefragt haben, ob sie dieses Jahr nicht mal bei den Vorbereitungen etwas helfen wollen. Also haben wir es gemacht wie jedes Jahr: Wir haben alles vorbereitet. „Kinder lieben Rituale“, habe ich mir gedacht. Auch wenn die Kinder schon ganz schön groß geworden sind. 

Das mit den Ritualen scheint gerade an Heiligabend und an Weihnachten sehr wichtig zu sein - für viele Menschen. Ob es das traditionelle Weihnachtsessen ist. Das Verpacken von Geschenken. Das Backen von Plätzchen und Stollen. Der gemeinsame Besuch des Weihnachtsgottesdienstes. Diese Rituale zeigen: Achtung, da ist gerade eine andere, eine besondere Zeit. Die sich unterscheidet vom Alltag. Und für mich gehört zu diesen Ritualen auch das Singen. Bei meiner Schwiegermutter zum Beispiel ist es an den Adventssonntagen üblich, dass sich die ganze Familie am Nachmittag versammelt und gemeinsam Lieder singt. Und natürlich haben wir bei meinen Eltern zu Hause an Heiligabend auch immer am Weihnachtsbaum gesungen. Ich finde, das ist ein ganz wunderbares Ritual. Und so will ich in dieser Morgenfeier über Advents- und Weihnachtslieder sprechen, die mir ganz besonders lieb geworden sind. 

Advent und Weihnachten? Eigentlich sind das ja zwei verschiedene Dinge. Aber heute ist ein etwas besonderer Heiligabend. Denn heute ist nicht nur Heiligabend, sondern auch der vierte Advent. Heute Morgen brennt zum ersten Mal die vierte Kerze auf dem Adventskranz. Und schon heute Abend brennen die Kerzen am Christbaum. Daher soll beides seinen Platz haben: Advent und Weihnachten. Und starten will ich mit dem Lied „Tochter Zion, freue dich“. Es passt für mich ganz besonders gut an diesem vierten Advent an Heiligabend. Denn in diesem Adventslied ist schon viel von der Weihnachtsfreude zu spüren. 

Musik 1: Tochter Zion, freue dich (CD Weihnachtslieder Volume 1, SWR2/Carus, mit Klaus Mertens und Kay Johannsen, Track 22, 0:00-1:33) 

Reiß die Himmel auf! 

Heute brennt sie bei uns zum ersten Mal: die vierte Kerze auf dem Adventskranz. Ich mache mir dabei die Bedeutung des Worts Advent mal wieder ganz bewusst. Advent: Das heißt übersetzt: Ankunft. Und bei dem Wort „Ankunft“ denke ich zuerst mal an „sich auf den Weg machen“ und „sein Ziel erreichen“. Auf alle Fälle: an Aktivität, an Bewegung. 

Ganz viel davon ist in dem Lied „O Heiland reiß die Himmel auf“ die Rede. Da heißt es in der ersten Strophe: „O Heiland reiß die Himmel auf, herab, herab vom Himmel lauf! Reiß ab vom Himmel Tor und Tür, reiß ab, wo Schloss und Riegel für!“ Eindringlich wird Gott angerufen, mit aller Kraft auf die Erde zu kommen. Sich in Bewegung zu setzen. Und so sehnsuchtsvoll geht es auch in den nächsten Strophen weiter: Da geht es um „die größte Not“, die Gott endlich wenden soll. 

Das hat sicher mit dem Verfasser des Liedes zu tun: dem Jesuitenpater Friedrich von Spee. Ihm wird das Lied zugeschrieben, das erstmals 1622 veröffentlicht wurde. Friedrich von Spee lebte in der Zeit des 30-jährigen Krieges – einer Epoche von Krieg und Zerstörung, Verwüstung und Vertreibung in ganz Europa. Ich finde: Das merkt man diesem Lied an. Nicht umsonst spricht Spee von der Erde als „Jammer-tal“. Da denke ich heute an Israel und den Gazastreifen. Oder an die Ukraine. An viele Länder in Afrika. Und ich denke da auch an Menschen bei uns, die verzweifelt und vereinsamt sind. Trotzdem ist das Lied „O Heiland, reiß die Himmel auf“ kein resignierendes Lied. Bei allen weltlichen Katastrophen bleibt für Spee Jesus Christus die große Hoffnung – er ist für ihn der „Trost der ganzen Welt“, wie es in der vierten Strophe heißt. 

Ich schätze den Charakter dieses Liedes sehr. Weil es ein durch und durch menschlicher, beinahe anklagender Anruf an Gott ist: Gott, komm in diese Welt, in der so viel Leid und Chaos herrscht, und bring Segen und Heil in diese Welt. Oder wie es Friedrich von Spee ausdrückt: „O klare Sonn’, du schöner Stern, dich wollten wir anschauen gern. O Sonn’, geh auf, ohn’ deinen Schein in Finsternis wir alle sein.“ 

Musik 2: Oh Heiland reiß die Himmel auf (CD „Advents- und Weihnachtszeit mit Singer Pur“, CD 1, Track 12, 0:00-1:36)

Der Herr ist in unserem Schiff 

Es waren schon ein paar besondere Tage im vergangenen Sommer. Mein Schwager hatte meine Familie und mich zum Segeln eingeladen. Vier Tage sind wir mit einem Segelboot über die Osterschelde gesegelt. Zuerst war das Ganze ja so gar nicht meins. Denn der Wind war ziemlich stark, und das Boot hat sich immer mehr zur Seite geneigt. „Das kann nicht untergehen“, hat mein Schwager mir versichert. Mein Sohn und meine Tochter waren begeistert und haben gerufen: „Stärker, mehr Schräglage!“ Während ich mich ziemlich krampfhaft an der Reling festgehalten habe. Aber als ich dann mal selbst steuern durfte und wir in der Abendsonne in die kleinen Häfen gefahren sind, da habe ich die Zeit auf dem Boot schon sehr genossen.

Segel, die sich im Wind blähen – ein Schiff, das auf einen Hafen zufährt: Es ist dieses Bild, an das ich bei einem Adventslied oft denken muss. Das Lied „Es kommt ein Schiff geladen“. Denn auch in diesem Lied ist von Segeln, von einem Mast und von einem Anker die Rede. Die Urgestalt des Liedes gehört zu den ältesten geistlichen Gesängen in deutscher Sprache. Es stammt aus dem 14. Jahrhundert und wird dem Dominikanerpater Johannes Tauler zugeschrieben. Fast genauso alt ist die heute bekannte Melodie: Sie stand erstmals im so genannten Andernacher Gesangbuch aus dem Jahr 1608.

Ich denke heute vor allem an die dritte Strophe des Liedes, in der es heißt: „Der Anker haft' auf Erden, da ist das Schiff am Land. Das Wort will Fleisch uns werden, der Sohn ist uns gesandt.“ Ich finde: Das ist ein großartiges, ein Mut machendes Bild: Jesus Christus ist an Bord und segelt auf uns Menschen zu. Neulich habe ich ein Gebet gelesen, das auch den Gedanken des Schiffes aufgreift: Hier ist nicht Christus allein auf dem Schiff, sondern zusammen mit uns Menschen. Aber die Botschaft ist gleich: Gott will bei uns sein, er ist mit uns unterwegs. Es heißt: „Der Herr ist in unserem Schiff. Im Schiff dieser Zeit, das beladen ist mit Angst, Not und Sorge um die Zukunft. Im Schiff der Kirche, die von Stürmen umhergeworfen wird. Im Schiff unseres Lebens, dessen Segel zerrissen sind. Habt also keine Angst, der Herr ist doch in unserem Schiff.“ 

Musik 3: Es kommt ein Schiff geladen (CD „Advents- und Weihnachtszeit mit Singer Pur“, CD 1, Track 13, 0:00-4:08) 

Botanisches Weihnachtswunder 

In Eltville am Rhein gibt es im ehemaligen Graben der dortigen Burg einen ganz besonderen Garten: einen Rosengarten. Hier blühen Tausende von Rosenstöcken in zahlreichen Sorten, darunter viele Raritäten und historische Rosen. Im Sommer ist die Luft von einem herrlichen Duft erfüllt, Insekten schwirren durch die Luft. Ich sitze gerne dort auf einer Bank und genieße diesen wunderbaren Ort. Daran muss ich heute an Heiligabend denken. Denn eines meiner liebsten Weihnachtslieder ist „Es ist ein Ros entsprungen“. 

Ich mag dieses wunderbare Bild: Mitten im kalten Winter erblüht eine Rose – eine Art botanisches Weihnachtswunder. Aber ich habe gelernt: Der unbekannte Dichter hat sich eine kleine literarische Freiheit erlaubt. Denn eigentlich müsste es „Reis“ heißen, nicht „Ros“. Ein Reis ist ein kleiner Zweig, noch heute kennt man den Begriff Reisig. Und die erste Strophe des Lieds bezieht sich auf eine Passage aus dem Alten Testament. Dort sagt der Prophet Jesaja das Erscheinen des Messias voraus. Wörtlich heißt es: „Aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht.“ (Jesaja 11,1) 

Heute Abend werden meine Familie und ich dieses Lied an unserem Weihnachtsbaum singen. Ich mag seine einfache, zu Herzen gehende Melodie. Wir werden es in unserem warmen Wohnzimmer singen. Wir werden gegessen haben, unsere Kinder freuen sich auf ihre Geschenke. Gleichzeitig weiß ich: Das ist nicht selbstverständlich. An vielen Orten, in Familien, unter Freunden gibt es gerade an Weihnachten Auseinandersetzung und Streit. Oder es sind Menschen einsam. Und nicht jeder hat an Weihnachten ein warmes Wohnzimmer. Deshalb will ich heute Abend dieses Lied ganz besonders für diese Menschen singen und beten. Und ich hoffe, dass sie trotzdem etwas von dem spüren, wovon es in der dritten Strophe des Liedes heißt: „Das Blümelein so kleine, das duftet uns so süß. Mit seinem hellen Scheine vertreibt‘s die Finsternis. Wahr Mensch und wahrer Gott. Hilft uns aus allem Leide, rettet von Sünd und Tod.“ 

Musik 4: Es ist ein Ros entsprungen (CD „Puer natus est“, Track 11, 0:00-1:52) 

Christ, der Retter ist da

Von dem Organisten meiner alten Heimatpfarrei wird diese Geschichte erzählt: In der Christmette sollte zu Beginn „Stille Nacht, heilige Nacht“ gesungen werden. Aber: Er mochte dieses Lied nicht, wollte es auch nicht begleiten. Musste dann aber doch, er fügte sich. Allerdings: Er spielte es im doppelten Tempo, nahm auf die singende Gemeinde keine Rücksicht. Es sollen heftige Diskussionen nach der Christmette auf dem Kirchhof gewesen sein. So ist das eben mit „Stille Nacht, heilige Nacht“. Die einen finden es zu kitschig, zu gefühlig, zu rührselig. Für die anderen ist erst dann Weihnachten, wenn „Stille Nacht, heilige Nacht“ gesungen wird. 

Ich gehöre zur zweiten Gruppe. Ich freue mich jedes Jahr darauf, dieses Lied an Heiligabend zu singen. Und so falsch kann ich da nicht liegen, denn dieses Lied ist ja das bekannteste Weihnachtslied der Welt! 1818 ist es am 24. Dezember erstmals erklungen, in der Kirche St. Nikola in Oberndorf bei Salzburg – ganz schlicht mit Gitarrenbegleitung. Die Melodie schrieb Franz Xaver Gruber auf einen Text von Joseph Mohr. Von dort aus nahm es seinen Siegeszug um die Welt: „Stille Nacht“ ist in 320 Sprachen und Dialekte übersetzt und gesungen worden; es ist immaterielles Kulturerbe der UNESCO. 

Ich habe gelernt: Eigentlich hat das Lied ursprünglich sechs Strophen. Allerdings werden heute nur noch drei gesungen. Dabei haben es die unbekannten Strophen tatsächlich in sich. So heißt es beispielsweise in der eigentlichen dritten Strophe: „Stille Nacht! Heilige Nacht! Die der Welt Heil gebracht. Aus des Himmels goldenen Höhn, uns der Gnaden Fülle läßt seh’n: Jesus in Menschengestalt.“ Da ist plötzlich nicht mehr von einem holden Knaben mit lockigen Haar die Rede, sondern von der eigentlichen Weihnachtsbotschaft: Gott ist Mensch geworden. Er ist zu uns gekommen, zu uns in unsere Welt. Das ist für mich ein trostreicher und hoffnungsvoller Gedanke. Und das ist es vielleicht, was die viele Menschen empfinden, wenn sie dieses Lied singen: Trost und Hoffnung. Gerade an Weihnachten. Und mit dieser Hoffnung endet „Stille Nacht“ ja schließlich auch, wenn es dort heißt es: „Christ, der Retter, ist da!“ 

Musik 5: Stille Nacht, heilige Nacht (CD „Puer natus es“, Track 25, 2:21-3:35) 

Singet Jubellieder 

Sie wird heute ziemlich zerkratzt sein: meine alte Adventslieder-Platte. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich als Kind die Lieder auf dieser Schallplatte rauf- und runtergehört habe. Sie steht heute noch im Plattenschrank meiner Eltern. Und es gibt auch ein Bild von mir – es muss aus den späten 1970er Jahren sein: Da sitze ich mit meinem besten Freund auf unserem orangefarbenen Wohnzimmersofa, wir beide halten die Plattenhülle in der Hand und singen inbrünstig. Fünf oder sechs Jahre alt bin auf diesem Bild. 

Diese alte Schallplatte und das Bild von mir als Fünfjährigem: Sie erinnern mich daran, dass ich immer gerne gesungen habe. Und Singen ist ein wichtiger Teil meiner Glaubenspraxis. Nicht umsonst sagt man: „Wer singt, betet doppelt.“ Singen gibt mir Freude, Hoffnung und Trost. Heute am vierten Advent und am Heiligen Abend singe ich die Lieder, von denen ich heute erzählt habe, und vielleicht auch noch paar mehr. Und ich denke auch an das Lied „Adeste, fideles“, in dem es heißt: „Herbei, o ihr Gläubgen, singet Jubellieder und kommet, und kommet nach Bethlehem. Christus der Heiland stieg zu uns hernieder. Kommt, lasset uns anbeten, den König, den Herrn.“ 

Musik 6: Herbei, oh ihr Gläubgen (CD Weihnachtslieder Volume 2, SWR2/Carus, Track 22, 0:50-3:14 oder Fadeout)

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